Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.einem der vielen Bäche, stärkte sich und wusch sich rein. Er mußte heim, doch nicht gern kam er mit leeren Händen, und daß man seinen Antheil an der Beute ihm nicht hatte liegen lassen, versteht sich. Kurt knurrte wohl gegen die Mutter, aber innerlich hatte er doch großen Respect vor ihr. Wenn die Mutter ein räs resolut Weib ist, ihre Zunge zu handhaben weiß in Hohn und Zorn wie einen zweischneidenden Dolch, so hat ein Sohn, wie stark und wild er auch wird, Furcht und Bangen vor der Mutter. Es ist seltsam und doch so, daß man die Gewalt über die Söhne viel öfter bei den Müttern als bei den Vätern findet. Es war Herbst, die Fastnachtszeit des Wildes im Walde, denn da schüttelt ihnen die milde Hand, welche sich aufthut jeglicher Creatur, wahre Herrenfressen von der mächtigen Eiche und der rothbelaubten Buche, die ein Aussehen hat, wie ein alter Ritter, der sein Antlitz täglich von früh bis spät mit Rheinwein feucht erhalten hat. Auch that sich das Wild gütlich in Laub und Gras. Zahlreich, fast wie Heuschrecken, flatterten die wilden Tauben in den reichbehängten Aesten, und kühn und trotzig führten die alten Schweine die jungen spazieren unter die wohlbekannten großgeästeten Bäume. So wild Kurt war, so leise konnte er gleiten durch der Wälder Schatten, wenn er Etwas beschleichen wollte. Ein altes Schwein that mit einem Rudel Jungen unter einer großen Buche sich gütlich. Kurths Speer warf ein Thier nieder, über dem Geräusch erschrak der einem der vielen Bäche, stärkte sich und wusch sich rein. Er mußte heim, doch nicht gern kam er mit leeren Händen, und daß man seinen Antheil an der Beute ihm nicht hatte liegen lassen, versteht sich. Kurt knurrte wohl gegen die Mutter, aber innerlich hatte er doch großen Respect vor ihr. Wenn die Mutter ein räs resolut Weib ist, ihre Zunge zu handhaben weiß in Hohn und Zorn wie einen zweischneidenden Dolch, so hat ein Sohn, wie stark und wild er auch wird, Furcht und Bangen vor der Mutter. Es ist seltsam und doch so, daß man die Gewalt über die Söhne viel öfter bei den Müttern als bei den Vätern findet. Es war Herbst, die Fastnachtszeit des Wildes im Walde, denn da schüttelt ihnen die milde Hand, welche sich aufthut jeglicher Creatur, wahre Herrenfressen von der mächtigen Eiche und der rothbelaubten Buche, die ein Aussehen hat, wie ein alter Ritter, der sein Antlitz täglich von früh bis spät mit Rheinwein feucht erhalten hat. Auch that sich das Wild gütlich in Laub und Gras. Zahlreich, fast wie Heuschrecken, flatterten die wilden Tauben in den reichbehängten Aesten, und kühn und trotzig führten die alten Schweine die jungen spazieren unter die wohlbekannten großgeästeten Bäume. So wild Kurt war, so leise konnte er gleiten durch der Wälder Schatten, wenn er Etwas beschleichen wollte. Ein altes Schwein that mit einem Rudel Jungen unter einer großen Buche sich gütlich. Kurths Speer warf ein Thier nieder, über dem Geräusch erschrak der <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0025"/> einem der vielen Bäche, stärkte sich und wusch sich rein. Er mußte heim, doch nicht gern kam er mit leeren Händen, und daß man seinen Antheil an der Beute ihm nicht hatte liegen lassen, versteht sich. Kurt knurrte wohl gegen die Mutter, aber innerlich hatte er doch großen Respect vor ihr. Wenn die Mutter ein räs resolut Weib ist, ihre Zunge zu handhaben weiß in Hohn und Zorn wie einen zweischneidenden Dolch, so hat ein Sohn, wie stark und wild er auch wird, Furcht und Bangen vor der Mutter. Es ist seltsam und doch so, daß man die Gewalt über die Söhne viel öfter bei den Müttern als bei den Vätern findet. Es war Herbst, die Fastnachtszeit des Wildes im Walde, denn da schüttelt ihnen die milde Hand, welche sich aufthut jeglicher Creatur, wahre Herrenfressen von der mächtigen Eiche und der rothbelaubten Buche, die ein Aussehen hat, wie ein alter Ritter, der sein Antlitz täglich von früh bis spät mit Rheinwein feucht erhalten hat. Auch that sich das Wild gütlich in Laub und Gras. Zahlreich, fast wie Heuschrecken, flatterten die wilden Tauben in den reichbehängten Aesten, und kühn und trotzig führten die alten Schweine die jungen spazieren unter die wohlbekannten großgeästeten Bäume. So wild Kurt war, so leise konnte er gleiten durch der Wälder Schatten, wenn er Etwas beschleichen wollte. Ein altes Schwein that mit einem Rudel Jungen unter einer großen Buche sich gütlich. Kurths Speer warf ein Thier nieder, über dem Geräusch erschrak der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0025]
einem der vielen Bäche, stärkte sich und wusch sich rein. Er mußte heim, doch nicht gern kam er mit leeren Händen, und daß man seinen Antheil an der Beute ihm nicht hatte liegen lassen, versteht sich. Kurt knurrte wohl gegen die Mutter, aber innerlich hatte er doch großen Respect vor ihr. Wenn die Mutter ein räs resolut Weib ist, ihre Zunge zu handhaben weiß in Hohn und Zorn wie einen zweischneidenden Dolch, so hat ein Sohn, wie stark und wild er auch wird, Furcht und Bangen vor der Mutter. Es ist seltsam und doch so, daß man die Gewalt über die Söhne viel öfter bei den Müttern als bei den Vätern findet. Es war Herbst, die Fastnachtszeit des Wildes im Walde, denn da schüttelt ihnen die milde Hand, welche sich aufthut jeglicher Creatur, wahre Herrenfressen von der mächtigen Eiche und der rothbelaubten Buche, die ein Aussehen hat, wie ein alter Ritter, der sein Antlitz täglich von früh bis spät mit Rheinwein feucht erhalten hat. Auch that sich das Wild gütlich in Laub und Gras. Zahlreich, fast wie Heuschrecken, flatterten die wilden Tauben in den reichbehängten Aesten, und kühn und trotzig führten die alten Schweine die jungen spazieren unter die wohlbekannten großgeästeten Bäume. So wild Kurt war, so leise konnte er gleiten durch der Wälder Schatten, wenn er Etwas beschleichen wollte. Ein altes Schwein that mit einem Rudel Jungen unter einer großen Buche sich gütlich. Kurths Speer warf ein Thier nieder, über dem Geräusch erschrak der
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Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/25>, abgerufen am 27.07.2024. |