pgo_290.001 die Freundschaft fallen in den Kreis dieser höheren Lyrik, nur muß dann pgo_290.002 der Dichter seiner Empfindung eine größere Tragweite geben, seine eigne pgo_290.003 Lust, sein eigenes Leid zu Lust und Leid der ganzen Menschheit erweitern.
pgo_290.004 So hat die Ode einen bedeutsameren Jnhalt, als das "Lied." Jhre pgo_290.005 Geburtsstätte ist ein von den großen Mächten des Lebens und den Phänomenen pgo_290.006 der Geschichte und Natur erregtes Gemüth, das im Bestreben, pgo_290.007 sie zu erfassen und sich anzueignen, seine ganze eigene Kraft und Tiefe pgo_290.008 entwickelt. Während das Lied "etwas Knospenartiges und nur halb pgo_290.009 Erschlossenes" hat, ist die Ode eine vollentfaltete Blüthe der Lyrik. pgo_290.010 Einzelne Oden, wie die der Sappho und überhaupt der melischen Lyrik pgo_290.011 der Griechen, stehn an der Grenze des Liedes; aber sie unterscheiden sich pgo_290.012 doch von ihm durch eine freiere und kunstvollere Haltung. Die Gluth der pgo_290.013 Leidenschaft sprengt die einfach innige Form des Liedes; sie überstürzt sich pgo_290.014 in bewegteren Rhythmen; sie erhebt den Gegenstand, der sie erfüllt, mit pgo_290.015 kühnerem Schwung über das Maaß und die Schranke des Gewöhnlichen. pgo_290.016 Das einfache Gefühl geht in seine eigene Tiefen zurück; das Lied ist wie pgo_290.017 eine Mimose! Jhm genügt eine Berührung von Außen, und es faltet pgo_290.018 sich zusammen. Die Begeisterung jauchzt in alle Welt hinaus, was sie pgo_290.019 erfüllt: sie feiert sich selbst in der Feier ihres Gegenstandes; sie sucht in der pgo_290.020 Welt umher nach Farben zu seinem Schmuck, nach Klängen zu seinem pgo_290.021 Ruhm! Die Ode erscheint daher objektiver, als das Lied; sie erschließt pgo_290.022 größere Perspektiven der Anschauung und des Gedankens; aber immer ist pgo_290.023 hr das überströmende Gefühl, der hinreißende Schwung der Seele das pgo_290.024 en kai pan, das alles Andere, Aeußere in sich verzehrt. Darum hat die pgo_290.025 Welt der Erscheinung kein selbstständiges Recht; ihre Bilder werden aus pgo_290.026 dem Zusammenhang gerissen; die Trunkenheit des Dichters irrt von dem pgo_290.027 einen zum andern, erhascht sie im Flug und schlingt sie um ihren Thyrsus. pgo_290.028 Deshalb ist auch der Charakter der Ode in Bezug auf Komposition, pgo_290.029 sprachlichen Ausdruck und Rhythmus wesentlich vom Charakter pgo_290.030 des Liedes verschieden.
pgo_290.031 Die Komposition der Ode verstattet kühne Sprünge der Phantasie, pgo_290.032 welche die Bilder ohne alles behagliche Verweilen nur in lyrischen pgo_290.033 Fresken malt. Die Erregung des Odendichters ist allen großen Erregungen pgo_290.034 der Seele verwandt; sie hat etwas Visionaires, Prophetisches, pgo_290.035 Verzücktes. Doch auch da, wo sie minder gewaltig auftritt, läßt ihre
pgo_290.001 die Freundschaft fallen in den Kreis dieser höheren Lyrik, nur muß dann pgo_290.002 der Dichter seiner Empfindung eine größere Tragweite geben, seine eigne pgo_290.003 Lust, sein eigenes Leid zu Lust und Leid der ganzen Menschheit erweitern.
pgo_290.004 So hat die Ode einen bedeutsameren Jnhalt, als das „Lied.“ Jhre pgo_290.005 Geburtsstätte ist ein von den großen Mächten des Lebens und den Phänomenen pgo_290.006 der Geschichte und Natur erregtes Gemüth, das im Bestreben, pgo_290.007 sie zu erfassen und sich anzueignen, seine ganze eigene Kraft und Tiefe pgo_290.008 entwickelt. Während das Lied „etwas Knospenartiges und nur halb pgo_290.009 Erschlossenes“ hat, ist die Ode eine vollentfaltete Blüthe der Lyrik. pgo_290.010 Einzelne Oden, wie die der Sappho und überhaupt der melischen Lyrik pgo_290.011 der Griechen, stehn an der Grenze des Liedes; aber sie unterscheiden sich pgo_290.012 doch von ihm durch eine freiere und kunstvollere Haltung. Die Gluth der pgo_290.013 Leidenschaft sprengt die einfach innige Form des Liedes; sie überstürzt sich pgo_290.014 in bewegteren Rhythmen; sie erhebt den Gegenstand, der sie erfüllt, mit pgo_290.015 kühnerem Schwung über das Maaß und die Schranke des Gewöhnlichen. pgo_290.016 Das einfache Gefühl geht in seine eigene Tiefen zurück; das Lied ist wie pgo_290.017 eine Mimose! Jhm genügt eine Berührung von Außen, und es faltet pgo_290.018 sich zusammen. Die Begeisterung jauchzt in alle Welt hinaus, was sie pgo_290.019 erfüllt: sie feiert sich selbst in der Feier ihres Gegenstandes; sie sucht in der pgo_290.020 Welt umher nach Farben zu seinem Schmuck, nach Klängen zu seinem pgo_290.021 Ruhm! Die Ode erscheint daher objektiver, als das Lied; sie erschließt pgo_290.022 größere Perspektiven der Anschauung und des Gedankens; aber immer ist pgo_290.023 hr das überströmende Gefühl, der hinreißende Schwung der Seele das pgo_290.024 ἑν και παν, das alles Andere, Aeußere in sich verzehrt. Darum hat die pgo_290.025 Welt der Erscheinung kein selbstständiges Recht; ihre Bilder werden aus pgo_290.026 dem Zusammenhang gerissen; die Trunkenheit des Dichters irrt von dem pgo_290.027 einen zum andern, erhascht sie im Flug und schlingt sie um ihren Thyrsus. pgo_290.028 Deshalb ist auch der Charakter der Ode in Bezug auf Komposition, pgo_290.029 sprachlichen Ausdruck und Rhythmus wesentlich vom Charakter pgo_290.030 des Liedes verschieden.
pgo_290.031 Die Komposition der Ode verstattet kühne Sprünge der Phantasie, pgo_290.032 welche die Bilder ohne alles behagliche Verweilen nur in lyrischen pgo_290.033 Fresken malt. Die Erregung des Odendichters ist allen großen Erregungen pgo_290.034 der Seele verwandt; sie hat etwas Visionaires, Prophetisches, pgo_290.035 Verzücktes. Doch auch da, wo sie minder gewaltig auftritt, läßt ihre
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die Freundschaft fallen in den Kreis dieser höheren Lyrik, nur muß dann pgo_290.002
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Die Komposition der Ode verstattet kühne Sprünge der Phantasie, pgo_290.032
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/312>, abgerufen am 24.11.2024.
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