aber das Fieber wollte nicht abnehmen. Da jammerte sie, wenn sie doch nur dürre Kirschen hätte, fürs Fie¬ ber sei nichts Besseres als ab denselben zu trinken, es sagten es alle Leute; aber arme Hüng, wie sie, hätten keine dürre Kirschen. Das ging dem Margrithli wie ein Stich durchs Herz, daß dem Vater es bessern würde, wenn er ab Kirschen trinken könnte, und daß sie keine hätten, und der gute Vater stöhnte so jämmerlich! Da ging Margrithli leise zur Thüre hinaus, der arme Vater sollte Kirschen haben; es wollte zum ersten Male betteln gehen. Es wußte eine Frau, die hatte ihm schon manches gute Wort gegeben, die werde ihm wohl auch Kirschen geben, dachte es. Und es irrte sich nicht, sie gab ihm ein ganzes Kacheli voll, als es halb weinend bat und versprach, es wolle ihr dann im Sommer Ka¬ mille dafür z'säme lese, oder was sie sonst wolle; aber Geld hätte sie keins, sie seien gar grausam arm und wüßten nicht, wann der Aetti wieder etwas verdienen könne.
"Der Aetti konnte nichts mehr verdienen, und so wurden sie noch alle Tage ärmer, und kälter ward es alle Tage in ihrem Stübchen. Die Kinder gingen zwar alle Tage in den Wald, dürre Aeste zusammen¬ zulesen, aber der Wald war schon so erlesen, daß sie wenig fanden, bloß ein kleines Hämpfeli, kaum genug, des Tags einmal etwas Warmes zu machen, und dazu war es so grausam kalt, daß sie es kaum erleiden moch¬ ten. Da fiel auf einmal ein tiefer Schnee und die ar¬ men Kinder konnten nicht mehr in den Wald, sie hatten kein Holz mehr, konnten nichts Warmes mehr machen. Sie entlehnten hier ein paar Scheiter, dort ein paar; aber sie durften nur einmal an einem Ort entlehnen; sie waren nicht unverschämt, wie Viele sind. Sie wu߬
aber das Fieber wollte nicht abnehmen. Da jammerte ſie, wenn ſie doch nur dürre Kirſchen hätte, fürs Fie¬ ber ſei nichts Beſſeres als ab denſelben zu trinken, es ſagten es alle Leute; aber arme Hüng, wie ſie, hätten keine dürre Kirſchen. Das ging dem Margrithli wie ein Stich durchs Herz, daß dem Vater es beſſern würde, wenn er ab Kirſchen trinken könnte, und daß ſie keine hätten, und der gute Vater ſtöhnte ſo jämmerlich! Da ging Margrithli leiſe zur Thüre hinaus, der arme Vater ſollte Kirſchen haben; es wollte zum erſten Male betteln gehen. Es wußte eine Frau, die hatte ihm ſchon manches gute Wort gegeben, die werde ihm wohl auch Kirſchen geben, dachte es. Und es irrte ſich nicht, ſie gab ihm ein ganzes Kacheli voll, als es halb weinend bat und verſprach, es wolle ihr dann im Sommer Ka¬ mille dafür z’ſäme leſe, oder was ſie ſonſt wolle; aber Geld hätte ſie keins, ſie ſeien gar grauſam arm und wüßten nicht, wann der Aetti wieder etwas verdienen könne.
