Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_293.001 Nicht in den Ocean der Welten alle pgo_293.016 Will ich mich stürzen -- schweben nicht u. s. f. pgo_293.017 Und die Gewitterwinde? Sie tragen den Donner! pgo_293.022 Wie sie rauschen, wie sie die Wälder durchrauschen! pgo_293.023 Und nun schweigen sie. Langsam wandelt pgo_293.024 Die schwarze Wolke. pgo_293.025 Seht ihr den neuen Zeichen des Nahen, den fliegenden Strahl? pgo_293.026 Hört ihr hoch in der Wolke den Donner des Herrn? pgo_293.027 Er ruft: Jehova! Jehova! Jehova! pgo_293.028 Und der geschmetterte Wald dampft! pgo_293.029 Nun ist, wie dürstete sie, die Erd' erquickt! pgo_293.032 pgo_293.036 pgo_293.001 Nicht in den Ocean der Welten alle pgo_293.016 Will ich mich stürzen — schweben nicht u. s. f. pgo_293.017 Und die Gewitterwinde? Sie tragen den Donner! pgo_293.022 Wie sie rauschen, wie sie die Wälder durchrauschen! pgo_293.023 Und nun schweigen sie. Langsam wandelt pgo_293.024 Die schwarze Wolke. pgo_293.025 Seht ihr den neuen Zeichen des Nahen, den fliegenden Strahl? pgo_293.026 Hört ihr hoch in der Wolke den Donner des Herrn? pgo_293.027 Er ruft: Jehova! Jehova! Jehova! pgo_293.028 Und der geschmetterte Wald dampft! pgo_293.029 Nun ist, wie dürstete sie, die Erd' erquickt! pgo_293.032 pgo_293.036 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0315" n="293"/><lb n="pgo_293.001"/> (<foreign xml:lang="grc">δαμασιφρονα χρὺσον</foreign>), vom männerbeglückenden Reichthum (<foreign xml:lang="grc">μεγανορος</foreign> <lb n="pgo_293.002"/> <foreign xml:lang="grc">πλουτον</foreign>), von erdeschleichender Rede (<foreign xml:lang="grc">χαμαιπετέων λόγων</foreign>)! Jn diesen <lb n="pgo_293.003"/> stolzklingenden, oft metaphorischen und kühn personificirenden Beiwörtern <lb n="pgo_293.004"/> liegt vorzugsweise die schwungvolle Kraft des Thebanischen Sängers, <lb n="pgo_293.005"/> dessen Vorbild die deutschen Odendichter nacheiferten, die Bildsamkeit <lb n="pgo_293.006"/> der Muttersprache zu kühnen Neubildungen benutzend. Freilich stand bei <lb n="pgo_293.007"/> ihnen nicht immer der gute Geschmack zu Pathen. Auch im Gebrauch <lb n="pgo_293.008"/> der Jnversionen dürfte größeres Maaß anzurathen sein, da allzu häufige <lb n="pgo_293.009"/> syntaktische Verrückungen dem Ganzen ein unnöthigerweise verschnörkeltes <lb n="pgo_293.010"/> Aussehn geben. Die stürmisch bewegte Begeisterung <hi rendition="#g">Klopstock's</hi> wird <lb n="pgo_293.011"/> auch bisweilen gesucht, offenbart aber in einzelnen Oden alle Schönheiten, <lb n="pgo_293.012"/> welche ihre Sprachbändigende Kraft hervorzubringen vermag. Welche <lb n="pgo_293.013"/> hinundherflackernde Gluth der Sprache in seiner „Frühlingsfeier!“ Mit <lb n="pgo_293.014"/> einem hyperbolischen Optativ und einer Jnversion beginnt das Gedicht:</p> <lb n="pgo_293.015"/> <lg> <l>Nicht in den Ocean der Welten alle</l> <lb n="pgo_293.016"/> <l>Will ich mich stürzen — schweben nicht u. s. f.</l> </lg> <p><lb n="pgo_293.017"/> Dann drängen sich Wiederholungen einzelner Worte, Ausrufungen, <lb n="pgo_293.018"/> ganzer Sätze aus der Fülle des Herzens heraus; Fragen wechseln mit <lb n="pgo_293.019"/> erhabenen Lakonismen des Ausdruckes; wie Blitze des Herrn im geschilderten <lb n="pgo_293.020"/> Gewittersturm eilen beflügelte Sätze:</p> <lb n="pgo_293.021"/> <lg> <l>Und die Gewitterwinde? Sie tragen den Donner!</l> <lb n="pgo_293.022"/> <l>Wie sie rauschen, wie sie die Wälder durchrauschen!</l> <lb n="pgo_293.023"/> <l>Und nun schweigen sie. Langsam wandelt</l> <lb n="pgo_293.024"/> <l>Die schwarze Wolke.</l> <lb n="pgo_293.025"/> <l>Seht ihr den neuen Zeichen des Nahen, den fliegenden Strahl?</l> <lb n="pgo_293.026"/> <l>Hört ihr hoch in der Wolke den Donner des Herrn?