Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_292.001 pgo_292.011 Dich seh' ich als Knabe, pgo_292.026 Wo mit umwölkter Hand die Natur an gängelndem Bande pgo_292.027 Ueber Nebel und stürmenden Winden und zuckenden Blitzen pgo_292.028 Deinen wankenden Tritt auf zackiger Felsenbahn leitet! pgo_292.029 pgo_292.001 pgo_292.011 Dich seh' ich als Knabe, pgo_292.026 Wo mit umwölkter Hand die Natur an gängelndem Bande pgo_292.027 Ueber Nebel und stürmenden Winden und zuckenden Blitzen pgo_292.028 Deinen wankenden Tritt auf zackiger Felsenbahn leitet! pgo_292.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0314" n="292"/><lb n="pgo_292.001"/> sich die Meerfahrt des Freundes zu einem großen Bilde der rastlos strebenden <lb n="pgo_292.002"/> Menschheit erweitert. Jn „der Frühlingsfeier“ besingt Klopstock <lb n="pgo_292.003"/> den Lenz, aber nicht, wie der Liederdichter, der einzelne anmuthige Bilder <lb n="pgo_292.004"/> wie Blumen zum Kranze reiht. Der Odensänger entrollt ein großes <lb n="pgo_292.005"/> kosmisches Gemälde — wir sehn die Siebengestirne aus Strahlen zusammenströmen, <lb n="pgo_292.006"/> aber auch das grünlich goldene Frühlingswürmchen neben <lb n="pgo_292.007"/> dem Dichter spielen. Diese Malerei, entgegengesetzt einer harmonischen <lb n="pgo_292.008"/> und ruhigen Schilderung, springt vom Größten auf das Kleinste; aber <lb n="pgo_292.009"/> die erhabene Begeisterung des Dichters schlägt die Brücke zwischen Himmel <lb n="pgo_292.010"/> und Erde.</p> <p><lb n="pgo_292.011"/> Wie die Komposition, wird auch der <hi rendition="#g">sprachliche Ausdruck</hi> der <lb n="pgo_292.012"/> Ode von großer Kühnheit und oft stürmischer Bewegtheit sein. Die <lb n="pgo_292.013"/> großartige Metapher und die Hyperbel treten hier an die Stelle der <lb n="pgo_292.014"/> episch malenden Vergleichung. „Das Roß mit seinem Donner im Halse <lb n="pgo_292.015"/> schnaubet Entsetzen durch seine Nüstern! Sein Huf stampfet die Erde <lb n="pgo_292.016"/> auf; es erkühnet sich in seiner Macht und eilt entgegen den Gerüsteten! <lb n="pgo_292.017"/> Es spottet der Furcht, weichet nicht dem Schwerdt! Mag entgegen ihm <lb n="pgo_292.018"/> rasseln der Köcher, der Wurfspieß schimmern und Speer — <hi rendition="#g">es verschlingt <lb n="pgo_292.019"/> die Erde in brausender Wuth</hi> und harret der Drommete <lb n="pgo_292.020"/> nicht!“ So schildert einer der kühnsten Odensänger, der Dichter des <lb n="pgo_292.021"/> Buches Hiob, das Schlachtroß — wie ganz anders malt der Epiker <lb n="pgo_292.022"/> Homer. „Der geschmetterte Wald dampft“ — singt Klopstock vom <lb n="pgo_292.023"/> Gewitter. Das ist echter Lapidarstyl der <hi rendition="#g">Ode!</hi> Stolberg feiert in <lb n="pgo_292.024"/> seiner „Hymne auf die Erde“ den Rheinstrom:</p> <lb n="pgo_292.025"/> <lg> <l> Dich seh' ich als Knabe,</l> <lb n="pgo_292.026"/> <l>Wo mit umwölkter Hand die Natur an gängelndem Bande</l> <lb n="pgo_292.027"/> <l>Ueber Nebel und stürmenden Winden und zuckenden Blitzen</l> <lb n="pgo_292.028"/> <l>Deinen wankenden Tritt auf zackiger Felsenbahn leitet!