Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_178.001 pgo_178.010 Jn das wilde Fest der Freuden pgo_178.014 Mischten sie den Wehgesang, pgo_178.015 Klagend um das eig'ne Leiden pgo_178.016 Jn des Reiches Untergang. pgo_178.017 pgo_178.019 Leicht bei einander wohnen die Gedanken, pgo_178.020 Doch hart im Raume stoßen sich die Dinge. pgo_178.021 pgo_178.026 pgo_178.001 pgo_178.010 Jn das wilde Fest der Freuden pgo_178.014 Mischten sie den Wehgesang, pgo_178.015 Klagend um das eig'ne Leiden pgo_178.016 Jn des Reiches Untergang. pgo_178.017 pgo_178.019 Leicht bei einander wohnen die Gedanken, pgo_178.020 Doch hart im Raume stoßen sich die Dinge. pgo_178.021 pgo_178.026 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0200" n="178"/><lb n="pgo_178.001"/> aber nothwendig ergänzenden Begriffes, wie es in der <lb n="pgo_178.002"/> „Antithese“ geschieht, giebt dem Ausdruck Fülle und Schärfe, dem Verstande <lb n="pgo_178.003"/> und der Phantasie Befriedigung. Die <hi rendition="#g">Antithese</hi> ist nicht blos <lb n="pgo_178.004"/> logisch, indem sie Begriffsbestimmungen gegenüberstellt; sie gehört ebenso <lb n="pgo_178.005"/> gut der Sprache der Leidenschaft an, indem sie kontrastirende Bilder entgegensetzt. <lb n="pgo_178.006"/> Die Antithese ist eine schlagende Form für die Sentenz. <lb n="pgo_178.007"/> Darum sind sentenzenreiche Schriftsteller und Dichter, wie Seneca und <lb n="pgo_178.008"/> Schiller, sehr reich an ihnen; aber auch scharfe, analytische Denker, wie <lb n="pgo_178.009"/> Lessing, Boerne, Feuerbach sind glücklich in ihren Antithesen.</p> <p><lb n="pgo_178.010"/> Die <hi rendition="#g">einfache</hi> Antithese stellt nur zwei Bestimmungen gegenüber; <lb n="pgo_178.011"/> die <hi rendition="#g">zusammengesetzte</hi> mehrere. Zwei einfache Antithesen enthält der <lb n="pgo_178.012"/> Vers Schiller's:</p> <lb n="pgo_178.013"/> <lg> <l>Jn das wilde Fest der <hi rendition="#g">Freuden</hi></l> <lb n="pgo_178.014"/> <l>Mischten sie den <hi rendition="#g">Wehgesang,</hi></l> <lb n="pgo_178.015"/> <l>Klagend um das <hi rendition="#g">eig'ne Leiden</hi></l> <lb n="pgo_178.016"/> <l>Jn des Reiches <hi rendition="#g">Untergang</hi>.</l> </lg> <p><lb n="pgo_178.017"/> eine <hi rendition="#g">zusammengesetzte</hi> dagegen die bekannte Sentenz im „<hi rendition="#g">Wallenstein</hi>“:</p> <lb n="pgo_178.018"/> <lb n="pgo_178.019"/> <lg> <l><hi rendition="#g">Leicht</hi> bei <hi rendition="#g">einander wohnen</hi> die <hi rendition="#g">Gedanken,</hi></l> <lb n="pgo_178.020"/> <l>Doch <hi rendition="#g">hart</hi> im <hi rendition="#g">Raume stoßen</hi> sich die <hi rendition="#g">Dinge</hi>.</l> </lg> <p><lb n="pgo_178.021"/> Die zusammengesetzte Antithese erfordert eine <hi rendition="#g">symmetrische</hi> Anordnung <lb n="pgo_178.022"/> der entgegenstehenden Bestimmungen, sodaß der Gedanke wie ein <lb n="pgo_178.023"/> elektrischer Blitz durch eine Voltaische Säule regelmäßig gepaarter, polarer <lb n="pgo_178.024"/> Bestimmungen hindurchzuckt. Auf dieser Symmetrie beruht die <lb n="pgo_178.025"/> Eleganz, Präcision und schlagende Schärfe des Styles.