Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_128.001 Drittes Hauptstück. pgo_128.002Die Technik der Dichtkunst. pgo_128.003 Erster Abschnitt. pgo_128.004Das dichterische Wort. pgo_128.005 pgo_128.013 Und man sollte furchtlos stehn? pgo_128.023 pgo_128.024 pgo_128.001 Drittes Hauptstück. pgo_128.002Die Technik der Dichtkunst. pgo_128.003 Erster Abschnitt. pgo_128.004Das dichterische Wort. pgo_128.005 pgo_128.013 Und man sollte furchtlos stehn? pgo_128.023 pgo_128.024 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0150" n="E128"/> <lb n="pgo_128.001"/> <head> <hi rendition="#c">Drittes Hauptstück.</hi> </head> <lb n="pgo_128.002"/> <head> <hi rendition="#c">Die Technik der Dichtkunst. </hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="4"> <lb n="pgo_128.003"/> <head> <hi rendition="#c">Erster Abschnitt.</hi> </head> <lb n="pgo_128.004"/> <head> <hi rendition="#c">Das dichterische Wort.</hi> </head> <p><lb n="pgo_128.005"/> „Die Wahl treffender und edler Ausdrücke fesselt und bezaubert die <lb n="pgo_128.006"/> Hörer und verleiht zugleich Größe, Schönheit, gesundes Aussehen, Gewicht, <lb n="pgo_128.007"/> Kraft und Energie.“ Diese Worte Longin's (Ueber das Erhabene C. 30) <lb n="pgo_128.008"/> weisen darauf hin, daß die rednerische, noch mehr aber die dichterische <lb n="pgo_128.009"/> Kunst vorzugsweise von der Wahl des Ausdruckes abhängig ist. Der <lb n="pgo_128.010"/> Ausdruck aber läßt sich zuerst als einzelner in's Auge fassen, als dichterisches <lb n="pgo_128.011"/> <hi rendition="#g">Wort,</hi> ehe wir ihn im Zusammenhang der Worte, als dichterische <lb n="pgo_128.012"/> <hi rendition="#g">Wendung</hi> betrachten.</p> <p><lb n="pgo_128.013"/> Vor dem Genius liegt der Sprachschatz offen da — er kann aus ihm <lb n="pgo_128.014"/> wählen, er kann ihn bereichern; denn er hat das Recht, die Sprache fortzubilden, <lb n="pgo_128.015"/> weil in ihm die sprachschöpferische Kraft ruht. Wer den Bildungsgang <lb n="pgo_128.016"/> der Sprache verfolgt, wird auf eine Menge von Wörtern <lb n="pgo_128.017"/> stoßen, bei denen nur das Dichtertalent zu Pathen gestanden. Das Wort: <lb n="pgo_128.018"/> „<hi rendition="#g">furchtlos</hi>“ z. B. ist jetzt bei uns so vollkommen eingebürgert, daß wir <lb n="pgo_128.019"/> uns wundern, es irgendwo als ein neugeschaffenes bezeichnet zu finden. <lb n="pgo_128.020"/> <hi rendition="#g">Gottsched</hi> aber erwähnt es noch als ein glückliches Wagniß <hi rendition="#g">Simon <lb n="pgo_128.021"/> Dach's,</hi> der es in dem Vers:</p> <lb n="pgo_128.022"/> <lg> <l>Und man sollte <hi rendition="#g">furchtlos</hi> stehn?</l> </lg> <p><lb n="pgo_128.023"/> zuerst in die deutsche Sprache eingeführt.</p> <p><lb n="pgo_128.024"/> Der Sprachschatz enthält nun eine Menge geprägter Münzen, bei denen <lb n="pgo_128.025"/> der Prägstock des Dichters nicht thätig war, und die auch keinen poetischen </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [E128/0150]
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Drittes Hauptstück. pgo_128.002
Die Technik der Dichtkunst.
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Erster Abschnitt. pgo_128.004
Das dichterische Wort. pgo_128.005
„Die Wahl treffender und edler Ausdrücke fesselt und bezaubert die pgo_128.006
Hörer und verleiht zugleich Größe, Schönheit, gesundes Aussehen, Gewicht, pgo_128.007
Kraft und Energie.“ Diese Worte Longin's (Ueber das Erhabene C. 30) pgo_128.008
weisen darauf hin, daß die rednerische, noch mehr aber die dichterische pgo_128.009
Kunst vorzugsweise von der Wahl des Ausdruckes abhängig ist. Der pgo_128.010
Ausdruck aber läßt sich zuerst als einzelner in's Auge fassen, als dichterisches pgo_128.011
Wort, ehe wir ihn im Zusammenhang der Worte, als dichterische pgo_128.012
Wendung betrachten.
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Vor dem Genius liegt der Sprachschatz offen da — er kann aus ihm pgo_128.014
wählen, er kann ihn bereichern; denn er hat das Recht, die Sprache fortzubilden, pgo_128.015
weil in ihm die sprachschöpferische Kraft ruht. Wer den Bildungsgang pgo_128.016
der Sprache verfolgt, wird auf eine Menge von Wörtern pgo_128.017
stoßen, bei denen nur das Dichtertalent zu Pathen gestanden. Das Wort: pgo_128.018
„furchtlos“ z. B. ist jetzt bei uns so vollkommen eingebürgert, daß wir pgo_128.019
uns wundern, es irgendwo als ein neugeschaffenes bezeichnet zu finden. pgo_128.020
Gottsched aber erwähnt es noch als ein glückliches Wagniß Simon pgo_128.021
Dach's, der es in dem Vers:
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Und man sollte furchtlos stehn?
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zuerst in die deutsche Sprache eingeführt.
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Der Sprachschatz enthält nun eine Menge geprägter Münzen, bei denen pgo_128.025
der Prägstock des Dichters nicht thätig war, und die auch keinen poetischen
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