pgo_181.006 7) Das Paradoxon, eine Redefigur, die scheinbar Unverträgliches pgo_181.007 durch eine tiefere Einheit des Gedankens zusammenkettet. Der Reiz dieser pgo_181.008 Figur liegt in der Kühnheit, mit welcher der Widerspruch hingestellt pgo_181.009 wird, und der stillen Freude, daß man den Schlüssel zu seiner Lösung pgo_181.010 in Händen hat.
pgo_181.011 Das Paradoxon ist entweder blos logisch z. B.
pgo_181.012
Du übersinnlich sinnlicher Freier.
pgo_181.013
Goethe, Faust.
pgo_181.014
Regular confusion.
pgo_181.015
Addison, Cato.
pgo_181.016 oder es ist metaphorisch z. B.
pgo_181.017
Mond meiner Tage, meiner Nächte Sonne,pgo_181.018 Hoch über mir geh' Deinen Strahlenlauf.
pgo_181.019
Dingelstedt.
pgo_181.020 Die Vorliebe für das Zusammenfassen unverträglicher Bestimmungen, pgo_181.021 deren tiefere Einheit oft nur eine scheinbare ist, schafft den paradoxen pgo_181.022 Styl, der sich auch auf die Komposition größerer Kunstwerke bezieht. pgo_181.023 So ist Hebbel paradox im Entwurf seiner Dramen und in ihrer Charakteristik, pgo_181.024 während Arthur Schopenhauer ein paradoxer Denker ist.
pgo_181.025 6) Die Jronie ist diejenige Redefigur, welche das Gegentheil von pgo_181.026 dem sagt, was sie meint*). Der Widerspruch besteht hier nicht zwischen pgo_181.027 den einzelnen, nebeneinander gestellten Gedankenbestimmungen, wie im pgo_181.028 Paradoxon, sondern zwischen dem Gedanken und seinem Ausdruckpgo_181.029 durch die Rede. Die Jronie ist die Heuchelei des Geistes, der das Nichtige pgo_181.030 vernichtet, indem er's preist, und das Hohe erhebt, indem er es pgo_181.031 herabsetzt. Jhre Stimmung beruht, wie der Reiz des Paradoxon, auf pgo_181.032 einem Widerspruche, dessen unmittelbare Lösung die Phantasie erfreut. pgo_181.033 Jn dieser einfachen Form war die Jronie schon den alten Klassikern pgo_181.034 geläufig! So verhöhnt Patroklos bei Homer den Kebriones, der, von pgo_181.035 seinem Stein getroffen, vom Wagensitz herabschießt:
*)pgo_181.036 Ironia est alia dicentis et alia significantis dissimulatio. Cic. de Orat. 3.
pgo_181.001
Leicester.
pgo_181.002
Wenn wir verderben, reißen wir sie nach.
pgo_181.003
Mortimer.
pgo_181.004
Wenn wir uns schonen, wird sie nicht gerettet.
pgo_181.005
Schiller, Maria Stuart.
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pgo_181.011 Das Paradoxon ist entweder blos logisch z. B.
pgo_181.012
Du übersinnlich sinnlicher Freier.
pgo_181.013
Goethe, Faust.
pgo_181.014
Regular confusion.
pgo_181.015
Addison, Cato.
pgo_181.016 oder es ist metaphorisch z. B.
pgo_181.017
Mond meiner Tage, meiner Nächte Sonne,pgo_181.018 Hoch über mir geh' Deinen Strahlenlauf.
pgo_181.019
Dingelstedt.
pgo_181.020 Die Vorliebe für das Zusammenfassen unverträglicher Bestimmungen, pgo_181.021 deren tiefere Einheit oft nur eine scheinbare ist, schafft den paradoxen pgo_181.022 Styl, der sich auch auf die Komposition größerer Kunstwerke bezieht. pgo_181.023 So ist Hebbel paradox im Entwurf seiner Dramen und in ihrer Charakteristik, pgo_181.024 während Arthur Schopenhauer ein paradoxer Denker ist.
pgo_181.025 6) Die Jronie ist diejenige Redefigur, welche das Gegentheil von pgo_181.026 dem sagt, was sie meint*). Der Widerspruch besteht hier nicht zwischen pgo_181.027 den einzelnen, nebeneinander gestellten Gedankenbestimmungen, wie im pgo_181.028 Paradoxon, sondern zwischen dem Gedanken und seinem Ausdruckpgo_181.029 durch die Rede. Die Jronie ist die Heuchelei des Geistes, der das Nichtige pgo_181.030 vernichtet, indem er's preist, und das Hohe erhebt, indem er es pgo_181.031 herabsetzt. Jhre Stimmung beruht, wie der Reiz des Paradoxon, auf pgo_181.032 einem Widerspruche, dessen unmittelbare Lösung die Phantasie erfreut. pgo_181.033 Jn dieser einfachen Form war die Jronie schon den alten Klassikern pgo_181.034 geläufig! So verhöhnt Patroklos bei Homer den Kebriones, der, von pgo_181.035 seinem Stein getroffen, vom Wagensitz herabschießt:
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Leicester.
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Schiller, Maria Stuart.
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Goethe, Faust.
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pgo_181.016
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pgo_181.020
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6) Die Jronie ist diejenige Redefigur, welche das Gegentheil von pgo_181.026
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Jn dieser einfachen Form war die Jronie schon den alten Klassikern pgo_181.034
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seinem Stein getroffen, vom Wagensitz herabschießt:
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Ironia est alia dicentis et alia significantis dissimulatio. Cic. de Orat. 3.
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/203>, abgerufen am 16.07.2024.
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