Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_327.001 pgo_327.002Zweites Hauptstück. Die epische Dichtung. pgo_327.003 Erster Abschnitt. pgo_327.004Wesen des Epos. pgo_327.005 pgo_327.016 pgo_327.001 pgo_327.002Zweites Hauptstück. Die epische Dichtung. pgo_327.003 Erster Abschnitt. pgo_327.004Wesen des Epos. pgo_327.005 pgo_327.016 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0349" n="E327"/> <head> <hi rendition="#c"><lb n="pgo_327.001"/> Zweites Hauptstück.</hi> </head> <lb n="pgo_327.002"/> <head> <hi rendition="#c">Die epische Dichtung. </hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="4"> <lb n="pgo_327.003"/> <head> <hi rendition="#c">Erster Abschnitt.</hi> </head> <lb n="pgo_327.004"/> <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Wesen des Epos</hi>.</hi> </head> <p><lb n="pgo_327.005"/> Das lyrische Gedicht wird aus der unmittelbaren Gegenwart herausgedichtet; <lb n="pgo_327.006"/> das <hi rendition="#g">epische</hi> beschäftigt sich mit der Vergangenheit. Jn <lb n="pgo_327.007"/> allgemeinster Fassung ist das Epos die dichterische Erzählung einer vergangenen <lb n="pgo_327.008"/> Begebenheit. Da der Dichter sich nicht in der augenblicklichen <lb n="pgo_327.009"/> Erregtheit des Herzens befindet, da die Handlung, die er darstellt, als <lb n="pgo_327.010"/> eine vergangene bereits durch die Zeit einen beruhigenden Abschluß <lb n="pgo_327.011"/> gewonnen: so tritt hier das Subjekt des Dichters mehr zurück, und seine <lb n="pgo_327.012"/> Kunst besteht darin, die Handlung sich in größter Objektivität vor unsern <lb n="pgo_327.013"/> Augen entwickeln zu lassen. Der lyrische Dichter verzehrt sein Objekt in <lb n="pgo_327.014"/> der Flamme der Begeisterung; der epische verschwindet hinter seinem <lb n="pgo_327.015"/> Objekt, das seine nachhaltige Begeisterung trägt und belebt.</p> <p><lb n="pgo_327.016"/> Die epische <hi rendition="#g">Handlung</hi> unterscheidet sich von der dramatischen, indem <lb n="pgo_327.017"/> sie nicht wie diese aus der auf die Spitze gestellten innern Entscheidung <lb n="pgo_327.018"/> des Helden hervorgeht, sondern mehr durch das Zusammenwirken der <lb n="pgo_327.019"/> Verhältnisse, durch den Weltlauf selbst hervorgerufen wird und sich wieder <lb n="pgo_327.020"/> weithinein in alle Lebenszustände verzweigt. Die dramatische Handlung <lb n="pgo_327.021"/> ist ein stolzer Ausfluß menschlicher Selbstbestimmung, ihrer Konflikte, <lb n="pgo_327.022"/> ihrer Krisen. Jm Drama ist alles That, freier Akt des Willens; <lb n="pgo_327.023"/> das Walten der Naturmächte ist ausgeschlossen. Jm Epos dagegen ist <lb n="pgo_327.024"/> das menschliche Handeln mit hineinverflochten in den ruhigen Verlauf der <lb n="pgo_327.025"/> Weltgesetze, verkettet in alle Bedingungen des Alls. Jm Drama herrscht </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [E327/0349]
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Zweites Hauptstück. pgo_327.002
Die epische Dichtung.
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Erster Abschnitt. pgo_327.004
Wesen des Epos. pgo_327.005
Das lyrische Gedicht wird aus der unmittelbaren Gegenwart herausgedichtet; pgo_327.006
das epische beschäftigt sich mit der Vergangenheit. Jn pgo_327.007
allgemeinster Fassung ist das Epos die dichterische Erzählung einer vergangenen pgo_327.008
Begebenheit. Da der Dichter sich nicht in der augenblicklichen pgo_327.009
Erregtheit des Herzens befindet, da die Handlung, die er darstellt, als pgo_327.010
eine vergangene bereits durch die Zeit einen beruhigenden Abschluß pgo_327.011
gewonnen: so tritt hier das Subjekt des Dichters mehr zurück, und seine pgo_327.012
Kunst besteht darin, die Handlung sich in größter Objektivität vor unsern pgo_327.013
Augen entwickeln zu lassen. Der lyrische Dichter verzehrt sein Objekt in pgo_327.014
der Flamme der Begeisterung; der epische verschwindet hinter seinem pgo_327.015
Objekt, das seine nachhaltige Begeisterung trägt und belebt.
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Die epische Handlung unterscheidet sich von der dramatischen, indem pgo_327.017
sie nicht wie diese aus der auf die Spitze gestellten innern Entscheidung pgo_327.018
des Helden hervorgeht, sondern mehr durch das Zusammenwirken der pgo_327.019
Verhältnisse, durch den Weltlauf selbst hervorgerufen wird und sich wieder pgo_327.020
weithinein in alle Lebenszustände verzweigt. Die dramatische Handlung pgo_327.021
ist ein stolzer Ausfluß menschlicher Selbstbestimmung, ihrer Konflikte, pgo_327.022
ihrer Krisen. Jm Drama ist alles That, freier Akt des Willens; pgo_327.023
das Walten der Naturmächte ist ausgeschlossen. Jm Epos dagegen ist pgo_327.024
das menschliche Handeln mit hineinverflochten in den ruhigen Verlauf der pgo_327.025
Weltgesetze, verkettet in alle Bedingungen des Alls. Jm Drama herrscht
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