Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_165.001 Jhr Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein, pgo_165.009 Die Sorge, sie schleicht sich durch's Schlüsselloch ein! pgo_165.010 Wen ich einmal nur besitze, pgo_165.015 Dem ist alle Welt nichts nütze; pgo_165.016 Ew'ges Düst're steigt herunter, pgo_165.017 Sonne geht nicht auf noch unter. pgo_165.018 Bei vollkomm'nen äußern Sinnen pgo_165.019 Wohnen Finsternisse drinnen, pgo_165.020 Und er weiß von allen Schätzen pgo_165.021 Sich nicht in Besitz zu setzen. pgo_165.022 Glück und Unglück wird zur Grille, pgo_165.023 Er verhungert in der Fülle. pgo_165.024 Sei es Wonne, sei es Plage, pgo_165.025 Schiebt er's zu dem andern Tage, pgo_165.026 Jst der Zukunft nur gewärtig, pgo_165.027 Und so wird er niemals fertig. pgo_165.028 Dunst'ge Fackeln, Lampen, Lichter pgo_165.031 Dämmern durch's verworrne Fest, pgo_165.032 Zwischen diese Truggesichter pgo_165.033 Bannt mich ach! die Kette fest! pgo_165.034
Fort, ihr lächerlichen Lacher! pgo_165.035 Euer Grinsen giebt Verdacht! pgo_165.036 Alle meine Widersacher pgo_165.037 Drängen mich in dieser Nacht. u. s. f. pgo_165.001 Jhr Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein, pgo_165.009 Die Sorge, sie schleicht sich durch's Schlüsselloch ein! pgo_165.010 Wen ich einmal nur besitze, pgo_165.015 Dem ist alle Welt nichts nütze; pgo_165.016 Ew'ges Düst're steigt herunter, pgo_165.017 Sonne geht nicht auf noch unter. pgo_165.018 Bei vollkomm'nen äußern Sinnen pgo_165.019 Wohnen Finsternisse drinnen, pgo_165.020 Und er weiß von allen Schätzen pgo_165.021 Sich nicht in Besitz zu setzen. pgo_165.022 Glück und Unglück wird zur Grille, pgo_165.023 Er verhungert in der Fülle. pgo_165.024 Sei es Wonne, sei es Plage, pgo_165.025 Schiebt er's zu dem andern Tage, pgo_165.026 Jst der Zukunft nur gewärtig, pgo_165.027 Und so wird er niemals fertig. pgo_165.028 Dunst'ge Fackeln, Lampen, Lichter pgo_165.031 Dämmern durch's verworrne Fest, pgo_165.032 Zwischen diese Truggesichter pgo_165.033 Bannt mich ach! die Kette fest! pgo_165.034
Fort, ihr lächerlichen Lacher! pgo_165.035 Euer Grinsen giebt Verdacht! pgo_165.036 Alle meine Widersacher pgo_165.037 Drängen mich in dieser Nacht. u. s. f. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0187" n="165"/><lb n="pgo_165.001"/> sagt, und vor Allem der Gestalt keine todte und ruhende, sondern eine <lb n="pgo_165.002"/> lebensvolle und bewegte Bedeutung beilegen. Die Furcht, die Hoffnung, <lb n="pgo_165.003"/> die Sorge male der Dichter durch ihre Wirkungen, und ihr persönliches <lb n="pgo_165.004"/> Bild deute er durch einen bezeichnenden Zug an. So führt Goethe im <lb n="pgo_165.005"/> zweiten Theil des „Faust“ den Mangel, die Schuld, die Sorge, die Noth <lb n="pgo_165.006"/> als „vier graue Weiber“ ein. Mangel, Schuld und Noth finden die Thüre <lb n="pgo_165.007"/> verschlossen, weil ein Reicher drinnen wohnt. Die Sorge aber spricht:</p> <lb n="pgo_165.008"/> <lg> <l>Jhr Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein,</l> <lb n="pgo_165.009"/> <l>Die Sorge, sie schleicht sich durch's Schlüsselloch ein!</l> </lg> <p><lb n="pgo_165.010"/> Das ist geistreich und anschaulich zugleich, ebenso glücklich wie jene <lb n="pgo_165.011"/> „<foreign xml:lang="lat">atrox cura</foreign>“ des Horaz, die sich hinter dem Reiter auf das Pferd setzt. <lb n="pgo_165.012"/> Auch in der Rede, welche „die Sorge“ an „Faust“ richtet, herrscht dichterische <lb n="pgo_165.013"/> Lebendigkeit vor, da sie sich durch ihre Wirkungen malt:</p> <lb n="pgo_165.014"/> <lg> <l>Wen ich einmal nur besitze,</l> <lb n="pgo_165.015"/> <l>Dem ist alle Welt nichts nütze;</l> <lb n="pgo_165.016"/> <l>Ew'ges Düst're steigt herunter,</l> <lb n="pgo_165.017"/> <l>Sonne geht nicht auf noch unter.