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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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Wie jedes weiter ausgeführte Bild, hat man auch sie eine "Allegorie" pgo_163.002
genannt. Die einfachste Art, das Beilegen einer persönlichen Eigenschaft: pgo_163.003
der brüllende Sturm, der schweigende Strahl der Sonne, pgo_163.004
(Ossian), die Erde dürstet nach Regen, haben wir schon oben berührt. pgo_163.005
Die weitere Ausführung legt dem sinnlichen Ding eine menschliche pgo_163.006
Thätigkeit bei, welche durch mehrere Momente hindurchgehen und ein an pgo_163.007
Zügen reicheres Bild entrollen kann. So personificirt Moerike pgo_163.008
die Nacht:

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Bedächtig stieg die Nacht an's Land, pgo_163.010
Lehnt träumend an der Berge Wand, pgo_163.011
Jhr Auge sieht die gold'ne Wage nun pgo_163.012
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn u. s. f.

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und den Fluß:

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O Fluß, mein Fluß im Morgenstrahl, pgo_163.015
Empfange nun, empfange pgo_163.016
Den sehnsuchtsvollen Leib einmal pgo_163.017
Und küsse Brust und Wange! pgo_163.018
Er fühlt mir schon herauf die Brust, pgo_163.019
Er kühlt mit Liebesschauerlust pgo_163.020
Und jauchzendem Gesange.

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So geht es mehrere Strophen durch; lebendig ist besonders noch die pgo_163.022
folgende:

pgo_163.023
Du murmelst so, mein Fluß, warum? pgo_163.024
Du trägst seit alten Tagen pgo_163.025
Ein seltsam Märchen mit dir um, pgo_163.026
Und mühst dich, es zu sagen; pgo_163.027
Du eilst so sehr und läufst so sehr pgo_163.028
Als müßtest du im Land umher pgo_163.029
Jch weiß nicht wen drum fragen. --

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Meißner singt:

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Jn der Schlucht der Bergstrom tost, pgo_163.032
Winkt, als wie mit weißen Händen: pgo_163.033
Komm', o komm, und trinke Trost!

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Der höchste Grad der metaphorischen Personifikation ist derjenige, pgo_163.035
wo der personificirten Erscheinung nicht blos menschliche Thätigkeit beigelegt, pgo_163.036
sondern wo sie selbst redend eingeführt wird, wie z. B. die Pest in pgo_163.037
jenem düsterkräftigen Gedicht von Hermann Lingg: der schwarze pgo_163.038
Tod:

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Wie jedes weiter ausgeführte Bild, hat man auch sie eine „Allegorie“ pgo_163.002
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Lehnt träumend an der Berge Wand, pgo_163.011
Jhr Auge sieht die gold'ne Wage nun pgo_163.012
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn u. s. f.

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O Fluß, mein Fluß im Morgenstrahl, pgo_163.015
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Du eilst so sehr und läufst so sehr pgo_163.028
Als müßtest du im Land umher pgo_163.029
Jch weiß nicht wen drum fragen. —

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Meißner singt:

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Jn der Schlucht der Bergstrom tost, pgo_163.032
Winkt, als wie mit weißen Händen: pgo_163.033
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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/185>, abgerufen am 25.11.2024.