pgo_187.001 Gärten voll Bilderpracht zwischen Himmel und Erde trieb, schuf bei den pgo_187.002 alten Griechen plastische Göttergestalten, so daß der Ueberschuß an Bildlichkeit pgo_187.003 ein geringer blieb, da die religiöse Phantasie fast ganz in diesen pgo_187.004 festen, menschgewordenen Bildern aufging!
pgo_187.005 Welche Zeit ist aber reicher an großartigen Weltperspektiven, an einer pgo_187.006 stets neue Bilder aus dem großen und kleinen Kosmos heraufzaubernden pgo_187.007 Kenntniß, als die unsrige? Welche Zeit hat größere Krisen menschheitlicher pgo_187.008 Entwickelung hinter sich? Welche Zeit hat die Seele des Menschen pgo_187.009 tiefer durchforscht? Die dichterische Stoffwelt hat außerordentlich an pgo_187.010 Fülle gewonnen, und ein reicher Genius braucht sich nicht in den ausgefahrenen pgo_187.011 Gleisen der hergebrachten Bildlichkeit zu bewegen; ihm ist eine pgo_187.012 neue Welt erschlossen, die ihm bereitwillig zu neuen Vertauschungen und pgo_187.013 Bildern ihre Schätze hergiebt. Wir sind indeß weit davon entfernt zu pgo_187.014 behaupten, daß die Bildlichkeit des Ausdruckes eine unerläßliche Forderung pgo_187.015 für die Schönheit des dichterischen Styles sei. Der einfache Lyriker, pgo_187.016 der plastische Epiker kann sich ebenso mit den eigentlichen Ausdrücken pgo_187.017 begnügen; ja es giebt dichterische Talente, welche die Klarheit der pgo_187.018 Anschauung und Jnnigkeit der Empfindung angemessen nur ohne alle pgo_187.019 Bildlichkeit auszudrücken vermögen. Der Dramatiker kann ebensogut pgo_187.020 in gedankenvollen Antithesen, wie Schiller, als in schlagenden Metaphern, pgo_187.021 wie Shakespeare, den angemessenen Ausdruck seines Pathos finden.
pgo_187.022 Doch für ein vorzugsweise phantasiereiches Talent müssen aus dem pgo_187.023 Receptenbuch der alten Rhetorik einzelne Vorschriften ausgezogen werden, pgo_187.024 um den Gebrauch der Bilder zu regeln, freilich nicht ohne das Bekenntniß pgo_187.025 vorauszuschicken, daß diese gültigen Normen des Ausdrucks den pgo_187.026 höheren Gesetzen der dichterischen Charakteristik im Kollisionsfalle nachstehen pgo_187.027 müssen. Auch im Uebrigen muß diese Menge von Recepten verringert pgo_187.028 werden; es sind Regeln aufgestellt, wie z. B. die sinnliche pgo_187.029 Anschaulichkeit des Bildes, die für die stimmungsvollen Bilder des pgo_187.030 Gemüthes nicht passen, und denen man die schönsten Vergleichungen pgo_187.031 Ossian's als fehlerhaft opfern müßte. Wir betrachten zuerst das Bild pgo_187.032 an und für sich, dann das Bild in Bezug zu anderen Bildern und zuletzt pgo_187.033 das Bild in Bezug auf seine Angemessenheit zu den einzelnen Dichtarten.
pgo_187.034
pgo_187.035 1) Zu den Fehlern des einzelnen Bildes rechnen wir:
pgo_187.001 Gärten voll Bilderpracht zwischen Himmel und Erde trieb, schuf bei den pgo_187.002 alten Griechen plastische Göttergestalten, so daß der Ueberschuß an Bildlichkeit pgo_187.003 ein geringer blieb, da die religiöse Phantasie fast ganz in diesen pgo_187.004 festen, menschgewordenen Bildern aufging!
