Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_144.001 Zerrt unnützeste Gespinnste pgo_144.004 Lange sie an Licht und Luft, pgo_144.005 Hoffnung herrlichster Gewinnste pgo_144.006 Schleppt sie schneidend zu der Gruft. pgo_144.007 Und die Stille ward stiller -- pgo_144.011 Je reicher ihr den schnellen Blick vergnüget, pgo_144.016 Je höhre, schönre Ordnungen der Geist pgo_144.017 Jn einem Zauberbund durchflieget, pgo_144.018 Jn einem schwelgenden Genuß umkreist, pgo_144.019 Je weiter sich Gedanken und Gefühle, pgo_144.020 Dem üppigeren Harmonieenspiele, pgo_144.021 Dem reichern Strom der Schönheit aufgethan, pgo_144.022 Je schönre Glieder aus dem Weltenplan, pgo_144.023 Die jetzt verstümmelt seine Schöpfung schänden, pgo_144.024 Sieht er die hohen Formen dann vollenden, pgo_144.025 Je schönre Räthsel treten aus der Nacht, pgo_144.026 Je reicher wird die Welt, die er umschließet, pgo_144.027 Je breiter strömt das Meer, mit dem er fließet, pgo_144.028 Je schwächer wird des Schicksals blinde Macht. pgo_144.029 Je höher streben seine Triebe, pgo_144.030 Je kleiner wird er selbst, je größer seine Liebe. pgo_144.031 So führt ihn in verborgnem Lauf pgo_144.032 Durch immer reinre Formen, reinre Töne pgo_144.033 Durch immer höhre Höhe und immer schönre Schöne. pgo_144.034 Der Dichtung Blumenleiter still hinauf. pgo_144.035 pgo_144.001 Zerrt unnützeste Gespinnste pgo_144.004 Lange sie an Licht und Luft, pgo_144.005 Hoffnung herrlichster Gewinnste pgo_144.006 Schleppt sie schneidend zu der Gruft. pgo_144.007 Und die Stille ward stiller — pgo_144.011 Je reicher ihr den schnellen Blick vergnüget, pgo_144.016 Je höhre, schönre Ordnungen der Geist pgo_144.017 Jn einem Zauberbund durchflieget, pgo_144.018 Jn einem schwelgenden Genuß umkreist, pgo_144.019 Je weiter sich Gedanken und Gefühle, pgo_144.020 Dem üppigeren Harmonieenspiele, pgo_144.021 Dem reichern Strom der Schönheit aufgethan, pgo_144.022 Je schönre Glieder aus dem Weltenplan, pgo_144.023 Die jetzt verstümmelt seine Schöpfung schänden, pgo_144.024 Sieht er die hohen Formen dann vollenden, pgo_144.025 Je schönre Räthsel treten aus der Nacht, pgo_144.026 Je reicher wird die Welt, die er umschließet, pgo_144.027 Je breiter strömt das Meer, mit dem er fließet, pgo_144.028 Je schwächer wird des Schicksals blinde Macht. pgo_144.029 Je höher streben seine Triebe, pgo_144.030 Je kleiner wird er selbst, je größer seine Liebe. pgo_144.031 So führt ihn in verborgnem Lauf pgo_144.032 Durch immer reinre Formen, reinre Töne pgo_144.033 Durch immer höhre Höhe und immer schönre Schöne. pgo_144.034 Der Dichtung Blumenleiter still hinauf. pgo_144.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0166" n="144"/><lb n="pgo_144.001"/> bald unnöthig abschwächen, bald unnöthig hinaufschrauben. Solche <lb n="pgo_144.002"/> Wendungen, wie „der <hi rendition="#g">grauenvollsten</hi> uns'rer Höllen,“</p> <lb n="pgo_144.003"/> <lg> <l>Zerrt <hi rendition="#g">unnützeste</hi> Gespinnste</l> <lb n="pgo_144.004"/> <l>Lange sie an Licht und Luft,</l> <lb n="pgo_144.005"/> <l>Hoffnung <hi rendition="#g">herrlichster</hi> Gewinnste</l> <lb n="pgo_144.006"/> <l>Schleppt sie schneidend zu der Gruft.</l> </lg> <p><lb n="pgo_144.007"/> und viele hundert andere sind von einer frostigen Mattigkeit. Eher vermag <lb n="pgo_144.008"/> der <hi rendition="#g">Komparativ</hi> den Ausdruck zu verstärken, man denke an <lb n="pgo_144.009"/> Klopstock's:</p> <lb n="pgo_144.010"/> <lg> <l>Und die <hi rendition="#g">Stille</hi> ward <hi rendition="#g">stiller</hi> —</l> </lg> <p><lb n="pgo_144.011"/> nur nicht, wenn er mit jener maaßlosen Verschwendung angewendet wird, <lb n="pgo_144.012"/> mit der ihn Schiller in einer höchst prosaisch gebauten und logisch nüchternen <lb n="pgo_144.013"/> Periode seiner „Künstler“ fast in jeden Vers streut. Hier bildet <lb n="pgo_144.014"/> er eine eigene Art des grammatischen Schwulstes:</p> <lb n="pgo_144.015"/> <lg> <l>Je <hi