</l> </lg> <p><lb n="pgo_292.029"/> Nur <hi rendition="#g">Pindar</hi> zeigt in seinen Gesängen noch ein vorwiegend epischplastisches <lb n="pgo_292.030"/> Element. Das <hi rendition="#g">Beiwort</hi> muß in der „Ode“ von schlagender <lb n="pgo_292.031"/> Kraft sein — hier sind neue und kühne Bildungen und Zusammensetzungen <lb n="pgo_292.032"/> erlaubt, wenn auch ihr Uebermaaß der Ode ein gekünsteltes <lb n="pgo_292.033"/> Aussehen giebt. Schon die Beiwörter <hi rendition="#g">Pindar's</hi> sind nicht stereotyp <lb n="pgo_292.034"/> wie die Beiwörter Homer's; sie sind nicht blos malend, darstellend, sondern <lb n="pgo_292.035"/> auch gedankenvoll. Pindar singt vom „bezähmenden Golde“ </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [292/0314]
pgo_292.001
sich die Meerfahrt des Freundes zu einem großen Bilde der rastlos strebenden pgo_292.002
Menschheit erweitert. Jn „der Frühlingsfeier“ besingt Klopstock pgo_292.003
den Lenz, aber nicht, wie der Liederdichter, der einzelne anmuthige Bilder pgo_292.004
wie Blumen zum Kranze reiht. Der Odensänger entrollt ein großes pgo_292.005
kosmisches Gemälde — wir sehn die Siebengestirne aus Strahlen zusammenströmen, pgo_292.006
aber auch das grünlich goldene Frühlingswürmchen neben pgo_292.007
dem Dichter spielen. Diese Malerei, entgegengesetzt einer harmonischen pgo_292.008
und ruhigen Schilderung, springt vom Größten auf das Kleinste; aber pgo_292.009
die erhabene Begeisterung des Dichters schlägt die Brücke zwischen Himmel pgo_292.010
und Erde.
pgo_292.011
Wie die Komposition, wird auch der sprachliche Ausdruck der pgo_292.012
Ode von großer Kühnheit und oft stürmischer Bewegtheit sein. Die pgo_292.013
großartige Metapher und die Hyperbel treten hier an die Stelle der pgo_292.014
episch malenden Vergleichung. „Das Roß mit seinem Donner im Halse pgo_292.015
schnaubet Entsetzen durch seine Nüstern! Sein Huf stampfet die Erde pgo_292.016
auf; es erkühnet sich in seiner Macht und eilt entgegen den Gerüsteten! pgo_292.017
Es spottet der Furcht, weichet nicht dem Schwerdt! Mag entgegen ihm pgo_292.018
rasseln der Köcher, der Wurfspieß schimmern und Speer — es verschlingt pgo_292.019
die Erde in brausender Wuth und harret der Drommete pgo_292.020
nicht!“ So schildert einer der kühnsten Odensänger, der Dichter des pgo_292.021
Buches Hiob, das Schlachtroß — wie ganz anders malt der Epiker pgo_292.022
Homer. „Der geschmetterte Wald dampft“ — singt Klopstock vom pgo_292.023
Gewitter. Das ist echter Lapidarstyl der Ode! Stolberg feiert in pgo_292.024
seiner „Hymne auf die Erde“ den Rheinstrom:
pgo_292.025
Dich seh' ich als Knabe, pgo_292.026
Wo mit umwölkter Hand die Natur an gängelndem Bande pgo_292.027
Ueber Nebel und stürmenden Winden und zuckenden Blitzen pgo_292.028
Deinen wankenden Tritt auf zackiger Felsenbahn leitet!
pgo_292.029
Nur Pindar zeigt in seinen Gesängen noch ein vorwiegend epischplastisches pgo_292.030
Element. Das Beiwort muß in der „Ode“ von schlagender pgo_292.031
Kraft sein — hier sind neue und kühne Bildungen und Zusammensetzungen pgo_292.032
erlaubt, wenn auch ihr Uebermaaß der Ode ein gekünsteltes pgo_292.033
Aussehen giebt. Schon die Beiwörter Pindar's sind nicht stereotyp pgo_292.034
wie die Beiwörter Homer's; sie sind nicht blos malend, darstellend, sondern pgo_292.035
auch gedankenvoll. Pindar singt vom „bezähmenden Golde“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |