Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_218.001 Die Geisterinsel, die schöne, pgo_218.002 Lag dämmernd im Mondenglanz, pgo_218.003 Dort klangen liebe Töne pgo_218.004 Und wogte der Nebeltanz. pgo_218.005 Graubündtner Land, du Netzgestrick pgo_218.011 Von Kamm und Thal, von Grat und Schlucht, pgo_218.012 Sehtrunken bestaunt des Pilgers Blick pgo_218.013 Der Matten Frische, der Felsen Wucht, pgo_218.014 Der Wasser Blitz in der Klemmen Spalt pgo_218.015 Und greiser Arven Riesengestalt. pgo_218.016 pgo_218.021 c. Der fünffüßige Jambus. pgo_218.022_- _ _ _ _ _ _ _ _ _ pgo_218.023 pgo_218.024 pgo_218.001 Die Geisterinsel, die schöne, pgo_218.002 Lag dämmernd im Mondenglanz, pgo_218.003 Dort klangen liebe Töne pgo_218.004 Und wogte der Nebeltanz. pgo_218.005 Graubündtner Land, du Netzgestrick pgo_218.011 Von Kamm und Thal, von Grat und Schlucht, pgo_218.012 Sehtrunken bestaunt des Pilgers Blick pgo_218.013 Der Matten Frische, der Felsen Wucht, pgo_218.014 Der Wasser Blitz in der Klemmen Spalt pgo_218.015 Und greiser Arven Riesengestalt. pgo_218.016 pgo_218.021 c. Der fünffüßige Jambus. pgo_218.022‿─ _ ‿ _ ‿ _ ‿ _ ‿ _ pgo_218.023 pgo_218.024 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <pb facs="#f0240" n="218"/> <lb n="pgo_218.001"/> <lg> <l>Die Geisterinsel, die schöne,</l> <lb n="pgo_218.002"/> <l>Lag dämmernd im Mondenglanz,</l> <lb n="pgo_218.003"/> <l>Dort klangen liebe Töne</l> <lb n="pgo_218.004"/> <l>Und wogte der Nebeltanz.</l> </lg> <p><lb n="pgo_218.005"/> Nach dem Vorgange mittelalterlicher Muster, welche für die epische <lb n="pgo_218.006"/> Erzählung diesen Vers gewählt, wie <hi rendition="#g">Gottfried von Straßburg</hi> in <lb n="pgo_218.007"/> „Tristan und Jsolde,“ hat man auch in neuer Zeit seine Anwendbarkeit <lb n="pgo_218.008"/> für größere epische Dichtungen versucht, so z. B. <hi rendition="#g">Max Waldau</hi> in seiner <lb n="pgo_218.009"/> „<hi rendition="#g">Cordula</hi>“:</p> <lb n="pgo_218.010"/> <lg> <l>Graubündtner Land, du Netzgestrick</l> <lb n="pgo_218.011"/> <l>Von Kamm und Thal, von Grat und Schlucht,</l> <lb n="pgo_218.012"/> <l>Sehtrunken bestaunt des Pilgers Blick</l> <lb n="pgo_218.013"/> <l>Der Matten Frische, der Felsen Wucht,</l> <lb n="pgo_218.014"/> <l>Der Wasser Blitz in der Klemmen Spalt</l> <lb n="pgo_218.015"/> <l>Und greiser Arven Riesengestalt.</l> </lg> <p><lb n="pgo_218.016"/> Natürlich würde er für ein Epos mit großen Kulturperspektiven und <lb n="pgo_218.017"/> ernstem Völkerkampfe unangemessen sein, weil dazu seine tragende Kraft <lb n="pgo_218.018"/> nicht ausreicht, während die poetische Erzählung, die nur ein persönliches <lb n="pgo_218.019"/> Lebensschicksal behandelt, an diesem beweglichen Rhythmus eine genügende <lb n="pgo_218.020"/> Stütze findet.</p> </div> <div n="6"> <lb n="pgo_218.021"/> <head> <hi rendition="#c">c. <hi rendition="#g">Der fünffüßige Jambus.</hi></hi> </head> <lb n="pgo_218.022"/> <p> <hi rendition="#right">‿<metamark function="metEmph" place="superlinear">─</metamark> _ ‿ _ ‿ _ ‿ _ ‿ _ <lb n="pgo_218.023"/> ‿<metamark function="metEmph" place="superlinear">─</metamark> _ ‿ _ ‿ _ ‿ _ ‿ _ ‿</hi> </p> <p><lb n="pgo_218.024"/> Die Verehrer der antiken Metrik sind sehr geneigt, diesem Vers jede <lb n="pgo_218.025"/> Berechtigung abzusprechen, während die dichterische Praxis der Neuzeit <lb n="pgo_218.026"/> ihn zu ihrem Liebling erwählt hat. Jn der That tritt das Charakteristische <lb n="pgo_218.027"/> des jambischen Metrums