</l> <lb n="pgo_165.018"/> <l>Bei vollkomm'nen äußern Sinnen</l> <lb n="pgo_165.019"/> <l>Wohnen Finsternisse drinnen,</l> <lb n="pgo_165.020"/> <l>Und er weiß von allen Schätzen</l> <lb n="pgo_165.021"/> <l>Sich nicht in Besitz zu setzen.</l> <lb n="pgo_165.022"/> <l>Glück und Unglück wird zur Grille,</l> <lb n="pgo_165.023"/> <l>Er verhungert in der Fülle.</l> <lb n="pgo_165.024"/> <l>Sei es Wonne, sei es Plage,</l> <lb n="pgo_165.025"/> <l>Schiebt er's zu dem andern Tage,</l> <lb n="pgo_165.026"/> <l>Jst der Zukunft nur gewärtig,</l> <lb n="pgo_165.027"/> <l>Und so wird er niemals fertig.</l> </lg> <p><lb n="pgo_165.028"/> Ebenso glücklich ist in jenem Maskenscherz am Hofe des Kaisers „die <lb n="pgo_165.029"/> Furcht“ dargestellt:</p> <lb n="pgo_165.030"/> <lg> <l>Dunst'ge Fackeln, Lampen, Lichter</l> <lb n="pgo_165.031"/> <l>Dämmern durch's verworrne Fest,</l> <lb n="pgo_165.032"/> <l>Zwischen diese Truggesichter</l> <lb n="pgo_165.033"/> <l>Bannt mich ach! die Kette fest!</l> </lg> <lg> <lb n="pgo_165.034"/> <l>Fort, ihr lächerlichen Lacher!</l> <lb n="pgo_165.035"/> <l>Euer Grinsen giebt Verdacht!</l> <lb n="pgo_165.036"/> <l>Alle meine Widersacher</l> <lb n="pgo_165.037"/> <l>Drängen mich in dieser Nacht. u. s. f.</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [165/0187]
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sagt, und vor Allem der Gestalt keine todte und ruhende, sondern eine pgo_165.002
lebensvolle und bewegte Bedeutung beilegen. Die Furcht, die Hoffnung, pgo_165.003
die Sorge male der Dichter durch ihre Wirkungen, und ihr persönliches pgo_165.004
Bild deute er durch einen bezeichnenden Zug an. So führt Goethe im pgo_165.005
zweiten Theil des „Faust“ den Mangel, die Schuld, die Sorge, die Noth pgo_165.006
als „vier graue Weiber“ ein. Mangel, Schuld und Noth finden die Thüre pgo_165.007
verschlossen, weil ein Reicher drinnen wohnt. Die Sorge aber spricht:
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Jhr Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein, pgo_165.009
Die Sorge, sie schleicht sich durch's Schlüsselloch ein!
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Das ist geistreich und anschaulich zugleich, ebenso glücklich wie jene pgo_165.011
„atrox cura“ des Horaz, die sich hinter dem Reiter auf das Pferd setzt. pgo_165.012
Auch in der Rede, welche „die Sorge“ an „Faust“ richtet, herrscht dichterische pgo_165.013
Lebendigkeit vor, da sie sich durch ihre Wirkungen malt:
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Wen ich einmal nur besitze, pgo_165.015
Dem ist alle Welt nichts nütze; pgo_165.016
Ew'ges Düst're steigt herunter, pgo_165.017
Sonne geht nicht auf noch unter. pgo_165.018
Bei vollkomm'nen äußern Sinnen pgo_165.019
Wohnen Finsternisse drinnen, pgo_165.020
Und er weiß von allen Schätzen pgo_165.021
Sich nicht in Besitz zu setzen. pgo_165.022
Glück und Unglück wird zur Grille, pgo_165.023
Er verhungert in der Fülle. pgo_165.024
Sei es Wonne, sei es Plage, pgo_165.025
Schiebt er's zu dem andern Tage, pgo_165.026
Jst der Zukunft nur gewärtig, pgo_165.027
Und so wird er niemals fertig.
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Ebenso glücklich ist in jenem Maskenscherz am Hofe des Kaisers „die pgo_165.029
Furcht“ dargestellt:
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Dunst'ge Fackeln, Lampen, Lichter pgo_165.031
Dämmern durch's verworrne Fest, pgo_165.032
Zwischen diese Truggesichter pgo_165.033
Bannt mich ach! die Kette fest!
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Fort, ihr lächerlichen Lacher! pgo_165.035
Euer Grinsen giebt Verdacht! pgo_165.036
Alle meine Widersacher pgo_165.037
Drängen mich in dieser Nacht. u. s. f.
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