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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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" u. s. w. regierte Schweif von Sätzen ein Gräuel. Dagegen pgo_262.002
wählt sie mit Vorliebe die Apostrophe, die Ausrufung, die Frage und pgo_262.003
alle stylistischen Verkürzungen. Freilich kann man auch hierin zu weit pgo_262.004
gehn; die Jnversionen, Stylverrenkungen, die seltsam gebildeten dichtgehäuften pgo_262.005
Wortkomposita z. B. in den antikisirenden "Oden" sind nur pgo_262.006
eine Art grammatischen und syntaktischen Schwulstes, der den erhabenen pgo_262.007
Ausdruck, den er erreichen will, vollkommen verfehlt. Schon aus pgo_262.008
Rücksicht auf diese gedrängte Syntax der Lyrik kann die epische Vergleichung, pgo_262.009
welche in ihrer Ausführung ein weitverzweigtes Satzsystem pgo_262.010
erfordert, hier nicht Platz finden. Dagegen ist der Metapher mit allen pgo_262.011
ihren Unterarten der weiteste Spielraum gegeben. Die Magie des pgo_262.012
lyrischen Styls beruht auf der Metapher. Natürlich darf sie nicht locker pgo_262.013
angeheftet werden, nicht neben der Empfindung herleuchten; sie muß mit pgo_262.014
ihr verschmelzen, ihr schlagendster Ausdruck sein; sie verwebt erst Bild pgo_262.015
und Stimmung in Eins. Die Naturanschauung in Lenau's "Mondlicht" pgo_262.016
wird erst dann beseelt, als der Dichter sein Mädchen das süße pgo_262.017
Mondlicht seiner Nächte nennt und allen Zauber der Natur metaphorisch pgo_262.018
auf seine Liebe überträgt. Wenn Hermann Lingg im "Mondaufgang" pgo_262.019
den Mondschein "ein schlafendes Sonnenlicht" nennt, so ergießt pgo_262.020
diese eine Metapher über die ganze weltgeschichtliche Elegie den träumerischen pgo_262.021
Reiz der Stimmung. Jn den gedankenvollen Gattungen der Lyrik pgo_262.022
wächst ihre Bedeutung, da hier nur die kühne, schlagende Metapher dem pgo_262.023
Ausdrucke eine Kraft giebt, welche ihn über das Gebiet der Prosa erhebt. pgo_262.024
Dagegen ist sie im "Lied" entbehrlich, da der Zauber des Liedes auch pgo_262.025
schon durch den Klang der Sprache, durch den eigenthümlichen Duft, der pgo_262.026
über sinnig gewählten Worten schwebt, hervorgerufen werden kann. An die pgo_262.027
Metapher anstreifende Ausdrücke bringen hier die genügende Wirkung hervor pgo_262.028
z. B. die stimmungsvollen Verba in Goethe's Lied "an den Mond:"

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Füllest wieder Busch und Thal pgo_262.030
Still mit Nebelglanz, pgo_262.031
Lösest endlich auch einmal pgo_262.032
Meine Seele ganz.

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die stimmungsvollen Adjectiva in vielen Heine'schen Gedichten, z. B.:

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Jch stand in dunkeln Träumen, pgo_262.035
Und starrte ihr Bildniß an,

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z. B. die stimmungsvollen Verba in Goethe's Lied „an den Mond:“

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[262/0284] pgo_262.001 damit“ u. s. w. regierte Schweif von Sätzen ein Gräuel. Dagegen pgo_262.002 wählt sie mit Vorliebe die Apostrophe, die Ausrufung, die Frage und pgo_262.003 alle stylistischen Verkürzungen. Freilich kann man auch hierin zu weit pgo_262.004 gehn; die Jnversionen, Stylverrenkungen, die seltsam gebildeten dichtgehäuften pgo_262.005 Wortkomposita z. B. in den antikisirenden „Oden“ sind nur pgo_262.006 eine Art grammatischen und syntaktischen Schwulstes, der den erhabenen pgo_262.007 Ausdruck, den er erreichen will, vollkommen verfehlt. Schon aus pgo_262.008 Rücksicht auf diese gedrängte Syntax der Lyrik kann die epische Vergleichung, pgo_262.009 welche in ihrer Ausführung ein weitverzweigtes Satzsystem pgo_262.010 erfordert, hier nicht Platz finden. Dagegen ist der Metapher mit allen pgo_262.011 ihren Unterarten der weiteste Spielraum gegeben. Die Magie des pgo_262.012 lyrischen Styls beruht auf der Metapher. Natürlich darf sie nicht locker pgo_262.013 angeheftet werden, nicht neben der Empfindung herleuchten; sie muß mit pgo_262.014 ihr verschmelzen, ihr schlagendster Ausdruck sein; sie verwebt erst Bild pgo_262.015 und Stimmung in Eins. Die Naturanschauung in Lenau's „Mondlicht“ pgo_262.016 wird erst dann beseelt, als der Dichter sein Mädchen das süße pgo_262.017 Mondlicht seiner Nächte nennt und allen Zauber der Natur metaphorisch pgo_262.018 auf seine Liebe überträgt. Wenn Hermann Lingg im „Mondaufgang“ pgo_262.019 den Mondschein „ein schlafendes Sonnenlicht“ nennt, so ergießt pgo_262.020 diese eine Metapher über die ganze weltgeschichtliche Elegie den träumerischen pgo_262.021 Reiz der Stimmung. Jn den gedankenvollen Gattungen der Lyrik pgo_262.022 wächst ihre Bedeutung, da hier nur die kühne, schlagende Metapher dem pgo_262.023 Ausdrucke eine Kraft giebt, welche ihn über das Gebiet der Prosa erhebt. pgo_262.024 Dagegen ist sie im „Lied“ entbehrlich, da der Zauber des Liedes auch pgo_262.025 schon durch den Klang der Sprache, durch den eigenthümlichen Duft, der pgo_262.026 über sinnig gewählten Worten schwebt, hervorgerufen werden kann. An die pgo_262.027 Metapher anstreifende Ausdrücke bringen hier die genügende Wirkung hervor pgo_262.028 z. B. die stimmungsvollen Verba in Goethe's Lied „an den Mond:“ pgo_262.029 Füllest wieder Busch und Thal pgo_262.030 Still mit Nebelglanz, pgo_262.031 Lösest endlich auch einmal pgo_262.032 Meine Seele ganz. pgo_262.033 die stimmungsvollen Adjectiva in vielen Heine'schen Gedichten, z. B.: pgo_262.034 Jch stand in dunkeln Träumen, pgo_262.035 Und starrte ihr Bildniß an,

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/284>, abgerufen am 22.11.2024.