„Der Aetti konnte nichts mehr verdienen, und ſo wurden ſie noch alle Tage ärmer, und kälter ward es alle Tage in ihrem Stübchen. Die Kinder gingen zwar alle Tage in den Wald, dürre Aeſte zuſammen¬ zuleſen, aber der Wald war ſchon ſo erleſen, daß ſie wenig fanden, bloß ein kleines Hämpfeli, kaum genug, des Tags einmal etwas Warmes zu machen, und dazu war es ſo grauſam kalt, daß ſie es kaum erleiden moch¬ ten. Da fiel auf einmal ein tiefer Schnee und die ar¬ men Kinder konnten nicht mehr in den Wald, ſie hatten kein Holz mehr, konnten nichts Warmes mehr machen. Sie entlehnten hier ein paar Scheiter, dort ein paar; aber ſie durften nur einmal an einem Ort entlehnen; ſie waren nicht unverſchämt, wie Viele ſind. Sie wu߬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0152"n="142"/>
aber das Fieber wollte nicht abnehmen. Da jammerte<lb/>ſie, wenn ſie doch nur dürre Kirſchen hätte, fürs Fie¬<lb/>
ber ſei nichts Beſſeres als ab denſelben zu trinken, es<lb/>ſagten es alle Leute; aber arme Hüng, wie ſie, hätten<lb/>
keine dürre Kirſchen. Das ging dem Margrithli wie<lb/>
ein Stich durchs Herz, daß dem Vater es beſſern würde,<lb/>
wenn er ab Kirſchen trinken könnte, und daß ſie keine<lb/>
hätten, und der gute Vater ſtöhnte ſo jämmerlich! Da<lb/>
ging Margrithli leiſe zur Thüre hinaus, der arme<lb/>
Vater ſollte Kirſchen haben; es wollte zum erſten Male<lb/>
betteln gehen. Es wußte eine Frau, die hatte ihm ſchon<lb/>
manches gute Wort gegeben, die werde ihm wohl auch<lb/>
Kirſchen geben, dachte es. Und es irrte ſich nicht, ſie<lb/>
gab ihm ein ganzes Kacheli voll, als es halb weinend<lb/>
bat und verſprach, es wolle ihr dann im Sommer Ka¬<lb/>
mille dafür z’ſäme leſe, oder was ſie ſonſt wolle; aber<lb/>
Geld hätte ſie keins, ſie ſeien gar grauſam arm und<lb/>
wüßten nicht, wann der Aetti wieder etwas verdienen<lb/>
könne.</p><lb/><p>„Der Aetti konnte nichts mehr verdienen, und ſo<lb/>
wurden ſie noch alle Tage ärmer, und kälter ward es<lb/>
alle Tage in ihrem Stübchen. Die Kinder gingen<lb/>
zwar alle Tage in den Wald, dürre Aeſte zuſammen¬<lb/>
zuleſen, aber der Wald war ſchon ſo erleſen, daß ſie<lb/>
wenig fanden, bloß ein kleines Hämpfeli, kaum genug,<lb/>
des Tags einmal etwas Warmes zu machen, und dazu<lb/>
war es ſo grauſam kalt, daß ſie es kaum erleiden moch¬<lb/>
ten. Da fiel auf einmal ein tiefer Schnee und die ar¬<lb/>
men Kinder konnten nicht mehr in den Wald, ſie hatten<lb/>
kein Holz mehr, konnten nichts Warmes mehr machen.<lb/>
Sie entlehnten hier ein paar Scheiter, dort ein paar;<lb/>
aber ſie durften nur einmal an einem Ort entlehnen;<lb/>ſie waren nicht unverſchämt, wie Viele ſind. Sie wu߬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[142/0152]
aber das Fieber wollte nicht abnehmen. Da jammerte
ſie, wenn ſie doch nur dürre Kirſchen hätte, fürs Fie¬
ber ſei nichts Beſſeres als ab denſelben zu trinken, es
ſagten es alle Leute; aber arme Hüng, wie ſie, hätten
keine dürre Kirſchen. Das ging dem Margrithli wie
ein Stich durchs Herz, daß dem Vater es beſſern würde,
wenn er ab Kirſchen trinken könnte, und daß ſie keine
hätten, und der gute Vater ſtöhnte ſo jämmerlich! Da
ging Margrithli leiſe zur Thüre hinaus, der arme
Vater ſollte Kirſchen haben; es wollte zum erſten Male
betteln gehen. Es wußte eine Frau, die hatte ihm ſchon
manches gute Wort gegeben, die werde ihm wohl auch
Kirſchen geben, dachte es. Und es irrte ſich nicht, ſie
gab ihm ein ganzes Kacheli voll, als es halb weinend
bat und verſprach, es wolle ihr dann im Sommer Ka¬
mille dafür z’ſäme leſe, oder was ſie ſonſt wolle; aber
Geld hätte ſie keins, ſie ſeien gar grauſam arm und
wüßten nicht, wann der Aetti wieder etwas verdienen
könne.
„Der Aetti konnte nichts mehr verdienen, und ſo
wurden ſie noch alle Tage ärmer, und kälter ward es
alle Tage in ihrem Stübchen. Die Kinder gingen
zwar alle Tage in den Wald, dürre Aeſte zuſammen¬
zuleſen, aber der Wald war ſchon ſo erleſen, daß ſie
wenig fanden, bloß ein kleines Hämpfeli, kaum genug,
des Tags einmal etwas Warmes zu machen, und dazu
war es ſo grauſam kalt, daß ſie es kaum erleiden moch¬
ten. Da fiel auf einmal ein tiefer Schnee und die ar¬
men Kinder konnten nicht mehr in den Wald, ſie hatten
kein Holz mehr, konnten nichts Warmes mehr machen.
Sie entlehnten hier ein paar Scheiter, dort ein paar;
aber ſie durften nur einmal an einem Ort entlehnen;
ſie waren nicht unverſchämt, wie Viele ſind. Sie wu߬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gotthelf, Jeremias: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bdch. 1. Die schwarze Spinne. - Ritter von Brandis - Das gelbe Vögelein und das arme Margrithli. Solothurn, 1842, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_sagen_1842/152>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.