Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_135.001 Harret, bis im Morgenwinde eure Turbanfedern flattern -- pgo_135.007 pgo_135.008Morgenwind und Morgenröthe werden ihnen zu Bestattern. Freiligrath. pgo_135.009Jhrer Spur folgt die Hyäne, pgo_135.010 Die Entweiherin der Grüfte! Freiligrath. pgo_135.011 Schöpfrin, Entfalterin pgo_135.012 Himmlischer Zier pgo_135.013 Stehst du, Gestalterin, pgo_135.014 Muse vor mir. pgo_135.015 Oder du Liebe, pgo_135.016 Einigerin, pgo_135.017 Jrdischer Triebe pgo_135.018 Reinigerin. Rückert. pgo_135.019 *) pgo_135.028 Auch Platen ist nicht frei davon. Er sagt z. B. pgo_135.029 der Elemente Bildungen zerfließen (Rom. Oedipus)! pgo_135.030 Die Schlußparabase dieser Komödie wimmelt von solchen abstracten Wörtern. **) pgo_135.031
Die Wirkung der Diminutiv bildungen, das Niedliche, Zierliche tändelnd zu pgo_135.032 schildern, hat Rückert in dem Gedicht: die Göttin im Putzzimmer, auf's pgo_135.033 Glücklichste erreicht. Selbst die Häufung der Diminutive ist hier nicht störend: pgo_135.034 Nischchen, Zellchen, Tischchen, Gestellchen, Schreinchen, Quästchen, pgo_135.035 Steinchen, Kästchen, Ringelchen, Kettchen, Dingelchen, Blättchen, pgo_135.036 Nädelchen, Häckchen, Fädelchen, Fleckchen, Wickelchen, Schleifchen, pgo_135.037 Zwickelchen, Streifchen &c. pgo_135.001 Harret, bis im Morgenwinde eure Turbanfedern flattern — pgo_135.007 pgo_135.008Morgenwind und Morgenröthe werden ihnen zu Bestattern. Freiligrath. pgo_135.009Jhrer Spur folgt die Hyäne, pgo_135.010 Die Entweiherin der Grüfte! Freiligrath. pgo_135.011 Schöpfrin, Entfalterin pgo_135.012 Himmlischer Zier pgo_135.013 Stehst du, Gestalterin, pgo_135.014 Muse vor mir. pgo_135.015 Oder du Liebe, pgo_135.016 Einigerin, pgo_135.017 Jrdischer Triebe pgo_135.018 Reinigerin. Rückert. pgo_135.019 *) pgo_135.028 Auch Platen ist nicht frei davon. Er sagt z. B. pgo_135.029 der Elemente Bildungen zerfließen (Rom. Oedipus)! pgo_135.030 Die Schlußparabase dieser Komödie wimmelt von solchen abstracten Wörtern. **) pgo_135.031
Die Wirkung der Diminutiv bildungen, das Niedliche, Zierliche tändelnd zu pgo_135.032 schildern, hat Rückert in dem Gedicht: die Göttin im Putzzimmer, auf's pgo_135.033 Glücklichste erreicht. Selbst die Häufung der Diminutive ist hier nicht störend: pgo_135.034 Nischchen, Zellchen, Tischchen, Gestellchen, Schreinchen, Quästchen, pgo_135.035 Steinchen, Kästchen, Ringelchen, Kettchen, Dingelchen, Blättchen, pgo_135.036 Nädelchen, Häckchen, Fädelchen, Fleckchen, Wickelchen, Schleifchen, pgo_135.037 Zwickelchen, Streifchen &c. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0157" n="135"/><lb n="pgo_135.001"/> Endung: <hi rendition="#g">ung</hi> zu vermeiden haben, die in unserer neuen orientalischen <lb n="pgo_135.002"/> Lyrik eine allzugroße Rolle spielen<note xml:id="PGO_135_1" place="foot" n="*)"><lb n="pgo_135.028"/> Auch <hi rendition="#g">Platen</hi> ist nicht frei davon. Er sagt z. B. <lb n="pgo_135.029"/> <hi rendition="#right">der Elemente <hi rendition="#g">Bildungen</hi> zerfließen (<hi rendition="#g">Rom. Oedipus</hi>)!</hi> <lb n="pgo_135.030"/> Die Schlußparabase dieser Komödie wimmelt von solchen abstracten Wörtern.</note>. Es fehlt ihnen alle sinnliche Anschaulichkeit! <lb n="pgo_135.003"/> Dagegen haben die mehr aktiven, von Zeitwörtern gebildeten <lb n="pgo_135.004"/> Hauptwörter wie z. B. <hi rendition="#g">Berather, Thäter, Erhalter,</hi> Kraft und <lb n="pgo_135.005"/> Frische:</p> <lb n="pgo_135.006"/> <lg> <l>Harret, bis im Morgenwinde eure Turbanfedern flattern —</l> <lb n="pgo_135.007"/> <l>Morgenwind und Morgenröthe werden ihnen zu <hi rendition="#g">Bestattern</hi>.</l> </lg> <lb n="pgo_135.008"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Freiligrath</hi>.</hi> </p> <lb n="pgo_135.009"/> <lg> <l>Jhrer Spur folgt die Hyäne,</l> <lb n="pgo_135.010"/> <l>Die <hi rendition="#g">Entweiherin</hi> der Grüfte! <hi rendition="#g">Freiligrath.</hi></l> <lb n="pgo_135.011"/> <l> <hi rendition="#g">Schöpfrin, Entfalterin</hi> </l> <lb n="pgo_135.012"/> <l>Himmlischer Zier</l> <lb n="pgo_135.013"/> <l>Stehst du, <hi rendition="#g">Gestalterin,</hi></l> <lb n="pgo_135.014"/> <l>Muse vor mir.</l> <lb n="pgo_135.015"/> <l>Oder du Liebe,</l> <lb n="pgo_135.016"/> <l> <hi rendition="#g">Einigerin,</hi> </l> <lb n="pgo_135.017"/> <l>Jrdischer Triebe</l> <lb n="pgo_135.018"/> <l> <hi rendition="#g">Reinigerin.