Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottschalck, Friedrich: Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen. Halle, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

Ihr eigentlicher Nutzen nämlich, und welcher auch schon oben bei ihrer Beschreibung vorläufig angegeben und entwickelt worden, ist kein anderer, als den alle Poesie überhaupt hat und haben kann, welche nicht bloß unterhält, ergötzt, erfreuet, erheitert, sondern auch erhebt und stärkt, ja den Blick von den irdischen Dingen hinweg auf eine höhere Ordnung und zuletzt auf Gott selbst hin richtet.

Eben so wohlthätig wirken nun auch die Volkssagen, oder vielmehr sie könnten es, wenn sie in angemessener, würdiger Gestalt dem Volke, oder besser, der Nation, in die Hände gegeben würden. Denn freilich ist es mit ihrem bloßen Inhalte, mit dem rohen Stoffe allein, nicht gethan; es soll nicht bloß eine müßige Neugier befriedigt oder eine augenblickliche Theilnahme erregt werden, sondern auch die Empfindung will geweckt und genährt und das Nachdenken selbst beschäftigt seyn. Erst wenn allen diesen Forderungen ein Genüge geschehen ist, wenn ein an und für sich Antheil erregender Gegenstand auch auf zweckmäßige Art dargestellt worden, wenn ihm ein unabhängiger Anfang und ein befriedigendes Ende, innere Vollständigkeit, Haltung,

Ihr eigentlicher Nutzen nämlich, und welcher auch schon oben bei ihrer Beschreibung vorläufig angegeben und entwickelt worden, ist kein anderer, als den alle Poesie überhaupt hat und haben kann, welche nicht bloß unterhält, ergötzt, erfreuet, erheitert, sondern auch erhebt und stärkt, ja den Blick von den irdischen Dingen hinweg auf eine höhere Ordnung und zuletzt auf Gott selbst hin richtet.

Eben so wohlthätig wirken nun auch die Volkssagen, oder vielmehr sie könnten es, wenn sie in angemessener, würdiger Gestalt dem Volke, oder besser, der Nation, in die Hände gegeben würden. Denn freilich ist es mit ihrem bloßen Inhalte, mit dem rohen Stoffe allein, nicht gethan; es soll nicht bloß eine müßige Neugier befriedigt oder eine augenblickliche Theilnahme erregt werden, sondern auch die Empfindung will geweckt und genährt und das Nachdenken selbst beschäftigt seyn. Erst wenn allen diesen Forderungen ein Genüge geschehen ist, wenn ein an und für sich Antheil erregender Gegenstand auch auf zweckmäßige Art dargestellt worden, wenn ihm ein unabhängiger Anfang und ein befriedigendes Ende, innere Vollständigkeit, Haltung,

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0035" n="XXXII"/>
          <p>Ihr eigentlicher Nutzen nämlich, und welcher auch schon oben bei ihrer Beschreibung vorläufig angegeben und entwickelt worden, ist kein anderer, als den alle Poesie überhaupt hat und haben kann, welche nicht bloß unterhält, ergötzt, erfreuet, erheitert, sondern auch erhebt und stärkt, ja den Blick von den irdischen Dingen hinweg auf eine höhere Ordnung und zuletzt auf Gott selbst hin richtet.</p>
          <p>Eben so wohlthätig wirken nun auch die Volkssagen, oder vielmehr sie könnten es, wenn sie in angemessener, würdiger Gestalt dem Volke, oder besser, der Nation, in die Hände gegeben würden. Denn freilich ist es mit ihrem bloßen Inhalte, mit dem rohen Stoffe allein, nicht gethan; es soll nicht bloß eine müßige Neugier befriedigt oder eine augenblickliche Theilnahme erregt werden, sondern auch die Empfindung will geweckt und genährt und das Nachdenken selbst beschäftigt seyn. Erst wenn allen diesen Forderungen ein Genüge geschehen ist, wenn ein an und für sich Antheil erregender Gegenstand auch auf zweckmäßige Art dargestellt worden, wenn ihm ein unabhängiger Anfang und ein befriedigendes Ende, innere Vollständigkeit, Haltung,
</p>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XXXII/0035] Ihr eigentlicher Nutzen nämlich, und welcher auch schon oben bei ihrer Beschreibung vorläufig angegeben und entwickelt worden, ist kein anderer, als den alle Poesie überhaupt hat und haben kann, welche nicht bloß unterhält, ergötzt, erfreuet, erheitert, sondern auch erhebt und stärkt, ja den Blick von den irdischen Dingen hinweg auf eine höhere Ordnung und zuletzt auf Gott selbst hin richtet. Eben so wohlthätig wirken nun auch die Volkssagen, oder vielmehr sie könnten es, wenn sie in angemessener, würdiger Gestalt dem Volke, oder besser, der Nation, in die Hände gegeben würden. Denn freilich ist es mit ihrem bloßen Inhalte, mit dem rohen Stoffe allein, nicht gethan; es soll nicht bloß eine müßige Neugier befriedigt oder eine augenblickliche Theilnahme erregt werden, sondern auch die Empfindung will geweckt und genährt und das Nachdenken selbst beschäftigt seyn. Erst wenn allen diesen Forderungen ein Genüge geschehen ist, wenn ein an und für sich Antheil erregender Gegenstand auch auf zweckmäßige Art dargestellt worden, wenn ihm ein unabhängiger Anfang und ein befriedigendes Ende, innere Vollständigkeit, Haltung,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Überschriebene „e“ über den Vokalen „a“, „o“ und „u“ werden als moderne Umlaute transkribiert.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottschalck_sagen_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottschalck_sagen_1814/35
Zitationshilfe: Gottschalck, Friedrich: Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen. Halle, 1814, S. XXXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschalck_sagen_1814/35>, abgerufen am 24.11.2024.