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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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sagt, und vor Allem der Gestalt keine todte und ruhende, sondern eine pgo_165.002
lebensvolle und bewegte Bedeutung beilegen. Die Furcht, die Hoffnung, pgo_165.003
die Sorge male der Dichter durch ihre Wirkungen, und ihr persönliches pgo_165.004
Bild deute er durch einen bezeichnenden Zug an. So führt Goethe im pgo_165.005
zweiten Theil des "Faust" den Mangel, die Schuld, die Sorge, die Noth pgo_165.006
als "vier graue Weiber" ein. Mangel, Schuld und Noth finden die Thüre pgo_165.007
verschlossen, weil ein Reicher drinnen wohnt. Die Sorge aber spricht:

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Jhr Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein, pgo_165.009
Die Sorge, sie schleicht sich durch's Schlüsselloch ein!

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Das ist geistreich und anschaulich zugleich, ebenso glücklich wie jene pgo_165.011
"atrox cura" des Horaz, die sich hinter dem Reiter auf das Pferd setzt. pgo_165.012
Auch in der Rede, welche "die Sorge" an "Faust" richtet, herrscht dichterische pgo_165.013
Lebendigkeit vor, da sie sich durch ihre Wirkungen malt:

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Wen ich einmal nur besitze, pgo_165.015
Dem ist alle Welt nichts nütze; pgo_165.016
Ew'ges Düst're steigt herunter, pgo_165.017
Sonne geht nicht auf noch unter. pgo_165.018
Bei vollkomm'nen äußern Sinnen pgo_165.019
Wohnen Finsternisse drinnen, pgo_165.020
Und er weiß von allen Schätzen pgo_165.021
Sich nicht in Besitz zu setzen. pgo_165.022
Glück und Unglück wird zur Grille, pgo_165.023
Er verhungert in der Fülle. pgo_165.024
Sei es Wonne, sei es Plage, pgo_165.025
Schiebt er's zu dem andern Tage, pgo_165.026
Jst der Zukunft nur gewärtig, pgo_165.027
Und so wird er niemals fertig.

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Ebenso glücklich ist in jenem Maskenscherz am Hofe des Kaisers "die pgo_165.029
Furcht" dargestellt:

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Dunst'ge Fackeln, Lampen, Lichter pgo_165.031
Dämmern durch's verworrne Fest, pgo_165.032
Zwischen diese Truggesichter pgo_165.033
Bannt mich ach! die Kette fest!
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Fort, ihr lächerlichen Lacher! pgo_165.035
Euer Grinsen giebt Verdacht! pgo_165.036
Alle meine Widersacher pgo_165.037
Drängen mich in dieser Nacht. u. s. f.

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sagt, und vor Allem der Gestalt keine todte und ruhende, sondern eine pgo_165.002
lebensvolle und bewegte Bedeutung beilegen. Die Furcht, die Hoffnung, pgo_165.003
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Jhr Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein, pgo_165.009
Die Sorge, sie schleicht sich durch's Schlüsselloch ein!

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Das ist geistreich und anschaulich zugleich, ebenso glücklich wie jene pgo_165.011
„atrox cura“ des Horaz, die sich hinter dem Reiter auf das Pferd setzt. pgo_165.012
Auch in der Rede, welche „die Sorge“ an „Faust“ richtet, herrscht dichterische pgo_165.013
Lebendigkeit vor, da sie sich durch ihre Wirkungen malt:

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Wen ich einmal nur besitze, pgo_165.015
Dem ist alle Welt nichts nütze; pgo_165.016
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Jst der Zukunft nur gewärtig, pgo_165.027
Und so wird er niemals fertig.

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Ebenso glücklich ist in jenem Maskenscherz am Hofe des Kaisers „die pgo_165.029
Furcht“ dargestellt:

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Dunst'ge Fackeln, Lampen, Lichter pgo_165.031
Dämmern durch's verworrne Fest, pgo_165.032
Zwischen diese Truggesichter pgo_165.033
Bannt mich ach! die Kette fest!
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Fort, ihr lächerlichen Lacher! pgo_165.035
Euer Grinsen giebt Verdacht! pgo_165.036
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/187>, abgerufen am 22.11.2024.