Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_196.001 Verschwunden ist der Glanz, entflohn die Ruhe -- pgo_196.002 Jch kenne mich in der Gefahr nicht mehr, pgo_196.003 Und schäme mich nicht mehr, es zu bekennen. pgo_196.004 Zerbrochen ist das Steuer, und es kracht pgo_196.005 Das Schiff an allen Seiten. Berstend reißt pgo_196.006 Der Boden unter meinen Füßen auf. pgo_196.007 Jch fasse Dich mit beiden Armen an. pgo_196.008 So klammert sich der Schiffer endlich noch pgo_196.009 Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte. pgo_196.010 Du kannst nicht klagen, daß ich Dich vergessen, pgo_196.019 pgo_196.022Sieh' her, in meines Herzens off'ne Wunden -- pgo_196.020 So viele Stunden, als ich dich besessen, pgo_196.021 So viele Narben werden drin gefunden. Dingelstedt. pgo_196.023 pgo_196.026 Der Königsthron hier, dies gekrönte Eiland, pgo_196.029 pgo_196.031Dies Land der Majestät, der Sitz des Mars, pgo_196.030 Dies zweite Eden, halbe Paradies u. s. f. Shakespeare. pgo_196.032 Jn diesem Jahrhundert durfte der Mensch nicht bei sich selbst pgo_196.035 den Keim eines Talentes suchen, dessen Quelle sinnlich ist. pgo_196.036 pgo_196.001 Verschwunden ist der Glanz, entflohn die Ruhe — pgo_196.002 Jch kenne mich in der Gefahr nicht mehr, pgo_196.003 Und schäme mich nicht mehr, es zu bekennen. pgo_196.004 Zerbrochen ist das Steuer, und es kracht pgo_196.005 Das Schiff an allen Seiten. Berstend reißt pgo_196.006 Der Boden unter meinen Füßen auf. pgo_196.007 Jch fasse Dich mit beiden Armen an. pgo_196.008 So klammert sich der Schiffer endlich noch pgo_196.009 Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte. pgo_196.010 Du kannst nicht klagen, daß ich Dich vergessen, pgo_196.019 pgo_196.022Sieh' her, in meines Herzens off'ne Wunden — pgo_196.020 So viele Stunden, als ich dich besessen, pgo_196.021 So viele Narben werden drin gefunden. Dingelstedt. pgo_196.023 pgo_196.026 Der Königsthron hier, dies gekrönte Eiland, pgo_196.029 pgo_196.031Dies Land der Majestät, der Sitz des Mars, pgo_196.030 Dies zweite Eden, halbe Paradies u. s. f. 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Solche Katachresen sind die härtesten z. B.</p> <lb n="pgo_196.018"/> <lg> <l>Du kannst nicht klagen, daß ich Dich vergessen,</l> <lb n="pgo_196.019"/> <l>Sieh' her, in meines Herzens <hi rendition="#g">off'ne Wunden</hi> —</l> <lb n="pgo_196.020"/> <l>So viele Stunden, als ich dich besessen,</l> <lb n="pgo_196.021"/> <l>So viele <hi rendition="#g">Narben</hi> werden drin gefunden.</l> </lg> <lb n="pgo_196.022"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Dingelstedt</hi>.</hi> </p> <p><lb n="pgo_196.023"/> Der Dichter, der auf die off'nen Wunden seines Herzens zeigt und <lb n="pgo_196.024"/> dieselben in einem Augenblick in <hi rendition="#g">Narben</hi> verwandelt, muthet der Phantasie <lb n="pgo_196.025"/> zuviel zu, die einer solchen Eskamotage nicht folgen kann.</p> <p><lb n="pgo_196.026"/> Unmöglich kann man indeß von <hi rendition="#g">Katachresen</hi> sprechen, wenn viele <lb n="pgo_196.027"/> selbstständige bildliche Appositionen neben dem Hauptwort stehn:</p> <lb n="pgo_196.028"/> <lg> <l>Der Königsthron hier, dies gekrönte Eiland,</l> <lb n="pgo_196.029"/> <l>Dies Land der Majestät, der Sitz des Mars,</l> <lb n="pgo_196.030"/> <l>Dies zweite Eden, halbe Paradies u. s. f.</l> </lg> <lb n="pgo_196.031"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Shakespeare</hi>.</hi> </p> <p><lb n="pgo_196.032"/> oder wenn in einem Relativsatze ein neues Bild angeknüpft wird, da dies <lb n="pgo_196.033"/> einen selbstständigen grammatischen Rahmen hat: z. 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Verschwunden ist der Glanz, entflohn die Ruhe — pgo_196.002
Jch kenne mich in der Gefahr nicht mehr, pgo_196.003
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Das Schiff an allen Seiten. Berstend reißt pgo_196.006
Der Boden unter meinen Füßen auf. pgo_196.007
Jch fasse Dich mit beiden Armen an. pgo_196.008
So klammert sich der Schiffer endlich noch pgo_196.009
Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte.
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Tasso vergleicht sich anfangs mit den sturmbewegten Wellen, und pgo_196.011
nachdem die Phantasie sich diesem herrlich ausgemalten Bilde mit Wohlgefallen pgo_196.012
hingegeben, verwandelt sich die Welle plötzlich in den scheiternden pgo_196.013
Schiffer. Diese Katachrese ist um so empfindlicher, als die pgo_196.014
andern Elemente des Bildes unverändert bleiben, denn die Phantasie pgo_196.015
verträgt eher einen kühnen Sprung in einen andern Kreis der Stoffwelt, pgo_196.016
als eine Metamorphose, während sie in dem Rahmen desselben Bildes pgo_196.017
verharren muß. Solche Katachresen sind die härtesten z. B.
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So viele Narben werden drin gefunden.
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Dingelstedt.
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Der Dichter, der auf die off'nen Wunden seines Herzens zeigt und pgo_196.024
dieselben in einem Augenblick in Narben verwandelt, muthet der Phantasie pgo_196.025
zuviel zu, die einer solchen Eskamotage nicht folgen kann.
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Unmöglich kann man indeß von Katachresen sprechen, wenn viele pgo_196.027
selbstständige bildliche Appositionen neben dem Hauptwort stehn:
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Der Königsthron hier, dies gekrönte Eiland, pgo_196.029
Dies Land der Majestät, der Sitz des Mars, pgo_196.030
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Shakespeare.
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einen selbstständigen grammatischen Rahmen hat: z. B.
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Jn diesem Jahrhundert durfte der Mensch nicht bei sich selbst pgo_196.035
den Keim eines Talentes suchen, dessen Quelle sinnlich ist.
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Noch wird die Vermischung des bildlichen und eigentlichen Ausdruckes
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