rendition="#g">reicher</hi> ihr den schnellen Blick vergnüget,</l> <lb n="pgo_144.016"/> <l>Je <hi rendition="#g">höhre, schönre</hi> Ordnungen der Geist</l> <lb n="pgo_144.017"/> <l>Jn einem Zauberbund durchflieget,</l> <lb n="pgo_144.018"/> <l>Jn einem schwelgenden Genuß umkreist,</l> <lb n="pgo_144.019"/> <l>Je <hi rendition="#g">weiter</hi> sich Gedanken und Gefühle,</l> <lb n="pgo_144.020"/> <l>Dem <hi rendition="#g">üppigeren</hi> Harmonieenspiele,</l> <lb n="pgo_144.021"/> <l>Dem <hi rendition="#g">reichern</hi> Strom der Schönheit aufgethan,</l> <lb n="pgo_144.022"/> <l>Je <hi rendition="#g">schönre</hi> Glieder aus dem Weltenplan,</l> <lb n="pgo_144.023"/> <l>Die jetzt verstümmelt seine Schöpfung schänden,</l> <lb n="pgo_144.024"/> <l>Sieht er die hohen Formen dann vollenden,</l> <lb n="pgo_144.025"/> <l>Je <hi rendition="#g">schönre</hi> Räthsel treten aus der Nacht,</l> <lb n="pgo_144.026"/> <l>Je <hi rendition="#g">reicher</hi> wird die Welt, die er umschließet,</l> <lb n="pgo_144.027"/> <l>Je <hi rendition="#g">breiter</hi> strömt das Meer, mit dem er fließet,</l> <lb n="pgo_144.028"/> <l>Je <hi rendition="#g">schwächer</hi> wird des Schicksals blinde Macht.</l> <lb n="pgo_144.029"/> <l>Je <hi rendition="#g">höher</hi> streben seine Triebe,</l> <lb n="pgo_144.030"/> <l>Je <hi rendition="#g">kleiner</hi> wird er selbst, <hi rendition="#g">je größer</hi> seine Liebe.</l> <lb n="pgo_144.031"/> <l>So führt ihn in verborgnem Lauf</l> <lb n="pgo_144.032"/> <l>Durch immer <hi rendition="#g">reinre</hi> Formen, <hi rendition="#g">reinre</hi> Töne</l> <lb n="pgo_144.033"/> <l>Durch immer <hi rendition="#g">höhre</hi> Höhe und immer <hi rendition="#g">schönre</hi> Schöne.</l> <lb n="pgo_144.034"/> <l>Der Dichtung Blumenleiter still hinauf.</l> </lg> <p><lb n="pgo_144.035"/> Man weiß in der That nicht, ob jene Goethe'schen Superlative oder <lb n="pgo_144.036"/> diese Schiller'schen Komparative unerträglicher sind. Was nun das <hi rendition="#g">Zeitwort</hi> <lb n="pgo_144.037"/> betrifft, so können wir uns bei seiner Betrachtung kürzer fassen. <lb n="pgo_144.038"/> Hier ist die Hauptregel für den Dichter, Verba zu wählen, welche nicht </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [144/0166]
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bald unnöthig abschwächen, bald unnöthig hinaufschrauben. Solche pgo_144.002
Wendungen, wie „der grauenvollsten uns'rer Höllen,“
pgo_144.003
Zerrt unnützeste Gespinnste pgo_144.004
Lange sie an Licht und Luft, pgo_144.005
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Schleppt sie schneidend zu der Gruft.
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und viele hundert andere sind von einer frostigen Mattigkeit. Eher vermag pgo_144.008
der Komparativ den Ausdruck zu verstärken, man denke an pgo_144.009
Klopstock's:
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Und die Stille ward stiller —
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nur nicht, wenn er mit jener maaßlosen Verschwendung angewendet wird, pgo_144.012
mit der ihn Schiller in einer höchst prosaisch gebauten und logisch nüchternen pgo_144.013
Periode seiner „Künstler“ fast in jeden Vers streut. Hier bildet pgo_144.014
er eine eigene Art des grammatischen Schwulstes:
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Je höhre, schönre Ordnungen der Geist pgo_144.017
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Je weiter sich Gedanken und Gefühle, pgo_144.020
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Der Dichtung Blumenleiter still hinauf.
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Man weiß in der That nicht, ob jene Goethe'schen Superlative oder pgo_144.036
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betrifft, so können wir uns bei seiner Betrachtung kürzer fassen. pgo_144.038
Hier ist die Hauptregel für den Dichter, Verba zu wählen, welche nicht
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