pgo_187.005 Welche Zeit ist aber reicher an großartigen Weltperspektiven, an einer pgo_187.006 stets neue Bilder aus dem großen und kleinen Kosmos heraufzaubernden pgo_187.007 Kenntniß, als die unsrige? Welche Zeit hat größere Krisen menschheitlicher pgo_187.008 Entwickelung hinter sich? Welche Zeit hat die Seele des Menschen pgo_187.009 tiefer durchforscht? Die dichterische Stoffwelt hat außerordentlich an pgo_187.010 Fülle gewonnen, und ein reicher Genius braucht sich nicht in den ausgefahrenen pgo_187.011 Gleisen der hergebrachten Bildlichkeit zu bewegen; ihm ist eine pgo_187.012 neue Welt erschlossen, die ihm bereitwillig zu neuen Vertauschungen und pgo_187.013 Bildern ihre Schätze hergiebt. Wir sind indeß weit davon entfernt zu pgo_187.014 behaupten, daß die Bildlichkeit des Ausdruckes eine unerläßliche Forderung pgo_187.015 für die Schönheit des dichterischen Styles sei. Der einfache Lyriker, pgo_187.016 der plastische Epiker kann sich ebenso mit den eigentlichen Ausdrücken pgo_187.017 begnügen; ja es giebt dichterische Talente, welche die Klarheit der pgo_187.018 Anschauung und Jnnigkeit der Empfindung angemessen nur ohne alle pgo_187.019 Bildlichkeit auszudrücken vermögen. Der Dramatiker kann ebensogut pgo_187.020 in gedankenvollen Antithesen, wie Schiller, als in schlagenden Metaphern, pgo_187.021 wie Shakespeare, den angemessenen Ausdruck seines Pathos finden.
pgo_187.022 Doch für ein vorzugsweise phantasiereiches Talent müssen aus dem pgo_187.023 Receptenbuch der alten Rhetorik einzelne Vorschriften ausgezogen werden, pgo_187.024 um den Gebrauch der Bilder zu regeln, freilich nicht ohne das Bekenntniß pgo_187.025 vorauszuschicken, daß diese gültigen Normen des Ausdrucks den pgo_187.026 höheren Gesetzen der dichterischen Charakteristik im Kollisionsfalle nachstehen pgo_187.027 müssen. Auch im Uebrigen muß diese Menge von Recepten verringert pgo_187.028 werden; es sind Regeln aufgestellt, wie z. B. die sinnliche pgo_187.029 Anschaulichkeit des Bildes, die für die stimmungsvollen Bilder des pgo_187.030 Gemüthes nicht passen, und denen man die schönsten Vergleichungen pgo_187.031 Ossian's als fehlerhaft opfern müßte. Wir betrachten zuerst das Bild pgo_187.032 an und für sich, dann das Bild in Bezug zu anderen Bildern und zuletzt pgo_187.033 das Bild in Bezug auf seine Angemessenheit zu den einzelnen Dichtarten.
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Gärten voll Bilderpracht zwischen Himmel und Erde trieb, schuf bei den pgo_187.002
alten Griechen plastische Göttergestalten, so daß der Ueberschuß an Bildlichkeit pgo_187.003
ein geringer blieb, da die religiöse Phantasie fast ganz in diesen pgo_187.004
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Welche Zeit ist aber reicher an großartigen Weltperspektiven, an einer pgo_187.006
stets neue Bilder aus dem großen und kleinen Kosmos heraufzaubernden pgo_187.007
Kenntniß, als die unsrige? Welche Zeit hat größere Krisen menschheitlicher pgo_187.008
Entwickelung hinter sich? Welche Zeit hat die Seele des Menschen pgo_187.009
tiefer durchforscht? Die dichterische Stoffwelt hat außerordentlich an pgo_187.010
Fülle gewonnen, und ein reicher Genius braucht sich nicht in den ausgefahrenen pgo_187.011
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das Bild in Bezug auf seine Angemessenheit zu den einzelnen Dichtarten.
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/209>, abgerufen am 25.11.2024.
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