pgo_119.001 Während in diesem Kreise die Treue loyaler Ergebung waltet, umgeben pgo_119.002 Maria Stuart ihre Kammerfrauen und Melvil mit der Anhänglichkeit pgo_119.003 rührender Hingebung. Zwischen den beiden Königinnen aber bewegen pgo_119.004 sich Mortimer und Leicester hin und her, welche dem dramatischen Verlaufe pgo_119.005 des Stückes die eigentliche Spannung geben. Diese Charaktere pgo_119.006 sind meisterhaft gegenübergestellt: jener wild und leidenschaftlich, dieser pgo_119.007 vorsichtig und berechnend, jener der feurige Verschwörer, dieser der intriguirende pgo_119.008 Hofmann, jener von einer fanatischen, alles überstürzenden Gluth pgo_119.009 der Empfindung, dieser von einer leise unter der glatten Schaale des pgo_119.010 Höflings aufdämmernden Schwärmerei. Dabei sind beide jesuitische pgo_119.011 Heuchler. Mortimer verleugnet die Schule nicht, die er durchgemacht -- pgo_119.012 seine Heuchlermaske ist die Kruste um einen Vulkan. Leicester dagegen pgo_119.013 ist nur der leichterregte doppelzüngige Höfling, dessen Eitelkeit durch die pgo_119.014 Gunst zweier Königinnen geschmeichelt wird, der beiden huldigt und pgo_119.015 beide verräth. Wie diese beiden Charaktere nun in der Handlung sich pgo_119.016 gegeneinander bewegen, sich in ihren Bahnen kreuzen, sich mit wechselndem pgo_119.017 Mißtrauen verfolgen, bis der eine durch den Verrath des andern pgo_119.018 fällt: das ist mit einer außerordentlichen Kunst der Kontrastirung vom pgo_119.019 Dichter ausgeführt. Ebenso wirkt das Lustspiel am meisten durch den pgo_119.020 Kontrast: wir erinnern nur an Bauernfeld's "Bürgerlich und romantisch," pgo_119.021 an sein "Großjährig," wo der Fortschritts- und Rückschrittsmann sich pgo_119.022 mit komischem Eigensinn gegenüberstehn, an "Pitt und Fox," wo der pgo_119.023 Kontrast in den Charakteren der beiden Staatsmänner die humoristische pgo_119.024 Achse ist, um welche das Stück rotirt.
pgo_119.025 Der auf die Spitze getriebene Kontrast, wie er sich vielfach in den pgo_119.026 neuern französischen Dramen und Romanen zeigt, bringt eine Wirkung pgo_119.027 hervor, die grell und stoffartig ist und damit aus dem Gebiete der Kunst pgo_119.028 heraus fällt. So beruht Victor Hugo's "Ruy Blas" auf der Liebe pgo_119.029 eines Bedienten zu einer Königin. Hier ist absichtlich der Unterschied pgo_119.030 der Stände auf die Spitze gestellt. Noch schlimmer sind die Kontraste pgo_119.031 im "Triboulet," die hauptsächlich darauf beruhn, daß ein Hofnarr pgo_119.032 in rührende und ergreifende Situationen geräth und das sittliche Pathos pgo_119.033 eines Vaters entwickeln muß. Auch in Victor Hugo's "Han von pgo_119.034 Jsland" springt ein Effect nach dem andern aus grellen Kontrasten pgo_119.035 hervor. Eine romanhafte Ueberraschung ruft ein Kontrast hervor, der in
pgo_119.001 Während in diesem Kreise die Treue loyaler Ergebung waltet, umgeben pgo_119.002 Maria Stuart ihre Kammerfrauen und Melvil mit der Anhänglichkeit pgo_119.003 rührender Hingebung. Zwischen den beiden Königinnen aber bewegen pgo_119.004 sich Mortimer und Leicester hin und her, welche dem dramatischen Verlaufe pgo_119.005 des Stückes die eigentliche Spannung geben. Diese Charaktere pgo_119.006 sind meisterhaft gegenübergestellt: jener wild und leidenschaftlich, dieser pgo_119.007 vorsichtig und berechnend, jener der feurige Verschwörer, dieser der intriguirende pgo_119.008 Hofmann, jener von einer fanatischen, alles überstürzenden Gluth pgo_119.009 der Empfindung, dieser von einer leise unter der glatten Schaale des pgo_119.010 Höflings aufdämmernden Schwärmerei. Dabei sind beide jesuitische pgo_119.011 Heuchler. Mortimer verleugnet die Schule nicht, die er durchgemacht — pgo_119.012 seine Heuchlermaske ist die Kruste um einen Vulkan. Leicester dagegen pgo_119.013 ist nur der leichterregte doppelzüngige Höfling, dessen Eitelkeit durch die pgo_119.014 Gunst zweier Königinnen geschmeichelt wird, der beiden huldigt und pgo_119.015 beide verräth. Wie diese beiden Charaktere nun in der Handlung sich pgo_119.016 gegeneinander bewegen, sich in ihren Bahnen kreuzen, sich mit wechselndem pgo_119.017 Mißtrauen verfolgen, bis der eine durch den Verrath des andern pgo_119.018 fällt: das ist mit einer außerordentlichen Kunst der Kontrastirung vom pgo_119.019 Dichter ausgeführt. Ebenso wirkt das Lustspiel am meisten durch den pgo_119.020 Kontrast: wir erinnern nur an Bauernfeld's „Bürgerlich und romantisch,“ pgo_119.021 an sein „Großjährig,“ wo der Fortschritts- und Rückschrittsmann sich pgo_119.022 mit komischem Eigensinn gegenüberstehn, an „Pitt und Fox,“ wo der pgo_119.023 Kontrast in den Charakteren der beiden Staatsmänner die humoristische pgo_119.024 Achse ist, um welche das Stück rotirt.
pgo_119.025 Der auf die Spitze getriebene Kontrast, wie er sich vielfach in den pgo_119.026 neuern französischen Dramen und Romanen zeigt, bringt eine Wirkung pgo_119.027 hervor, die grell und stoffartig ist und damit aus dem Gebiete der Kunst pgo_119.028 heraus fällt. So beruht Victor Hugo's „Ruy Blas“ auf der Liebe pgo_119.029 eines Bedienten zu einer Königin. Hier ist absichtlich der Unterschied pgo_119.030 der Stände auf die Spitze gestellt. Noch schlimmer sind die Kontraste pgo_119.031 im „Triboulet,“ die hauptsächlich darauf beruhn, daß ein Hofnarr pgo_119.032 in rührende und ergreifende Situationen geräth und das sittliche Pathos pgo_119.033 eines Vaters entwickeln muß. Auch in Victor Hugo's „Han von pgo_119.034 Jsland“ springt ein Effect nach dem andern aus grellen Kontrasten pgo_119.035 hervor. Eine romanhafte Ueberraschung ruft ein Kontrast hervor, der in
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/141>, abgerufen am 23.11.2024.
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