"Da schrie mitten im Haufen Einer entsetzlich auf, es war ihm, als sei er in einen glühenden Dorn ge¬ treten, als nagle man mit glühendem Nagel den Fuß an den Boden, als ströme Feuer durch das Mark sei¬ ner Gebeine. Der Haufe fuhr auseinander, und alle Augen sahen nach dem Fuße, gegen den die Hand des Schreienden fuhr. Auf dem Fuße aber saß schwarz und groß die Spinne und glotzte giftig und schadenfroh in die Runde. Da starrte Allen zuerst das Blut in den Adern, der Athem in der Brust, der Blick im Auge, und ruhig und schadenfroh glotzte die Spinne umher, und der Fuß ward schwarz und im Leibe wars, als kämpfe zischend und wüthend Feuer mit Wasser; die Angst sprengte die Fesseln des Schreckens, der Haufe stob auseinander. Aber in wunderbarer Schnelle hatte die Spinne ihren ersten Sitz verlassen, und kroch die¬ sem über den Fuß und jenem an die Ferse, und Glut fuhr durch ihren Leib und ihr gräßlich Geschrei jagte die Fliehenden noch heftiger. In Windeseile, in To¬ desschrecken, wie das gespenstige Wild vor der wilden Jagd, stoben sie ihren Hütten zu, und Jeder meinte hinter sich die Spinne, verrammelte die Thüre, und hörte doch nicht auf zu beben in unsäglicher Angst.
"Und einen Tag war die Spinne verschwunden, kein neues Todesgeschrei hörte man, die Leute mußten die verrammelten Häuser verlassen, mußten Speise su¬ chen fürs Vieh und für sich, sie thaten es mit Todes¬ angst. Denn wo war jetzt die Spinne, und konnte sie nicht hier sein und unversehens auf den Fuß sich setzen? Und wer am vorsichtigsten niedertrat und mit den Augen am schärfsten spähte, der sah die Spinne plötzlich sitzend auf Hand oder Fuß, sie lief ihm übers Gesicht, saß schwarz und groß ihm auf der Nase, und
„Da ſchrie mitten im Haufen Einer entſetzlich auf, es war ihm, als ſei er in einen glühenden Dorn ge¬ treten, als nagle man mit glühendem Nagel den Fuß an den Boden, als ſtröme Feuer durch das Mark ſei¬ ner Gebeine. Der Haufe fuhr auseinander, und alle Augen ſahen nach dem Fuße, gegen den die Hand des Schreienden fuhr. Auf dem Fuße aber ſaß ſchwarz und groß die Spinne und glotzte giftig und ſchadenfroh in die Runde. Da ſtarrte Allen zuerſt das Blut in den Adern, der Athem in der Bruſt, der Blick im Auge, und ruhig und ſchadenfroh glotzte die Spinne umher, und der Fuß ward ſchwarz und im Leibe wars, als kämpfe ziſchend und wüthend Feuer mit Waſſer; die Angſt ſprengte die Feſſeln des Schreckens, der Haufe ſtob auseinander. Aber in wunderbarer Schnelle hatte die Spinne ihren erſten Sitz verlaſſen, und kroch die¬ ſem über den Fuß und jenem an die Ferſe, und Glut fuhr durch ihren Leib und ihr gräßlich Geſchrei jagte die Fliehenden noch heftiger. In Windeseile, in To¬ desſchrecken, wie das geſpenſtige Wild vor der wilden Jagd, ſtoben ſie ihren Hütten zu, und Jeder meinte hinter ſich die Spinne, verrammelte die Thüre, und hörte doch nicht auf zu beben in unſäglicher Angſt.
„Und einen Tag war die Spinne verſchwunden, kein neues Todesgeſchrei hörte man, die Leute mußten die verrammelten Häuſer verlaſſen, mußten Speiſe ſu¬ chen fürs Vieh und für ſich, ſie thaten es mit Todes¬ angſt. Denn wo war jetzt die Spinne, und konnte ſie nicht hier ſein und unverſehens auf den Fuß ſich ſetzen? Und wer am vorſichtigſten niedertrat und mit den Augen am ſchärfſten ſpähte, der ſah die Spinne plötzlich ſitzend auf Hand oder Fuß, ſie lief ihm übers Geſicht, ſaß ſchwarz und groß ihm auf der Naſe, und
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„Da ſchrie mitten im Haufen Einer entſetzlich auf,
es war ihm, als ſei er in einen glühenden Dorn ge¬
treten, als nagle man mit glühendem Nagel den Fuß
an den Boden, als ſtröme Feuer durch das Mark ſei¬
ner Gebeine. Der Haufe fuhr auseinander, und alle
Augen ſahen nach dem Fuße, gegen den die Hand des
Schreienden fuhr. Auf dem Fuße aber ſaß ſchwarz
und groß die Spinne und glotzte giftig und ſchadenfroh
in die Runde. Da ſtarrte Allen zuerſt das Blut in
den Adern, der Athem in der Bruſt, der Blick im Auge,
und ruhig und ſchadenfroh glotzte die Spinne umher,
und der Fuß ward ſchwarz und im Leibe wars, als
kämpfe ziſchend und wüthend Feuer mit Waſſer; die
Angſt ſprengte die Feſſeln des Schreckens, der Haufe
ſtob auseinander. Aber in wunderbarer Schnelle hatte
die Spinne ihren erſten Sitz verlaſſen, und kroch die¬
ſem über den Fuß und jenem an die Ferſe, und Glut
fuhr durch ihren Leib und ihr gräßlich Geſchrei jagte
die Fliehenden noch heftiger. In Windeseile, in To¬
desſchrecken, wie das geſpenſtige Wild vor der wilden
Jagd, ſtoben ſie ihren Hütten zu, und Jeder meinte
hinter ſich die Spinne, verrammelte die Thüre, und
hörte doch nicht auf zu beben in unſäglicher Angſt.
„Und einen Tag war die Spinne verſchwunden,
kein neues Todesgeſchrei hörte man, die Leute mußten
die verrammelten Häuſer verlaſſen, mußten Speiſe ſu¬
chen fürs Vieh und für ſich, ſie thaten es mit Todes¬
angſt. Denn wo war jetzt die Spinne, und konnte
ſie nicht hier ſein und unverſehens auf den Fuß ſich
ſetzen? Und wer am vorſichtigſten niedertrat und mit
den Augen am ſchärfſten ſpähte, der ſah die Spinne
plötzlich ſitzend auf Hand oder Fuß, ſie lief ihm übers
Geſicht, ſaß ſchwarz und groß ihm auf der Naſe, und
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Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/86>, abgerufen am 23.07.2024.
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