pgo_122.001 hin, nicht nach der Vergangenheit, und nichts absichtlich Unmotivirtes pgo_122.002 darf als Contrebande mit in das Stück hineingeschleppt werden, da pgo_122.003 das Publikum von Haus aus mit im Geheimniß sein muß. Die Voraussetzungen pgo_122.004 der dramatischen Handlung dürfen indeß weder zahlreich, noch pgo_122.005 verwickelt sein. Dramen, deren Stoff aus Romanen entlehnt ist, leiden pgo_122.006 in der Regel an einem Uebermaß der Handlung, das sich nicht in die pgo_122.007 fünf Acte zusammenpressen läßt, sondern über die Schwelle des Dramas pgo_122.008 hinaus sich in's Weite dehnt. Dieser dramatisch ungestaltete Ueberschuß, pgo_122.009 der indeß als Motivirung unerläßlich ist, explodirt in der Regel als pgo_122.010 Erzählung, die oft weder den Charakter noch die Situation weiter pgo_122.011 entwickelt, sondern nur ein gewaltsames Auskunftsmittel des Dramatikers pgo_122.012 ist, welcher plötzlich jongleurartig das Band, das für den Zusammenhang pgo_122.013 des Dramas nöthig, ellenlang aus dem Munde seiner Marionetten pgo_122.014 zieht. Auch hinter der Schwelle des Roman's liegt eine Vergangenheit, pgo_122.015 welche seine Gegenwart motivirt. Der Romanschriftsteller aber, der pgo_122.016 Alles als Vergangenheit vorführt, muß ein anderes Gesetz der Spannung pgo_122.017 beobachten, als der Dramatiker. Bei ihm sind Geheimnisse, die er später pgo_122.018 erst löst, vollkommen berechtigt, und es ist in seine Gewalt gegeben, pgo_122.019 wann und wo er ihren Schleier lüften will. Er kann, wie Steffens, in pgo_122.020 seinen Romanen die ganze Geschichte früherer Generationen später pgo_122.021 erzählen und den Großvater nach dem Enkel auf die Bühne treten lassen. pgo_122.022 Jm Gegentheil, das Jneinanderschachteln der Zeiten trägt dazu bei, die pgo_122.023 Behaglichkeit und den Weltüberblick des Epos zu fördern. Die Erzählung pgo_122.024 des Vergangenen ist hier ganz am Platz. Jm Gegentheil muß die pgo_122.025 gründliche, historische Exposition, welche Walter Scott und seine Nachtreter pgo_122.026 in ermüdender Breite ihren Werken vorausschicken, so daß man erst pgo_122.027 über einen seichten Graben muß, um in die Festung zu gelangen, als pgo_122.028 unkünstlerisch verworfen werden. Jm Epos wird zwar eine Handlung pgo_122.029 durch den Boden weitverzweigter Verhältnisse, durch die ganze Lage der pgo_122.030 Welt motivirt, nicht wie im Drama durch einen Willensact der handelnden pgo_122.031 Charaktere; aber diese Welt soll sich in allmählicher Evolution am pgo_122.032 Faden der Begebenheiten vor uns aufrollen, und nicht schon am Eingange pgo_122.033 des Werkes als ein fertiges Treibhaus für noch unsichtbare Pflanzen pgo_122.034 aufgebaut werden. Dies hängt überhaupt mit der Rolle zusammen, pgo_122.035 welche dem Verstand im Kunstwerke zufällt. Diese Rolle darf nur eine
pgo_122.001 hin, nicht nach der Vergangenheit, und nichts absichtlich Unmotivirtes pgo_122.002 darf als Contrebande mit in das Stück hineingeschleppt werden, da pgo_122.003 das Publikum von Haus aus mit im Geheimniß sein muß. Die Voraussetzungen pgo_122.004 der dramatischen Handlung dürfen indeß weder zahlreich, noch pgo_122.005 verwickelt sein. Dramen, deren Stoff aus Romanen entlehnt ist, leiden pgo_122.006 in der Regel an einem Uebermaß der Handlung, das sich nicht in die pgo_122.007 fünf Acte zusammenpressen läßt, sondern über die Schwelle des Dramas pgo_122.008 hinaus sich in's Weite dehnt. Dieser dramatisch ungestaltete Ueberschuß, pgo_122.009 der indeß als Motivirung unerläßlich ist, explodirt in der Regel als pgo_122.010 Erzählung, die oft weder den Charakter noch die Situation weiter pgo_122.011 entwickelt, sondern nur ein gewaltsames Auskunftsmittel des Dramatikers pgo_122.012 ist, welcher plötzlich jongleurartig das Band, das für den Zusammenhang pgo_122.013 des Dramas nöthig, ellenlang aus dem Munde seiner Marionetten pgo_122.014 zieht. Auch hinter der Schwelle des Roman's liegt eine Vergangenheit, pgo_122.015 welche seine Gegenwart motivirt. Der Romanschriftsteller aber, der pgo_122.016 Alles als Vergangenheit vorführt, muß ein anderes Gesetz der Spannung pgo_122.017 beobachten, als der Dramatiker. Bei ihm sind Geheimnisse, die er später pgo_122.018 erst löst, vollkommen berechtigt, und es ist in seine Gewalt gegeben, pgo_122.019 wann und wo er ihren Schleier lüften will. Er kann, wie Steffens, in pgo_122.020 seinen Romanen die ganze Geschichte früherer Generationen später pgo_122.021 erzählen und den Großvater nach dem Enkel auf die Bühne treten lassen. pgo_122.022 Jm Gegentheil, das Jneinanderschachteln der Zeiten trägt dazu bei, die pgo_122.023 Behaglichkeit und den Weltüberblick des Epos zu fördern. Die Erzählung pgo_122.024 des Vergangenen ist hier ganz am Platz. Jm Gegentheil muß die pgo_122.025 gründliche, historische Exposition, welche Walter Scott und seine Nachtreter pgo_122.026 in ermüdender Breite ihren Werken vorausschicken, so daß man erst pgo_122.027 über einen seichten Graben muß, um in die Festung zu gelangen, als pgo_122.028 unkünstlerisch verworfen werden. Jm Epos wird zwar eine Handlung pgo_122.029 durch den Boden weitverzweigter Verhältnisse, durch die ganze Lage der pgo_122.030 Welt motivirt, nicht wie im Drama durch einen Willensact der handelnden pgo_122.031 Charaktere; aber diese Welt soll sich in allmählicher Evolution am pgo_122.032 Faden der Begebenheiten vor uns aufrollen, und nicht schon am Eingange pgo_122.033 des Werkes als ein fertiges Treibhaus für noch unsichtbare Pflanzen pgo_122.034 aufgebaut werden. Dies hängt überhaupt mit der Rolle zusammen, pgo_122.035 welche dem Verstand im Kunstwerke zufällt. Diese Rolle darf nur eine
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/144>, abgerufen am 25.11.2024.
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