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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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5. Die Metonymie.

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Die Metonymie, ein bei weitem farbloserer und unbedeutenderer pgo_172.003
Tropus, als die vorhergehenden, ist von den alten Rhetorikern mit einer pgo_172.004
erschreckenden Ausführlichkeit behandelt worden; ja sie haben, damit nicht pgo_172.005
zufrieden, einzelne Unterarten der Metonymie, wie z. B. die Synekdoche, pgo_172.006
wieder zu selbstständigen Tropen gestempelt, um ihrer unerschöpflichen pgo_172.007
Kasuistik das Vergnügen zu gönnen, mit neuen Aufzählungen wieder von pgo_172.008
vorn anzufangen.

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Die Metonymie setzt einen Gegenstand für den anderen nicht wegen pgo_172.010
der Aehnlichkeit, wie die Metapher, sondern wegen der Nähe der pgo_172.011
Beziehungen,
in denen sie zu einander stehen. Sie setzt daher eine pgo_172.012
geistige oder sinnliche Nähe voraus, während die Metapher das pgo_172.013
entlegenste Bild für ihren Gegenstand setzen kann. Die Metonymie steht pgo_172.014
dicht an der Grenze, wo das Bild zur grammatischen Figur erblaßt. pgo_172.015
Sie kann daher niemals die Eigenthümlichkeit einer besonderen Dichtart, pgo_172.016
eines besonderen Dichters bilden; sie findet sich zerstreut in den verschiedensten pgo_172.017
Werken der Dichter, Redner und Historiker und ist zum Theile pgo_172.018
selbst in der gewöhnlichen Umgangssprache im Schwang. Wer z. B. pgo_172.019
sagt: "ich lese Schiller," statt "Schiller's Werke," oder: "Napoleon pgo_172.020
gewann die Schlacht," statt "sein Heer oder seine Soldaten," oder "den pgo_172.021
Beistand des Himmels anrufen" statt "den Beistand Gottes" hat sich pgo_172.022
einer Metonymie im Sinne der alten Rhetoriker schuldig gemacht. Sie pgo_172.023
nannten Metonymie den Tropus, welcher die Ursache für die Wirkung pgo_172.024
und umgekehrt, das Zeichen für die bezeichnete Sache, den Ort für die pgo_172.025
Sache, welche darin enthalten ist, das Werkzeug für den Träger des pgo_172.026
Werkzeuges, den Besitzer für die besessene Sache, den Feldherrn für die pgo_172.027
Soldaten u. s. f. setzt, Synekdoche dagegen den Tropus, der das pgo_172.028
Ganze für einen Theil oder einen Theil für das Ganze, die Gattung für pgo_172.029
die Art oder die Art für die Gattung, das Abstraktum für das Konkretum pgo_172.030
oder das Konkretum für das Abstraktum, die Einzahl für die Mehrzahl pgo_172.031
oder umgekehrt anwendet. Man sieht, daß die Unterscheidung ganz pgo_172.032
willkürlich ist und daß beide Tropen unter einen gemeinsamen Begriff pgo_172.033
fallen.

pgo_172.034
Die Lebendigkeit, die dieser Tropus der Beziehungen gewährt,

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5. Die Metonymie.

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Die Metonymie setzt einen Gegenstand für den anderen nicht wegen pgo_172.010
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Sie kann daher niemals die Eigenthümlichkeit einer besonderen Dichtart, pgo_172.016
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[172/0194] pgo_172.001 5. Die Metonymie. pgo_172.002 Die Metonymie, ein bei weitem farbloserer und unbedeutenderer pgo_172.003 Tropus, als die vorhergehenden, ist von den alten Rhetorikern mit einer pgo_172.004 erschreckenden Ausführlichkeit behandelt worden; ja sie haben, damit nicht pgo_172.005 zufrieden, einzelne Unterarten der Metonymie, wie z. B. die Synekdoche, pgo_172.006 wieder zu selbstständigen Tropen gestempelt, um ihrer unerschöpflichen pgo_172.007 Kasuistik das Vergnügen zu gönnen, mit neuen Aufzählungen wieder von pgo_172.008 vorn anzufangen. pgo_172.009 Die Metonymie setzt einen Gegenstand für den anderen nicht wegen pgo_172.010 der Aehnlichkeit, wie die Metapher, sondern wegen der Nähe der pgo_172.011 Beziehungen, in denen sie zu einander stehen. Sie setzt daher eine pgo_172.012 geistige oder sinnliche Nähe voraus, während die Metapher das pgo_172.013 entlegenste Bild für ihren Gegenstand setzen kann. Die Metonymie steht pgo_172.014 dicht an der Grenze, wo das Bild zur grammatischen Figur erblaßt. pgo_172.015 Sie kann daher niemals die Eigenthümlichkeit einer besonderen Dichtart, pgo_172.016 eines besonderen Dichters bilden; sie findet sich zerstreut in den verschiedensten pgo_172.017 Werken der Dichter, Redner und Historiker und ist zum Theile pgo_172.018 selbst in der gewöhnlichen Umgangssprache im Schwang. Wer z. B. pgo_172.019 sagt: „ich lese Schiller,“ statt „Schiller's Werke,“ oder: „Napoleon pgo_172.020 gewann die Schlacht,“ statt „sein Heer oder seine Soldaten,“ oder „den pgo_172.021 Beistand des Himmels anrufen“ statt „den Beistand Gottes“ hat sich pgo_172.022 einer Metonymie im Sinne der alten Rhetoriker schuldig gemacht. Sie pgo_172.023 nannten Metonymie den Tropus, welcher die Ursache für die Wirkung pgo_172.024 und umgekehrt, das Zeichen für die bezeichnete Sache, den Ort für die pgo_172.025 Sache, welche darin enthalten ist, das Werkzeug für den Träger des pgo_172.026 Werkzeuges, den Besitzer für die besessene Sache, den Feldherrn für die pgo_172.027 Soldaten u. s. f. setzt, Synekdoche dagegen den Tropus, der das pgo_172.028 Ganze für einen Theil oder einen Theil für das Ganze, die Gattung für pgo_172.029 die Art oder die Art für die Gattung, das Abstraktum für das Konkretum pgo_172.030 oder das Konkretum für das Abstraktum, die Einzahl für die Mehrzahl pgo_172.031 oder umgekehrt anwendet. Man sieht, daß die Unterscheidung ganz pgo_172.032 willkürlich ist und daß beide Tropen unter einen gemeinsamen Begriff pgo_172.033 fallen. pgo_172.034 Die Lebendigkeit, die dieser Tropus der Beziehungen gewährt,

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/194>, abgerufen am 24.11.2024.