Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ewige, Unveränderliche lebt, seine innersten Triebe nach dem Ewigen, Unveränderlichen gehen. Da liegt die Thorheit, daß er aus Sand ein festes Haus bauen will, daß er im Vergänglichen das Unveränderliche sucht. Lange stand staunend Kurt am Rande über der Quelle unter einer weitästigen uralten Eiche, welche noch ganz andern Wechsel gesehen als Kurt; auf einmal sah er mitten unter den Blumen ein Wesen sitzen, golden wie die Blumen, aber größer: die hohe Königin unter ihren niedern Dienerinnen. Es war, als ob das Wesen sein geharret, denn sobald sein Auge es erschaut, erhob es sich; es war der Engel im goldenen Mantel, welcher ihm im schrecklichsten Augenblicke entgegengetreten, den Bann gelöst, ihn gerettet hatte. Es war ein wunderherrliches Frauenbild, als es aufgerichtet vor Kurt stand, goldene Haare flossen in nie gesehener Fülle, einem goldenen Mantel gleich, um die hehre Gestalt, mild leuchtete im Angesicht, gleich freundlichen Sternen, ein blaues Augenpaar. Kurt bebte; sollten die Schrecknisse wieder beginnen? Da machte die Frauengestalt das Zeichen des Kreuzes über sich, über Kurt und seine Kinder und sagte: Ich harrte dein, wohl dir daß du kommst! Dir vertraue ich diesen Brunnen an wahre ihn mir, rein und heilig; sorge dafür, daß Ruhe um ihn sei, daß kein Blut ihn röthe, von Menschenhand vergossen, keine Waffe die Eiche treffe, an welcher du jetzt stehst, alles Wild hier sicher sei, eine sichere Freistätte hier sei vor des Menschen blutigem Ewige, Unveränderliche lebt, seine innersten Triebe nach dem Ewigen, Unveränderlichen gehen. Da liegt die Thorheit, daß er aus Sand ein festes Haus bauen will, daß er im Vergänglichen das Unveränderliche sucht. Lange stand staunend Kurt am Rande über der Quelle unter einer weitästigen uralten Eiche, welche noch ganz andern Wechsel gesehen als Kurt; auf einmal sah er mitten unter den Blumen ein Wesen sitzen, golden wie die Blumen, aber größer: die hohe Königin unter ihren niedern Dienerinnen. Es war, als ob das Wesen sein geharret, denn sobald sein Auge es erschaut, erhob es sich; es war der Engel im goldenen Mantel, welcher ihm im schrecklichsten Augenblicke entgegengetreten, den Bann gelöst, ihn gerettet hatte. Es war ein wunderherrliches Frauenbild, als es aufgerichtet vor Kurt stand, goldene Haare flossen in nie gesehener Fülle, einem goldenen Mantel gleich, um die hehre Gestalt, mild leuchtete im Angesicht, gleich freundlichen Sternen, ein blaues Augenpaar. Kurt bebte; sollten die Schrecknisse wieder beginnen? Da machte die Frauengestalt das Zeichen des Kreuzes über sich, über Kurt und seine Kinder und sagte: Ich harrte dein, wohl dir daß du kommst! Dir vertraue ich diesen Brunnen an wahre ihn mir, rein und heilig; sorge dafür, daß Ruhe um ihn sei, daß kein Blut ihn röthe, von Menschenhand vergossen, keine Waffe die Eiche treffe, an welcher du jetzt stehst, alles Wild hier sicher sei, eine sichere Freistätte hier sei vor des Menschen blutigem <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0193"/> Ewige, Unveränderliche lebt, seine innersten Triebe nach dem Ewigen, Unveränderlichen gehen. Da liegt die Thorheit, daß er aus Sand ein festes Haus bauen will, daß er im Vergänglichen das Unveränderliche sucht. Lange stand staunend Kurt am Rande über der Quelle unter einer weitästigen uralten Eiche, welche noch ganz andern Wechsel gesehen als Kurt; auf einmal sah er mitten unter den Blumen ein Wesen sitzen, golden wie die Blumen, aber größer: die hohe Königin unter ihren niedern Dienerinnen. Es war, als ob das Wesen sein geharret, denn sobald sein Auge es erschaut, erhob es sich; es war der Engel im goldenen Mantel, welcher ihm im schrecklichsten Augenblicke entgegengetreten, den Bann gelöst, ihn gerettet hatte. Es war ein wunderherrliches Frauenbild, als es aufgerichtet vor Kurt stand, goldene Haare flossen in nie gesehener Fülle, einem goldenen Mantel gleich, um die hehre Gestalt, mild leuchtete im Angesicht, gleich freundlichen Sternen, ein blaues Augenpaar. Kurt bebte; sollten die Schrecknisse wieder beginnen? Da machte die Frauengestalt das Zeichen des Kreuzes über sich, über Kurt und seine Kinder und sagte: Ich harrte dein, wohl dir daß du kommst! Dir vertraue ich diesen Brunnen an wahre ihn mir, rein und heilig; sorge dafür, daß Ruhe um ihn sei, daß kein Blut ihn röthe, von Menschenhand vergossen, keine Waffe die Eiche treffe, an welcher du jetzt stehst, alles Wild hier sicher sei, eine sichere Freistätte hier sei vor des Menschen blutigem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0193]
Ewige, Unveränderliche lebt, seine innersten Triebe nach dem Ewigen, Unveränderlichen gehen. Da liegt die Thorheit, daß er aus Sand ein festes Haus bauen will, daß er im Vergänglichen das Unveränderliche sucht. Lange stand staunend Kurt am Rande über der Quelle unter einer weitästigen uralten Eiche, welche noch ganz andern Wechsel gesehen als Kurt; auf einmal sah er mitten unter den Blumen ein Wesen sitzen, golden wie die Blumen, aber größer: die hohe Königin unter ihren niedern Dienerinnen. Es war, als ob das Wesen sein geharret, denn sobald sein Auge es erschaut, erhob es sich; es war der Engel im goldenen Mantel, welcher ihm im schrecklichsten Augenblicke entgegengetreten, den Bann gelöst, ihn gerettet hatte. Es war ein wunderherrliches Frauenbild, als es aufgerichtet vor Kurt stand, goldene Haare flossen in nie gesehener Fülle, einem goldenen Mantel gleich, um die hehre Gestalt, mild leuchtete im Angesicht, gleich freundlichen Sternen, ein blaues Augenpaar. Kurt bebte; sollten die Schrecknisse wieder beginnen? Da machte die Frauengestalt das Zeichen des Kreuzes über sich, über Kurt und seine Kinder und sagte: Ich harrte dein, wohl dir daß du kommst! Dir vertraue ich diesen Brunnen an wahre ihn mir, rein und heilig; sorge dafür, daß Ruhe um ihn sei, daß kein Blut ihn röthe, von Menschenhand vergossen, keine Waffe die Eiche treffe, an welcher du jetzt stehst, alles Wild hier sicher sei, eine sichere Freistätte hier sei vor des Menschen blutigem
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/193 |
Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/193>, abgerufen am 28.07.2024. |