Was sagst du? Wie gefällt dir dieser Mann?pgo_189.002 Heut Abend sahst du ihn bei uns'rem Fest.pgo_189.003 Dann lies im Buche seines Angesichts,pgo_189.004 Jn das der Schönheit Griffel Wonne schrieb.pgo_189.005 Betrachte seiner Züge Lieblichkeit,pgo_189.006 Wie jeglicher dem andern Zierde leiht.pgo_189.007 Was dunkel in dem holden Buch geblieben,pgo_189.008 Das lies in seinem Aug' am Rand geschrieben,pgo_189.009 Und dieses Freiers ungebund'ner Stand,pgo_189.010 Dies Buch der Liebe braucht nur einen Band.pgo_189.011 Der Fisch lebt in der See und doppelt theuerpgo_189.012 Wird äuß'res Schön, als inn'rer Schönheit Schleier.pgo_189.013 Das Buch glänzt allermeist im Aug' der Welt,pgo_189.014 Das gold'ne Lehr' in gold'nen Spangen hält.
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Shakespeare, Romeo und Julie.
pgo_189.016 Wer fühlt nicht heraus, wie diese breitgeschlagene Metapher durch pgo_189.017 ihre Ausführung mit jeder Wendung matter und gezwungener wird, pgo_189.018 abgesehen davon, daß ein eingeschobenes fremdes Bild die Allegorie pgo_189.019 unterbricht. Shakespeare verspottet oft selbst diese ungebührlich breite pgo_189.020 Ausführung des Bildes, die er "ein Gleichniß zu Tode hetzen" nennt, ist pgo_189.021 aber selbst am wenigsten frei davon.
pgo_189.022 d. Die Geschmacklosigkeit, wenn das Bild an und für sich pgo_189.023 unziemlich und abstoßend, oder ungereimt und unsinnig (schwülstig, pgo_189.024 bombastisch) oder zu weit hergeholt ist, oder wenn, trotz des zutreffenden pgo_189.025 Vergleichungspunktes, die verglichenen Gegenstände in allen anderen pgo_189.026 Beziehungen so heterogen sind, daß die Unähnlichkeiten von selbst störend pgo_189.027 hervortreten. Alle diese Fehler der Bildlichkeit im ernsten Style können pgo_189.028 ebenso große Vorzüge im komischen sein. Selbst das anscheinend pgo_189.029 zu weit hergeholte und gelehrte Bild, das eines Kommentars bedarf, pgo_189.030 kann diesen Kommentar ungezwungen im komischen Style finden, wie pgo_189.031 dies z. B. bei Jean Paul der Fall ist. An geschmacklosen Bildern sind pgo_189.032 nicht nur Lohenstein und Hoffmannswaldau, sondern auch Shakespeare pgo_189.033 und seine Zeitgenossen, die Erstlingswerke Schiller's, die alten pgo_189.034 und neuen Kraftdramatiker, selbst Anastasius Grün und Karl Beckpgo_189.035 reich zu nennen. Unziemlich ist z. B. folgendes Bild:
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Was sagst du? Wie gefällt dir dieser Mann?pgo_189.002 Heut Abend sahst du ihn bei uns'rem Fest.pgo_189.003 Dann lies im Buche seines Angesichts,pgo_189.004 Jn das der Schönheit Griffel Wonne schrieb.pgo_189.005 Betrachte seiner Züge Lieblichkeit,pgo_189.006 Wie jeglicher dem andern Zierde leiht.pgo_189.007 Was dunkel in dem holden Buch geblieben,pgo_189.008 Das lies in seinem Aug' am Rand geschrieben,pgo_189.009 Und dieses Freiers ungebund'ner Stand,pgo_189.010 Dies Buch der Liebe braucht nur einen Band.pgo_189.011 Der Fisch lebt in der See und doppelt theuerpgo_189.012 Wird äuß'res Schön, als inn'rer Schönheit Schleier.pgo_189.013 Das Buch glänzt allermeist im Aug' der Welt,pgo_189.014 Das gold'ne Lehr' in gold'nen Spangen hält.
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Shakespeare, Romeo und Julie.
pgo_189.016 Wer fühlt nicht heraus, wie diese breitgeschlagene Metapher durch pgo_189.017 ihre Ausführung mit jeder Wendung matter und gezwungener wird, pgo_189.018 abgesehen davon, daß ein eingeschobenes fremdes Bild die Allegorie pgo_189.019 unterbricht. Shakespeare verspottet oft selbst diese ungebührlich breite pgo_189.020 Ausführung des Bildes, die er „ein Gleichniß zu Tode hetzen“ nennt, ist pgo_189.021 aber selbst am wenigsten frei davon.
pgo_189.022 d. Die Geschmacklosigkeit, wenn das Bild an und für sich pgo_189.023 unziemlich und abstoßend, oder ungereimt und unsinnig (schwülstig, pgo_189.024 bombastisch) oder zu weit hergeholt ist, oder wenn, trotz des zutreffenden pgo_189.025 Vergleichungspunktes, die verglichenen Gegenstände in allen anderen pgo_189.026 Beziehungen so heterogen sind, daß die Unähnlichkeiten von selbst störend pgo_189.027 hervortreten. Alle diese Fehler der Bildlichkeit im ernsten Style können pgo_189.028 ebenso große Vorzüge im komischen sein. Selbst das anscheinend pgo_189.029 zu weit hergeholte und gelehrte Bild, das eines Kommentars bedarf, pgo_189.030 kann diesen Kommentar ungezwungen im komischen Style finden, wie pgo_189.031 dies z. B. bei Jean Paul der Fall ist. An geschmacklosen Bildern sind pgo_189.032 nicht nur Lohenstein und Hoffmannswaldau, sondern auch Shakespeare pgo_189.033 und seine Zeitgenossen, die Erstlingswerke Schiller's, die alten pgo_189.034 und neuen Kraftdramatiker, selbst Anastasius Grün und Karl Beckpgo_189.035 reich zu nennen. Unziemlich ist z. B. folgendes Bild:
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/211>, abgerufen am 16.07.2024.
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