in ihm am schlagendsten hervor. Für <lb n="pgo_218.028"/> das lyrische Empfindungselement hat er nicht genug Koncentration — <lb n="pgo_218.029"/> dagegen ist er für das Drama, das Epos und das didaktische Gedicht <lb n="pgo_218.030"/> gleichmäßig geeignet. Er hat Lebendigkeit, Spannung und Energie und <lb n="pgo_218.031"/> ist geräumig genug, um größere objektive Ausführungen in sich aufzunehmen, <lb n="pgo_218.032"/> jene bestimmter eingehenden Motivirungen, die für Tragödie und <lb n="pgo_218.033"/> Epos unerläßlich sind. Dabei besitzt er eine hinlängliche Elasticität und <lb n="pgo_218.034"/> Frische, um durch seinen immer neuen Anlauf nicht zu ermüden. Freilich <lb n="pgo_218.035"/> hat man sich nicht mit Unrecht über die Monotonie seines Tonfalls, den <lb n="pgo_218.036"/> sogenannten Jambentrab, besonders in den zahlreichen deklamatorischen </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [218/0240]
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Die Geisterinsel, die schöne, pgo_218.002
Lag dämmernd im Mondenglanz, pgo_218.003
Dort klangen liebe Töne pgo_218.004
Und wogte der Nebeltanz.
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Nach dem Vorgange mittelalterlicher Muster, welche für die epische pgo_218.006
Erzählung diesen Vers gewählt, wie Gottfried von Straßburg in pgo_218.007
„Tristan und Jsolde,“ hat man auch in neuer Zeit seine Anwendbarkeit pgo_218.008
für größere epische Dichtungen versucht, so z. B. Max Waldau in seiner pgo_218.009
„Cordula“:
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Graubündtner Land, du Netzgestrick pgo_218.011
Von Kamm und Thal, von Grat und Schlucht, pgo_218.012
Sehtrunken bestaunt des Pilgers Blick pgo_218.013
Der Matten Frische, der Felsen Wucht, pgo_218.014
Der Wasser Blitz in der Klemmen Spalt pgo_218.015
Und greiser Arven Riesengestalt.
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Natürlich würde er für ein Epos mit großen Kulturperspektiven und pgo_218.017
ernstem Völkerkampfe unangemessen sein, weil dazu seine tragende Kraft pgo_218.018
nicht ausreicht, während die poetische Erzählung, die nur ein persönliches pgo_218.019
Lebensschicksal behandelt, an diesem beweglichen Rhythmus eine genügende pgo_218.020
Stütze findet.
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c. Der fünffüßige Jambus. pgo_218.022
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Die Verehrer der antiken Metrik sind sehr geneigt, diesem Vers jede pgo_218.025
Berechtigung abzusprechen, während die dichterische Praxis der Neuzeit pgo_218.026
ihn zu ihrem Liebling erwählt hat. Jn der That tritt das Charakteristische pgo_218.027
des jambischen Metrums in ihm am schlagendsten hervor. Für pgo_218.028
das lyrische Empfindungselement hat er nicht genug Koncentration — pgo_218.029
dagegen ist er für das Drama, das Epos und das didaktische Gedicht pgo_218.030
gleichmäßig geeignet. Er hat Lebendigkeit, Spannung und Energie und pgo_218.031
ist geräumig genug, um größere objektive Ausführungen in sich aufzunehmen, pgo_218.032
jene bestimmter eingehenden Motivirungen, die für Tragödie und pgo_218.033
Epos unerläßlich sind. Dabei besitzt er eine hinlängliche Elasticität und pgo_218.034
Frische, um durch seinen immer neuen Anlauf nicht zu ermüden. Freilich pgo_218.035
hat man sich nicht mit Unrecht über die Monotonie seines Tonfalls, den pgo_218.036
sogenannten Jambentrab, besonders in den zahlreichen deklamatorischen
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