</l> <lb n="pgo_293.027"/> <l>Er ruft: Jehova! Jehova! Jehova!</l> <lb n="pgo_293.028"/> <l>Und der geschmetterte Wald dampft!</l> </lg> <p><lb n="pgo_293.029"/> Kleinere Sätze nimmt diese wogende Sprachfluth mit syntaktischer <lb n="pgo_293.030"/> Licenz in sich auf:</p> <lb n="pgo_293.031"/> <lg> <l>Nun ist, wie dürstete sie, die Erd' erquickt!</l> </lg> <p><lb n="pgo_293.032"/> Oden, die nicht solchen hohen Aufschwung haben, sondern mehr an <lb n="pgo_293.033"/> der Grenze des Liedes stehn, können eine minder zerspaltene Architektonik <lb n="pgo_293.034"/> und mehr harmonische Getragenheit auch in ihrem sprachlichen Bau zur <lb n="pgo_293.035"/> Schau stellen.</p> <p><lb n="pgo_293.036"/> Die Rhythmik der Ode bedient sich, im Einklang mit ihrer Komposition </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [293/0315]
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(δαμασιφρονα χρὺσον), vom männerbeglückenden Reichthum (μεγανορος pgo_293.002
πλουτον), von erdeschleichender Rede (χαμαιπετέων λόγων)! Jn diesen pgo_293.003
stolzklingenden, oft metaphorischen und kühn personificirenden Beiwörtern pgo_293.004
liegt vorzugsweise die schwungvolle Kraft des Thebanischen Sängers, pgo_293.005
dessen Vorbild die deutschen Odendichter nacheiferten, die Bildsamkeit pgo_293.006
der Muttersprache zu kühnen Neubildungen benutzend. Freilich stand bei pgo_293.007
ihnen nicht immer der gute Geschmack zu Pathen. Auch im Gebrauch pgo_293.008
der Jnversionen dürfte größeres Maaß anzurathen sein, da allzu häufige pgo_293.009
syntaktische Verrückungen dem Ganzen ein unnöthigerweise verschnörkeltes pgo_293.010
Aussehn geben. Die stürmisch bewegte Begeisterung Klopstock's wird pgo_293.011
auch bisweilen gesucht, offenbart aber in einzelnen Oden alle Schönheiten, pgo_293.012
welche ihre Sprachbändigende Kraft hervorzubringen vermag. Welche pgo_293.013
hinundherflackernde Gluth der Sprache in seiner „Frühlingsfeier!“ Mit pgo_293.014
einem hyperbolischen Optativ und einer Jnversion beginnt das Gedicht:
pgo_293.015
Nicht in den Ocean der Welten alle pgo_293.016
Will ich mich stürzen — schweben nicht u. s. f.
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Dann drängen sich Wiederholungen einzelner Worte, Ausrufungen, pgo_293.018
ganzer Sätze aus der Fülle des Herzens heraus; Fragen wechseln mit pgo_293.019
erhabenen Lakonismen des Ausdruckes; wie Blitze des Herrn im geschilderten pgo_293.020
Gewittersturm eilen beflügelte Sätze:
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Und die Gewitterwinde? Sie tragen den Donner! pgo_293.022
Wie sie rauschen, wie sie die Wälder durchrauschen! pgo_293.023
Und nun schweigen sie. Langsam wandelt pgo_293.024
Die schwarze Wolke. pgo_293.025
Seht ihr den neuen Zeichen des Nahen, den fliegenden Strahl? pgo_293.026
Hört ihr hoch in der Wolke den Donner des Herrn? pgo_293.027
Er ruft: Jehova! Jehova! Jehova! pgo_293.028
Und der geschmetterte Wald dampft!
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Kleinere Sätze nimmt diese wogende Sprachfluth mit syntaktischer pgo_293.030
Licenz in sich auf:
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Nun ist, wie dürstete sie, die Erd' erquickt!
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Oden, die nicht solchen hohen Aufschwung haben, sondern mehr an pgo_293.033
der Grenze des Liedes stehn, können eine minder zerspaltene Architektonik pgo_293.034
und mehr harmonische Getragenheit auch in ihrem sprachlichen Bau zur pgo_293.035
Schau stellen.
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Die Rhythmik der Ode bedient sich, im Einklang mit ihrer Komposition
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