</hi> </l> </lg> <p> <hi rendition="#g"><hi rendition="#right">Rückert</hi>.</hi> </p> <p><lb n="pgo_135.019"/> Es liegt hierbei eine Personifikation zu Grunde, welche die Sprache selbst <lb n="pgo_135.020"/> vollzieht, und die der Dichtung zu Gute kommt. Auch fließt hier gerade <lb n="pgo_135.021"/> ein ergiebiger Born für neue Wortbildungen, welche aus alten Stämmen <lb n="pgo_135.022"/> zwanglos herauswachsen<note xml:id="PGO_135_2" place="foot" n="**)"><lb n="pgo_135.031"/> Die Wirkung der <hi rendition="#g">Diminutiv</hi> bildungen, das Niedliche, Zierliche tändelnd zu <lb n="pgo_135.032"/> schildern, hat <hi rendition="#g">Rückert</hi> in dem Gedicht: <hi rendition="#g">die Göttin im Putzzimmer,</hi> auf's <lb n="pgo_135.033"/> Glücklichste erreicht. Selbst die Häufung der Diminutive ist hier nicht störend: <lb n="pgo_135.034"/> <hi rendition="#g">Nischchen, Zellchen, Tischchen, Gestellchen, Schreinchen, Quästchen, <lb n="pgo_135.035"/> Steinchen, Kästchen, Ringelchen, Kettchen, Dingelchen, Blättchen, <lb n="pgo_135.036"/> Nädelchen, Häckchen, Fädelchen, Fleckchen, Wickelchen, Schleifchen, <lb n="pgo_135.037"/> Zwickelchen, Streifchen</hi> &c.</note>. Doch hat auch das scheinbar spröde Hauptwort <lb n="pgo_135.023"/> eine Seite, wo es sich für dichterische Neubildungen gefügig erweist. <lb n="pgo_135.024"/> Seine Fähigkeit, durch die Zusammensetzung mit andern Hauptwörtern <lb n="pgo_135.025"/> <hi rendition="#g">neue Wörter</hi> zu bilden, ja selbst Nebenbestimmungen als gleich berechtigt <lb n="pgo_135.026"/> in sich aufzunehmen, verleiht dem Ausdruck ebenso Reichthum, wie <lb n="pgo_135.027"/> Energie. Daß sich diese Fähigkeit soweit erstreckt, um selbst die Spielereien </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [135/0157]
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Endung: ung zu vermeiden haben, die in unserer neuen orientalischen pgo_135.002
Lyrik eine allzugroße Rolle spielen *). Es fehlt ihnen alle sinnliche Anschaulichkeit! pgo_135.003
Dagegen haben die mehr aktiven, von Zeitwörtern gebildeten pgo_135.004
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Frische:
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Harret, bis im Morgenwinde eure Turbanfedern flattern — pgo_135.007
Morgenwind und Morgenröthe werden ihnen zu Bestattern.
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Jhrer Spur folgt die Hyäne, pgo_135.010
Die Entweiherin der Grüfte! Freiligrath. pgo_135.011
Schöpfrin, Entfalterin pgo_135.012
Himmlischer Zier pgo_135.013
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Reinigerin.
Rückert.
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Es liegt hierbei eine Personifikation zu Grunde, welche die Sprache selbst pgo_135.020
vollzieht, und die der Dichtung zu Gute kommt. Auch fließt hier gerade pgo_135.021
ein ergiebiger Born für neue Wortbildungen, welche aus alten Stämmen pgo_135.022
zwanglos herauswachsen **). Doch hat auch das scheinbar spröde Hauptwort pgo_135.023
eine Seite, wo es sich für dichterische Neubildungen gefügig erweist. pgo_135.024
Seine Fähigkeit, durch die Zusammensetzung mit andern Hauptwörtern pgo_135.025
neue Wörter zu bilden, ja selbst Nebenbestimmungen als gleich berechtigt pgo_135.026
in sich aufzunehmen, verleiht dem Ausdruck ebenso Reichthum, wie pgo_135.027
Energie. Daß sich diese Fähigkeit soweit erstreckt, um selbst die Spielereien
*) pgo_135.028
Auch Platen ist nicht frei davon. Er sagt z. B. pgo_135.029
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Die Schlußparabase dieser Komödie wimmelt von solchen abstracten Wörtern.
**) pgo_135.031
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schildern, hat Rückert in dem Gedicht: die Göttin im Putzzimmer, auf's pgo_135.033
Glücklichste erreicht. Selbst die Häufung der Diminutive ist hier nicht störend: pgo_135.034
Nischchen, Zellchen, Tischchen, Gestellchen, Schreinchen, Quästchen, pgo_135.035
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Nädelchen, Häckchen, Fädelchen, Fleckchen, Wickelchen, Schleifchen, pgo_135.037
Zwickelchen, Streifchen &c.
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Zitationshilfe: | Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/157>, abgerufen am 16.07.2024. |