pgo_143.001 unbegreiflich hold geben dem Ausdruck Anschaulichkeit und Jnnigkeit; pgo_143.002 doch erkälten sie ebenso, wenn sie gezwungen und gesucht sind z. B. pgo_143.003 drohend mächt'ge Runde, in frevelnd magischem Vertrauen, pgo_143.004 heimlich kätzchenhaft begierlich (Faust, zweiter Theil). Eine pgo_143.005 allzugroße Häufung der Adjectiva thut der Klarheit des Styles und des pgo_143.006 Bildes Eintrag, um so mehr, wenn Synonyma zusammengestellt sind. pgo_143.007 So ist folgende Stelle von Anastasius Grün fehlerhaft und schwülstig, pgo_143.008 indem in ihr das Subject, das Meer, von acht Adjectiven fast pgo_143.009 erdrückt wird:
pgo_143.010
Unermeßlich und unendlich,pgo_143.011 Glänzend, ruhig, ahnungsschwer,pgo_143.012 Liegst du vor mir ausgebreitet,pgo_143.013 Altes, heil'ges, ew'ges Meer!
pgo_143.014 Durch solche Häufung von Eigenschaftswörtern, die oft an und für pgo_143.015 sich gesucht, oft unnöthigerweise in den Superlativ gesetzt sind, zeichnet pgo_143.016 sich der Styl des zweiten Theils von Goethe's Faust vorzugsweise aus. pgo_143.017 Da der Dichter das schlagende Beiwort nicht fand, so suchte er die fehlende pgo_143.018 Qualität durch die Quantität zu ersetzen:
pgo_143.019
Fort, ihr edlen frohen Gästepgo_143.020 Zu dem seeisch! heitern Festepgo_143.021 Blinkend, wo die Zitterwellenpgo_143.022 Ufernetzend leise schwellen!
pgo_143.023
Du droben ewig-Unveraltete,pgo_143.024 Dreinamig-dreigestaltete,pgo_143.025 Du Brusterweiternde, im Tiefsten-sinnige,pgo_143.026 Du ruhig scheinende, gewaltsam innige!
pgo_143.029 Der Superlativ: schnörkelhaftest paßt für all' diese Adjectivbildungen pgo_143.030 und Häufungen im zweiten Theile des Faust, die ebensoviele pgo_143.031 Marotten eines altersschwachen Styles sind. Der Superlativ dient pgo_143.032 in der Dichtung selten dazu, den Positiv zu verstärken; in der Regel giebt pgo_143.033 er einen steifen, kanzleiartigen Anstrich und erinnert an submissest und pgo_143.034 devotest. Der zweite Theil des "Faust" wimmelt von Superlativen, die
pgo_143.001 unbegreiflich hold geben dem Ausdruck Anschaulichkeit und Jnnigkeit; pgo_143.002 doch erkälten sie ebenso, wenn sie gezwungen und gesucht sind z. B. pgo_143.003 drohend mächt'ge Runde, in frevelnd magischem Vertrauen, pgo_143.004 heimlich kätzchenhaft begierlich (Faust, zweiter Theil). Eine pgo_143.005 allzugroße Häufung der Adjectiva thut der Klarheit des Styles und des pgo_143.006 Bildes Eintrag, um so mehr, wenn Synonyma zusammengestellt sind. pgo_143.007 So ist folgende Stelle von Anastasius Grün fehlerhaft und schwülstig, pgo_143.008 indem in ihr das Subject, das Meer, von acht Adjectiven fast pgo_143.009 erdrückt wird:
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pgo_143.014 Durch solche Häufung von Eigenschaftswörtern, die oft an und für pgo_143.015 sich gesucht, oft unnöthigerweise in den Superlativ gesetzt sind, zeichnet pgo_143.016 sich der Styl des zweiten Theils von Goethe's Faust vorzugsweise aus. pgo_143.017 Da der Dichter das schlagende Beiwort nicht fand, so suchte er die fehlende pgo_143.018 Qualität durch die Quantität zu ersetzen:
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Fort, ihr edlen frohen Gästepgo_143.020 Zu dem seeisch! heitern Festepgo_143.021 Blinkend, wo die Zitterwellenpgo_143.022 Ufernetzend leise schwellen!
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Du droben ewig-Unveraltete,pgo_143.024 Dreinamig-dreigestaltete,pgo_143.025 Du Brusterweiternde, im Tiefsten-sinnige,pgo_143.026 Du ruhig scheinende, gewaltsam innige!
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unbegreiflich hold geben dem Ausdruck Anschaulichkeit und Jnnigkeit; pgo_143.002
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Der Superlativ: schnörkelhaftest paßt für all' diese Adjectivbildungen pgo_143.030
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/165>, abgerufen am 16.02.2025.
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