pgo_325.001 Geibel's, mag dieser Dichter nun im Lübecker Rathskeller mit Jürgen pgo_325.002 Wullenweber und Marcus Mayer Gestalten aus Deutschlands pgo_325.003 großer Vergangenheit heraufbeschwören und den Helden der Hansa pgo_325.004 gegenüber um die verkümmerte Gegenwart trauern, oder im "Thurmbau pgo_325.005 zu Babel" dem zerfahrenen, vom Zorn des Herrn auseinander pgo_325.006 gescheuchten Geschlecht ein Denkmal setzen, oder im "Bildhauer pgo_325.007 Hadrian's" die halt- und glaubenslose und darum auch für die Kunstgestaltung pgo_325.008 spröde Zeit anklagen. Für die Passionsgeschichte der Menschheit pgo_325.009 errichtet Hermann Lingg mit düsterer Energie seine lyrischen pgo_325.010 Stationen, malt z. B. im "schwarzen Tod" mit der Kraft Dante'scher pgo_325.011 Anschauung und zeigt in seinen Reflexionen eine schwunghaft aus den pgo_325.012 Tiefen kommende Weltanschauung.
pgo_325.013 Die Entwickelung der englischen Reflexionspoesie seit Sidney, pgo_325.014 Spencer und Cowley zu verfolgen, liegt außerhalb unserer Aufgabe. pgo_325.015 Wir erwähnen nur ihre Spitzen: Lord Byron und Shelley. Jener, pgo_325.016 Englands größter Lyriker, was die lodernde Pracht des Kolorits und den pgo_325.017 hinreißenden Schwung einer mit dem Weltgeschick rechtenden Reflexion pgo_325.018 betrifft, hat in "Childe Harold's Pilgerschaft" an eine Fülle pgo_325.019 europäischer Landschaftsbilder, die mit gleicher Vollendung ausgeführt pgo_325.020 sind, mag der Dichter auf dem honigreichen Hymettos oder dem weitschauenden pgo_325.021 Sunium um Attikas verlorne Herrlichkeit trauern oder auf pgo_325.022 dem Rialto um Venedigs versunkene Pracht oder ein Gewitter im Jura pgo_325.023 schildern, jene Betrachtungen geknüpft, die seinem durch Genuß erschöpften pgo_325.024 und doch nach ihm lechzenden Gemüthe, einem mit dem Weltlauf pgo_325.025 zerfallenen und doch von Thatendurst verzehrten Geist, der seinen Schmerz pgo_325.026 in vornehm nachlässiger Stellung kokett zur Schau trägt, einen eigenthümlichen pgo_325.027 und unverkennbaren Stempel aufdrücken. Noch imposanter pgo_325.028 erscheint die Grundstimmung Shelley's, der in seiner "Königin pgo_325.029 Mab" und andern Gedichten durch alle skeptischen Anwandlungen hindurch pgo_325.030 leidenschaftlich nach einer geahnten Harmonie strebt, deren schwunghafte pgo_325.031 Verkündigung ihn aber mit dem Glauben und den Satzungen der pgo_325.032 Gesellschaft in einen neuen, nicht auszugleichenden Widerspruch setzt. So pgo_325.033 geht die Klage über die unlösbaren Verwickelungen des Denkens und pgo_325.034 Lebens durch seine oft phantastischen, stets seelenvollen Gedichte. Neben pgo_325.035 diesen Heroen verdient noch Thomas Campbell (+ 1844) wegen
pgo_325.001 Geibel's, mag dieser Dichter nun im Lübecker Rathskeller mit Jürgen pgo_325.002 Wullenweber und Marcus Mayer Gestalten aus Deutschlands pgo_325.003 großer Vergangenheit heraufbeschwören und den Helden der Hansa pgo_325.004 gegenüber um die verkümmerte Gegenwart trauern, oder im „Thurmbau pgo_325.005 zu Babel“ dem zerfahrenen, vom Zorn des Herrn auseinander pgo_325.006 gescheuchten Geschlecht ein Denkmal setzen, oder im „Bildhauer pgo_325.007 Hadrian's“ die halt- und glaubenslose und darum auch für die Kunstgestaltung pgo_325.008 spröde Zeit anklagen. Für die Passionsgeschichte der Menschheit pgo_325.009 errichtet Hermann Lingg mit düsterer Energie seine lyrischen pgo_325.010 Stationen, malt z. B. im „schwarzen Tod“ mit der Kraft Dante'scher pgo_325.011 Anschauung und zeigt in seinen Reflexionen eine schwunghaft aus den pgo_325.012 Tiefen kommende Weltanschauung.
pgo_325.013 Die Entwickelung der englischen Reflexionspoesie seit Sidney, pgo_325.014 Spencer und Cowley zu verfolgen, liegt außerhalb unserer Aufgabe. pgo_325.015 Wir erwähnen nur ihre Spitzen: Lord Byron und Shelley. Jener, pgo_325.016 Englands größter Lyriker, was die lodernde Pracht des Kolorits und den pgo_325.017 hinreißenden Schwung einer mit dem Weltgeschick rechtenden Reflexion pgo_325.018 betrifft, hat in „Childe Harold's Pilgerschaft“ an eine Fülle pgo_325.019 europäischer Landschaftsbilder, die mit gleicher Vollendung ausgeführt pgo_325.020 sind, mag der Dichter auf dem honigreichen Hymettos oder dem weitschauenden pgo_325.021 Sunium um Attikas verlorne Herrlichkeit trauern oder auf pgo_325.022 dem Rialto um Venedigs versunkene Pracht oder ein Gewitter im Jura pgo_325.023 schildern, jene Betrachtungen geknüpft, die seinem durch Genuß erschöpften pgo_325.024 und doch nach ihm lechzenden Gemüthe, einem mit dem Weltlauf pgo_325.025 zerfallenen und doch von Thatendurst verzehrten Geist, der seinen Schmerz pgo_325.026 in vornehm nachlässiger Stellung kokett zur Schau trägt, einen eigenthümlichen pgo_325.027 und unverkennbaren Stempel aufdrücken. Noch imposanter pgo_325.028 erscheint die Grundstimmung Shelley's, der in seiner „Königin pgo_325.029 Mab“ und andern Gedichten durch alle skeptischen Anwandlungen hindurch pgo_325.030 leidenschaftlich nach einer geahnten Harmonie strebt, deren schwunghafte pgo_325.031 Verkündigung ihn aber mit dem Glauben und den Satzungen der pgo_325.032 Gesellschaft in einen neuen, nicht auszugleichenden Widerspruch setzt. So pgo_325.033 geht die Klage über die unlösbaren Verwickelungen des Denkens und pgo_325.034 Lebens durch seine oft phantastischen, stets seelenvollen Gedichte. Neben pgo_325.035 diesen Heroen verdient noch Thomas Campbell († 1844) wegen
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Geibel's, mag dieser Dichter nun im Lübecker Rathskeller mit Jürgen pgo_325.002
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/347>, abgerufen am 23.11.2024.
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