pgo_277.001 verallgemeinert ihn. Die Magie der Tonwelt, die Einsamkeit eines pgo_277.002 ganzen Lebens, das unergründliche Menschenweh breiten die Stimmung pgo_277.003 des Augenblickes aus und vertiefen sie. Zugleich fehlt in allen dreien die pgo_277.004 lyrische Pointe nicht, welche sich im ersten und dritten Liedchen als pgo_277.005 Antithese, im zweiten als Hyperbel zeigt. Die drei Glieder der Komposition pgo_277.006 sind aber auf's Jnnigste verschmolzen und dabei mit der größten pgo_277.007 Prägnanz der Anschauung und Empfindung ausgeführt. Aehnlich wird pgo_277.008 die Anordnung und Zusammenstellung in größeren Liedern sein, nur daß pgo_277.009 hier jedes einzelne Glied weiter ausgeführt wird. Der Gang der Komposition pgo_277.010 verträgt sogar Wiederholungen. Drei oder vier anregende pgo_277.011 Bilder wirken gleichzeitig auf das Gemüth. So z. B. in folgendem pgo_277.012 Gedichte Heine's, dessen Magie hauptsächlich darin besteht, daß die Empfindung pgo_277.013 des Dichters nicht unmittelbar ausgesprochen, sondern in die pgo_277.014 Bilder selbst verwebt ist:
pgo_277.015
Es fällt ein Stern herunterpgo_277.016 Aus seiner funkelnden Höh'!pgo_277.017 Das ist der Stern der Liebe,pgo_277.018 Den ich dort fallen seh'.
pgo_277.019 Es fallen vom Apfelbaumepgo_277.020 Der Blüthen und Blätter viel!pgo_277.021 Es kommen die neckenden Lüftepgo_277.022 Und treiben damit ihr Spiel.
pgo_277.023 Es singt der Schwan im Weiherpgo_277.024 Und rudert auf und ab,pgo_277.025 Und immer leiser singendpgo_277.026 Taucht er in's Fluthengrab.
pgo_277.027 Es ist so still und dunkel!pgo_277.028 Verweht ist Blatt und Blüth',pgo_277.029 Der Stern ist knisternd zerstoben,pgo_277.030 Verklungen das Schwanenlied.
pgo_277.031 Diese im Bilde selbst latente Empfindung macht im Liede einen wirksamen pgo_277.032 Eindruck.
pgo_277.033 Die Ausdrucksweise muß im Liede von größter Unmittelbarkeit und pgo_277.034 Einfachheit sein. Die Phantasie ist hier an die Empfindung des Augenblicks pgo_277.035 gebunden und darf nicht frei umherschweifen. Sie muß alles pgo_277.036 vom geraden Wege des Gefühls Abgelegene vermeiden. Schildert sie ein
pgo_277.001 verallgemeinert ihn. Die Magie der Tonwelt, die Einsamkeit eines pgo_277.002 ganzen Lebens, das unergründliche Menschenweh breiten die Stimmung pgo_277.003 des Augenblickes aus und vertiefen sie. Zugleich fehlt in allen dreien die pgo_277.004 lyrische Pointe nicht, welche sich im ersten und dritten Liedchen als pgo_277.005 Antithese, im zweiten als Hyperbel zeigt. Die drei Glieder der Komposition pgo_277.006 sind aber auf's Jnnigste verschmolzen und dabei mit der größten pgo_277.007 Prägnanz der Anschauung und Empfindung ausgeführt. Aehnlich wird pgo_277.008 die Anordnung und Zusammenstellung in größeren Liedern sein, nur daß pgo_277.009 hier jedes einzelne Glied weiter ausgeführt wird. Der Gang der Komposition pgo_277.010 verträgt sogar Wiederholungen. Drei oder vier anregende pgo_277.011 Bilder wirken gleichzeitig auf das Gemüth. So z. B. in folgendem pgo_277.012 Gedichte Heine's, dessen Magie hauptsächlich darin besteht, daß die Empfindung pgo_277.013 des Dichters nicht unmittelbar ausgesprochen, sondern in die pgo_277.014 Bilder selbst verwebt ist:
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/299>, abgerufen am 16.02.2025.
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