Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottschalck, Friedrich: Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen. Halle, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

auch das tröstende Vertrauen auf eine höhere ausgleichende Gerechtigkeit? Oder wenn ein kluger und mächtiger, aber übermüthiger König endlich in Ketten und Banden geschlagen wird; wenn in den Pallästen der Fürsten und Großen eine weißverschleierte Ahnfrau Jahrhunderte hindurch Unglück weissagend umherwandelt; wenn eine Riesentochter, mit ihrer goldenen Krone auf dem Haupt, den drei Mal wiederholten frevelhaften Sprung über die grause Felsenschluft mit ihrem Leben bezahlt, und eine arme Jungfrau dagegen, die, von einem frechen Jäger verfolgt, sich den Felsen hinabstürzt, unbeschädigt von den Engeln in die Tiefe getragen wird: scheinen solche Erzählungen nicht auf das Mißliche und Gefahrvolle der irdischen Hoheit hinzudeuten, und das Lob der unbekannten Niedrigkeit mit dem Troste der überall verbreiteten göttlichen Hülfe zu enthalten? Und wenn endlich wohlbekannte nahgelegene Felsen, Wälder, Hügel, Thäler und Quellen mit wunderbaren Bewohnern bevölkert, oder durch seltsame Begebenheiten und Abenteuer aus lange verflossenen Zeiten merkwürdig erscheinen, strahlt dann nicht ein Theil ihres Rufes auch auf die Anwohner zurück, und giebt ihnen selbst einen wundersamen Anstrich, oder setzt

auch das tröstende Vertrauen auf eine höhere ausgleichende Gerechtigkeit? Oder wenn ein kluger und mächtiger, aber übermüthiger König endlich in Ketten und Banden geschlagen wird; wenn in den Pallästen der Fürsten und Großen eine weißverschleierte Ahnfrau Jahrhunderte hindurch Unglück weissagend umherwandelt; wenn eine Riesentochter, mit ihrer goldenen Krone auf dem Haupt, den drei Mal wiederholten frevelhaften Sprung über die grause Felsenschluft mit ihrem Leben bezahlt, und eine arme Jungfrau dagegen, die, von einem frechen Jäger verfolgt, sich den Felsen hinabstürzt, unbeschädigt von den Engeln in die Tiefe getragen wird: scheinen solche Erzählungen nicht auf das Mißliche und Gefahrvolle der irdischen Hoheit hinzudeuten, und das Lob der unbekannten Niedrigkeit mit dem Troste der überall verbreiteten göttlichen Hülfe zu enthalten? Und wenn endlich wohlbekannte nahgelegene Felsen, Wälder, Hügel, Thäler und Quellen mit wunderbaren Bewohnern bevölkert, oder durch seltsame Begebenheiten und Abenteuer aus lange verflossenen Zeiten merkwürdig erscheinen, strahlt dann nicht ein Theil ihres Rufes auch auf die Anwohner zurück, und giebt ihnen selbst einen wundersamen Anstrich, oder setzt

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0022" n="XIX"/>
auch das tröstende Vertrauen auf eine höhere ausgleichende Gerechtigkeit? Oder wenn ein kluger und mächtiger, aber übermüthiger König endlich in Ketten und Banden geschlagen wird; wenn in den Pallästen der Fürsten und Großen eine weißverschleierte Ahnfrau Jahrhunderte hindurch Unglück weissagend umherwandelt; wenn eine Riesentochter, mit ihrer goldenen Krone auf dem Haupt, den drei Mal wiederholten frevelhaften Sprung über die grause Felsenschluft mit ihrem Leben bezahlt, und eine arme Jungfrau dagegen, die, von einem frechen Jäger verfolgt, sich den Felsen hinabstürzt, unbeschädigt von den Engeln in die Tiefe getragen wird: scheinen solche Erzählungen nicht auf das Mißliche und Gefahrvolle der irdischen Hoheit hinzudeuten, und das Lob der unbekannten Niedrigkeit mit dem Troste der überall verbreiteten göttlichen Hülfe zu enthalten? Und wenn endlich wohlbekannte nahgelegene Felsen, Wälder, Hügel, Thäler und Quellen mit wunderbaren Bewohnern bevölkert, oder durch seltsame Begebenheiten und Abenteuer aus lange verflossenen Zeiten merkwürdig erscheinen, strahlt dann nicht ein Theil ihres Rufes auch auf die Anwohner zurück, und giebt ihnen selbst einen wundersamen Anstrich, oder setzt
</p>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XIX/0022] auch das tröstende Vertrauen auf eine höhere ausgleichende Gerechtigkeit? Oder wenn ein kluger und mächtiger, aber übermüthiger König endlich in Ketten und Banden geschlagen wird; wenn in den Pallästen der Fürsten und Großen eine weißverschleierte Ahnfrau Jahrhunderte hindurch Unglück weissagend umherwandelt; wenn eine Riesentochter, mit ihrer goldenen Krone auf dem Haupt, den drei Mal wiederholten frevelhaften Sprung über die grause Felsenschluft mit ihrem Leben bezahlt, und eine arme Jungfrau dagegen, die, von einem frechen Jäger verfolgt, sich den Felsen hinabstürzt, unbeschädigt von den Engeln in die Tiefe getragen wird: scheinen solche Erzählungen nicht auf das Mißliche und Gefahrvolle der irdischen Hoheit hinzudeuten, und das Lob der unbekannten Niedrigkeit mit dem Troste der überall verbreiteten göttlichen Hülfe zu enthalten? Und wenn endlich wohlbekannte nahgelegene Felsen, Wälder, Hügel, Thäler und Quellen mit wunderbaren Bewohnern bevölkert, oder durch seltsame Begebenheiten und Abenteuer aus lange verflossenen Zeiten merkwürdig erscheinen, strahlt dann nicht ein Theil ihres Rufes auch auf die Anwohner zurück, und giebt ihnen selbst einen wundersamen Anstrich, oder setzt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Überschriebene „e“ über den Vokalen „a“, „o“ und „u“ werden als moderne Umlaute transkribiert.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottschalck_sagen_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottschalck_sagen_1814/22
Zitationshilfe: Gottschalck, Friedrich: Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen. Halle, 1814, S. XIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschalck_sagen_1814/22>, abgerufen am 22.11.2024.