</p> <p><lb n="pgo_178.026"/> Es ist noch nicht hinlänglich beachtet worden, wie der Styl Schiller's <lb n="pgo_178.027"/> aus lauter Antithesen zusammengeschichtet ist. Eine galvanische Kette <lb n="pgo_178.028"/> blitzender Gegensätze geht durch alle seine Werke, und auf ihnen vorzugsweise <lb n="pgo_178.029"/> beruht die elektrisirende Wirkung seiner Sprache. Es bleibt <lb n="pgo_178.030"/> bewundernswerth, daß die stereotype Anwendung einer und derselben <lb n="pgo_178.031"/> Redefigur keine größere Ermüdung hervorruft und den Fluß der Begeisterung <lb n="pgo_178.032"/> nicht öfter in's Stocken bringt. Gerade wie Cuvier aus dem aufgefundenen <lb n="pgo_178.033"/> Knochen eines vorsündfluthlichen Thieres den ganzen Organismus <lb n="pgo_178.034"/> desselben nach der Nothwendigkeit des Naturgesetzes aufzubauen <lb n="pgo_178.035"/> verstand: so kann der Aesthetiker aus einer einzelnen äußerlichen Figur </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [178/0200]
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aber nothwendig ergänzenden Begriffes, wie es in der pgo_178.002
„Antithese“ geschieht, giebt dem Ausdruck Fülle und Schärfe, dem Verstande pgo_178.003
und der Phantasie Befriedigung. Die Antithese ist nicht blos pgo_178.004
logisch, indem sie Begriffsbestimmungen gegenüberstellt; sie gehört ebenso pgo_178.005
gut der Sprache der Leidenschaft an, indem sie kontrastirende Bilder entgegensetzt. pgo_178.006
Die Antithese ist eine schlagende Form für die Sentenz. pgo_178.007
Darum sind sentenzenreiche Schriftsteller und Dichter, wie Seneca und pgo_178.008
Schiller, sehr reich an ihnen; aber auch scharfe, analytische Denker, wie pgo_178.009
Lessing, Boerne, Feuerbach sind glücklich in ihren Antithesen.
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Die einfache Antithese stellt nur zwei Bestimmungen gegenüber; pgo_178.011
die zusammengesetzte mehrere. Zwei einfache Antithesen enthält der pgo_178.012
Vers Schiller's:
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Jn das wilde Fest der Freuden pgo_178.014
Mischten sie den Wehgesang, pgo_178.015
Klagend um das eig'ne Leiden pgo_178.016
Jn des Reiches Untergang.
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eine zusammengesetzte dagegen die bekannte Sentenz im „Wallenstein“:
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Leicht bei einander wohnen die Gedanken, pgo_178.020
Doch hart im Raume stoßen sich die Dinge.
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Die zusammengesetzte Antithese erfordert eine symmetrische Anordnung pgo_178.022
der entgegenstehenden Bestimmungen, sodaß der Gedanke wie ein pgo_178.023
elektrischer Blitz durch eine Voltaische Säule regelmäßig gepaarter, polarer pgo_178.024
Bestimmungen hindurchzuckt. Auf dieser Symmetrie beruht die pgo_178.025
Eleganz, Präcision und schlagende Schärfe des Styles.
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Es ist noch nicht hinlänglich beachtet worden, wie der Styl Schiller's pgo_178.027
aus lauter Antithesen zusammengeschichtet ist. Eine galvanische Kette pgo_178.028
blitzender Gegensätze geht durch alle seine Werke, und auf ihnen vorzugsweise pgo_178.029
beruht die elektrisirende Wirkung seiner Sprache. Es bleibt pgo_178.030
bewundernswerth, daß die stereotype Anwendung einer und derselben pgo_178.031
Redefigur keine größere Ermüdung hervorruft und den Fluß der Begeisterung pgo_178.032
nicht öfter in's Stocken bringt. Gerade wie Cuvier aus dem aufgefundenen pgo_178.033
Knochen eines vorsündfluthlichen Thieres den ganzen Organismus pgo_178.034
desselben nach der Nothwendigkeit des Naturgesetzes aufzubauen pgo_178.035
verstand: so kann der Aesthetiker aus einer einzelnen äußerlichen Figur
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