Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

von jeher in Langenthal stark getrieben wurde, nicht allein wegen der Hoffart, sondern wegen der Kurzweit. Ob dem Kämmen glitt die Zeit vorüber, ganz gleich wie durch die Finger die Haare, und je glatter die Haare glitten, desto rascher lief ihnen auch die Zeit vorüber. Die Nacht dämmerte herauf, leise nahte sich im Schatten der Nacht der Schlaf den Augen der Menschen, machte aber heute nicht gute Geschäfte. Es wollte ihm Niemand warten, es war eine ungewohnte seltsame Unruhe auf der Straße, auf der berühmten Kastenstraße, welche schon zu der Römer Zeiten den Osten Helvetiens mit dem Westen verbunden haben soll. Ein große Weinfuhr für das Kloster war am selben Abend durch den Ort gekommen; zur selben Zeit war eine Weinfuhre ein Ereigniß, selbst in Langenthal, wo sonst von Zeit zu Zeit etwas Merkwürdiges vorkam. Wahrscheinlich waren aber damals noch seltener als die Weinsuhren die Weinreifenden, welche der Sage nach gegenwärtig vor Langenthal sich oft aufstauchen, wie in Paris die Menschenmasse vor dem Theater, wenn die Rachel spielt, die Eingänge zu klein sind, die Menge derer, welche hinein wollen, zu groß ist. Weder das Straßenpflaster, noch die Straßenbeleuchtung, für welche in jüngster Zeit ein löblicher Gemeinderath eine selten gewordene Prämie erhalten hat, waren damals in Langenthal zu der Vollkommenheit gekommen, in welcher man sie jetzt findet. Zwei Weinwagen blieben stecken, an dem einen brach die

von jeher in Langenthal stark getrieben wurde, nicht allein wegen der Hoffart, sondern wegen der Kurzweit. Ob dem Kämmen glitt die Zeit vorüber, ganz gleich wie durch die Finger die Haare, und je glatter die Haare glitten, desto rascher lief ihnen auch die Zeit vorüber. Die Nacht dämmerte herauf, leise nahte sich im Schatten der Nacht der Schlaf den Augen der Menschen, machte aber heute nicht gute Geschäfte. Es wollte ihm Niemand warten, es war eine ungewohnte seltsame Unruhe auf der Straße, auf der berühmten Kastenstraße, welche schon zu der Römer Zeiten den Osten Helvetiens mit dem Westen verbunden haben soll. Ein große Weinfuhr für das Kloster war am selben Abend durch den Ort gekommen; zur selben Zeit war eine Weinfuhre ein Ereigniß, selbst in Langenthal, wo sonst von Zeit zu Zeit etwas Merkwürdiges vorkam. Wahrscheinlich waren aber damals noch seltener als die Weinsuhren die Weinreifenden, welche der Sage nach gegenwärtig vor Langenthal sich oft aufstauchen, wie in Paris die Menschenmasse vor dem Theater, wenn die Rachel spielt, die Eingänge zu klein sind, die Menge derer, welche hinein wollen, zu groß ist. Weder das Straßenpflaster, noch die Straßenbeleuchtung, für welche in jüngster Zeit ein löblicher Gemeinderath eine selten gewordene Prämie erhalten hat, waren damals in Langenthal zu der Vollkommenheit gekommen, in welcher man sie jetzt findet. Zwei Weinwagen blieben stecken, an dem einen brach die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0070"/>
von jeher in                     Langenthal stark getrieben wurde, nicht allein wegen der Hoffart, sondern wegen                     der Kurzweit. Ob dem Kämmen glitt die Zeit vorüber, ganz gleich wie durch die                     Finger die Haare, und je glatter die Haare glitten, desto rascher lief ihnen                     auch die Zeit vorüber. Die Nacht dämmerte herauf, leise nahte sich im Schatten                     der Nacht der Schlaf den Augen der Menschen, machte aber heute nicht gute                     Geschäfte. Es wollte ihm Niemand warten, es war eine ungewohnte seltsame Unruhe                     auf der Straße, auf der berühmten Kastenstraße, welche schon zu der Römer Zeiten                     den Osten Helvetiens mit dem Westen verbunden haben soll. Ein große Weinfuhr für                     das Kloster war am selben Abend durch den Ort gekommen; zur selben Zeit war eine                     Weinfuhre ein Ereigniß, selbst in Langenthal, wo sonst von Zeit zu Zeit etwas                     Merkwürdiges vorkam. Wahrscheinlich waren aber damals noch seltener als die                     Weinsuhren die Weinreifenden, welche der Sage nach gegenwärtig vor Langenthal                     sich oft aufstauchen, wie in Paris die Menschenmasse vor dem Theater, wenn die                     Rachel spielt, die Eingänge zu klein sind, die Menge derer, welche hinein                     wollen, zu groß ist. Weder das Straßenpflaster, noch die Straßenbeleuchtung, für                     welche in jüngster Zeit ein löblicher Gemeinderath eine selten gewordene Prämie                     erhalten hat, waren damals in Langenthal zu der Vollkommenheit gekommen, in                     welcher man sie jetzt findet. Zwei Weinwagen blieben stecken, an dem einen brach                     die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0070] von jeher in Langenthal stark getrieben wurde, nicht allein wegen der Hoffart, sondern wegen der Kurzweit. Ob dem Kämmen glitt die Zeit vorüber, ganz gleich wie durch die Finger die Haare, und je glatter die Haare glitten, desto rascher lief ihnen auch die Zeit vorüber. Die Nacht dämmerte herauf, leise nahte sich im Schatten der Nacht der Schlaf den Augen der Menschen, machte aber heute nicht gute Geschäfte. Es wollte ihm Niemand warten, es war eine ungewohnte seltsame Unruhe auf der Straße, auf der berühmten Kastenstraße, welche schon zu der Römer Zeiten den Osten Helvetiens mit dem Westen verbunden haben soll. Ein große Weinfuhr für das Kloster war am selben Abend durch den Ort gekommen; zur selben Zeit war eine Weinfuhre ein Ereigniß, selbst in Langenthal, wo sonst von Zeit zu Zeit etwas Merkwürdiges vorkam. Wahrscheinlich waren aber damals noch seltener als die Weinsuhren die Weinreifenden, welche der Sage nach gegenwärtig vor Langenthal sich oft aufstauchen, wie in Paris die Menschenmasse vor dem Theater, wenn die Rachel spielt, die Eingänge zu klein sind, die Menge derer, welche hinein wollen, zu groß ist. Weder das Straßenpflaster, noch die Straßenbeleuchtung, für welche in jüngster Zeit ein löblicher Gemeinderath eine selten gewordene Prämie erhalten hat, waren damals in Langenthal zu der Vollkommenheit gekommen, in welcher man sie jetzt findet. Zwei Weinwagen blieben stecken, an dem einen brach die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/70
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/70>, abgerufen am 23.11.2024.