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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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gegeben wäre. Jn Rom, wo der Nationalcharakter diese Richtung des pgo_304.002
Gemüthes begünstigte, hat die Elegie von allen Dichtarten die größte pgo_304.003
Vollkommenheit erreicht. Auch hier zog sie eine Fülle von Empfindungen pgo_304.004
und Gegenständen in ihren Kreis, obwohl das erotische Element vorwiegt. pgo_304.005
Auch trat hier ihr Grundcharakter, das Hin- und Herwogen der pgo_304.006
Gefühle, die an einer Reihe von Bildern hinundhergehende Reflexion, pgo_304.007
noch entschiedener und kunstmäßiger als bei den Griechen hervor.

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Der Blick auf die antike Elegie zeigt hinlänglich, mit welchem pgo_304.009
Unrecht sich diejenigen auf die Alten berufen, welche den Begriff der pgo_304.010
Elegie in der gewohnten engen Weise beschränken.

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Doch nachdem wir die Einseitigkeit dieser Begriffsbestimmungen nachgewiesen, pgo_304.012
wird uns der tiefere Zusammenhang zwischen der elegischen Dichtung pgo_304.013
in unserer weiten Auffassung und der Urbedeutung des Wortes nicht pgo_304.014
entgehn. Die Stimmung des reflektirenden Dichters, ja das Wesen der pgo_304.015
dichterischen Reflexion selbst wird stets einen elegischen Zug behalten, der pgo_304.016
als ein weiches Element der Stimmung solchen Dichtungen zu Grunde pgo_304.017
liegt. Die Reflexion dringt nicht in die Tiefe der Dinge ein; sie geht pgo_304.018
nur zwischen ihren Beziehungen hinundher. So bleibt ihr, bei allem pgo_304.019
Wechsel der Anschauung und Empfindung, eine Unbefriedigung zurück, pgo_304.020
die sich selbst in der Freude als stille Wehmuth niederschlägt, den kriegerischen pgo_304.021
Akkorden das düstere Vorgefühl des Todes beimischt, einem für pgo_304.022
den Aufschwung des Staates und der Nation begeisterten Gemüth bei pgo_304.023
aller vorwärts drängenden Begeisterung doch die Klage über die verkommene pgo_304.024
Gegenwart einhaucht und über den wechselnden Situationen der pgo_304.025
Liebe gerade durch das Bewußtsein dieses Wechsels einen wehmüthigen pgo_304.026
Schleier legt. Die Vergänglichkeit alles Jrdischen ist der durchklingende pgo_304.027
Grundton aller Reflexionen. Es genügt, wenn dieser Ton nur hier und pgo_304.028
dort aus der Elegie heraustönt, ja wenn er nur wie ein leisezitternder pgo_304.029
Hauch darüber schwebt, nur von dem feineren Gefühl empfunden wird. pgo_304.030
Er kann auch gleichsam nur ein ausweichender Ton, eine harmonisch pgo_304.031
wieder aufgelöste Dissonanz sein; der Dichter kann von ihm ausgehn, pgo_304.032
ohne zu ihm zurückzukehren. Jn der That finden wir bei den großen pgo_304.033
Reflexionspoeten aller Zeiten diesen elegischen Zug, diese Grundstimmung, pgo_304.034
aus welcher die ganze Dichtgattung hervorgegangen. Wie tönt die pgo_304.035
Trauer um den Verfall des Vaterlandes schon aus den Elegieen des

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gegeben wäre. Jn Rom, wo der Nationalcharakter diese Richtung des pgo_304.002
Gemüthes begünstigte, hat die Elegie von allen Dichtarten die größte pgo_304.003
Vollkommenheit erreicht. Auch hier zog sie eine Fülle von Empfindungen pgo_304.004
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Auch trat hier ihr Grundcharakter, das Hin- und Herwogen der pgo_304.006
Gefühle, die an einer Reihe von Bildern hinundhergehende Reflexion, pgo_304.007
noch entschiedener und kunstmäßiger als bei den Griechen hervor.

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Der Blick auf die antike Elegie zeigt hinlänglich, mit welchem pgo_304.009
Unrecht sich diejenigen auf die Alten berufen, welche den Begriff der pgo_304.010
Elegie in der gewohnten engen Weise beschränken.

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Doch nachdem wir die Einseitigkeit dieser Begriffsbestimmungen nachgewiesen, pgo_304.012
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in unserer weiten Auffassung und der Urbedeutung des Wortes nicht pgo_304.014
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nur zwischen ihren Beziehungen hinundher. So bleibt ihr, bei allem pgo_304.019
Wechsel der Anschauung und Empfindung, eine Unbefriedigung zurück, pgo_304.020
die sich selbst in der Freude als stille Wehmuth niederschlägt, den kriegerischen pgo_304.021
Akkorden das düstere Vorgefühl des Todes beimischt, einem für pgo_304.022
den Aufschwung des Staates und der Nation begeisterten Gemüth bei pgo_304.023
aller vorwärts drängenden Begeisterung doch die Klage über die verkommene pgo_304.024
Gegenwart einhaucht und über den wechselnden Situationen der pgo_304.025
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Grundton aller Reflexionen. Es genügt, wenn dieser Ton nur hier und pgo_304.028
dort aus der Elegie heraustönt, ja wenn er nur wie ein leisezitternder pgo_304.029
Hauch darüber schwebt, nur von dem feineren Gefühl empfunden wird. pgo_304.030
Er kann auch gleichsam nur ein ausweichender Ton, eine harmonisch pgo_304.031
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/326>, abgerufen am 28.11.2024.