Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

weg von Tannenbusch zu Tannenbusch. Je näher Kurt dem Brunnen kam, desto seltsamer ward es ihm zu Muthe; das wohllüstige Grauen strich in reichen Strömen durch ihn hin, und zögernd setzte er seinen Fuß vorwärts. Die Jungen, welche die Sage kannten und gehört, was der Vater hier erlebt, drängten sich um ihn, doch wenn eines der Gethiere ihnen zu nahe kam, hielten sie sich nicht, sondern brachen aus, und als sie von Weitem den gelben Glanz sahen, der von den schönen gelben Frühblumen, hier Bachtelen, woher auch der Brunnen den Namen trägt, andern Orts Glockenblumen genannt -- durch die Bäume schimmerte, jubelten sie laut auf, vergaßen, was sie wußten, stürzten sich auf das, was sie sahen, wie es oft geht in der Welt. Aber ernst rief sie der Vater zusammen, und alsbald drängten sie sich wieder um ihn her.

In stillem Frieden und hellem Sonnenlichte lag der Platz, mit goldenen Blumen dicht besetzt, wie mit silbernen Sternen der Himmel. Wie war es so ganz anders hier, als in jener Nacht, wo hier das Thor der Hölle stand vor Kurt, wo aus demselben der Hölle grimmigste Gebilde quollen und auf Kurt einbrachen mit unerhörten Schrecknissen. So wechselt nicht bloß dieser Platz seine Gestaltung, so wechselt das Leben Gestalt und Farbe, und dieser Wechsel, der alle Tage wiederkehrt, bleibt doch wie ein Fremdes dem Menschen, an das er nie Glauben faßt; wohl ein sicheres Zeichen, wie in seiner innersten Natur der Glaube an das

weg von Tannenbusch zu Tannenbusch. Je näher Kurt dem Brunnen kam, desto seltsamer ward es ihm zu Muthe; das wohllüstige Grauen strich in reichen Strömen durch ihn hin, und zögernd setzte er seinen Fuß vorwärts. Die Jungen, welche die Sage kannten und gehört, was der Vater hier erlebt, drängten sich um ihn, doch wenn eines der Gethiere ihnen zu nahe kam, hielten sie sich nicht, sondern brachen aus, und als sie von Weitem den gelben Glanz sahen, der von den schönen gelben Frühblumen, hier Bachtelen, woher auch der Brunnen den Namen trägt, andern Orts Glockenblumen genannt — durch die Bäume schimmerte, jubelten sie laut auf, vergaßen, was sie wußten, stürzten sich auf das, was sie sahen, wie es oft geht in der Welt. Aber ernst rief sie der Vater zusammen, und alsbald drängten sie sich wieder um ihn her.

In stillem Frieden und hellem Sonnenlichte lag der Platz, mit goldenen Blumen dicht besetzt, wie mit silbernen Sternen der Himmel. Wie war es so ganz anders hier, als in jener Nacht, wo hier das Thor der Hölle stand vor Kurt, wo aus demselben der Hölle grimmigste Gebilde quollen und auf Kurt einbrachen mit unerhörten Schrecknissen. So wechselt nicht bloß dieser Platz seine Gestaltung, so wechselt das Leben Gestalt und Farbe, und dieser Wechsel, der alle Tage wiederkehrt, bleibt doch wie ein Fremdes dem Menschen, an das er nie Glauben faßt; wohl ein sicheres Zeichen, wie in seiner innersten Natur der Glaube an das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0192"/>
weg von Tannenbusch zu Tannenbusch. Je näher Kurt dem Brunnen kam,                     desto seltsamer ward es ihm zu Muthe; das wohllüstige Grauen strich in reichen                     Strömen durch ihn hin, und zögernd setzte er seinen Fuß vorwärts. Die Jungen,                     welche die Sage kannten und gehört, was der Vater hier erlebt, drängten sich um                     ihn, doch wenn eines der Gethiere ihnen zu nahe kam, hielten sie sich nicht,                     sondern brachen aus, und als sie von Weitem den gelben Glanz sahen, der von den                     schönen gelben Frühblumen, hier Bachtelen, woher auch der Brunnen den Namen                     trägt, andern Orts Glockenblumen genannt &#x2014; durch die Bäume schimmerte, jubelten                     sie laut auf, vergaßen, was sie wußten, stürzten sich auf das, was sie sahen,                     wie es oft geht in der Welt. Aber ernst rief sie der Vater zusammen, und alsbald                     drängten sie sich wieder um ihn her.</p><lb/>
        <p>In stillem Frieden und hellem Sonnenlichte lag der Platz, mit goldenen Blumen                     dicht besetzt, wie mit silbernen Sternen der Himmel. Wie war es so ganz anders                     hier, als in jener Nacht, wo hier das Thor der Hölle stand vor Kurt, wo aus                     demselben der Hölle grimmigste Gebilde quollen und auf Kurt einbrachen mit                     unerhörten Schrecknissen. So wechselt nicht bloß dieser Platz seine Gestaltung,                     so wechselt das Leben Gestalt und Farbe, und dieser Wechsel, der alle Tage                     wiederkehrt, bleibt doch wie ein Fremdes dem Menschen, an das er nie Glauben                     faßt; wohl ein sicheres Zeichen, wie in seiner innersten Natur der Glaube an das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0192] weg von Tannenbusch zu Tannenbusch. Je näher Kurt dem Brunnen kam, desto seltsamer ward es ihm zu Muthe; das wohllüstige Grauen strich in reichen Strömen durch ihn hin, und zögernd setzte er seinen Fuß vorwärts. Die Jungen, welche die Sage kannten und gehört, was der Vater hier erlebt, drängten sich um ihn, doch wenn eines der Gethiere ihnen zu nahe kam, hielten sie sich nicht, sondern brachen aus, und als sie von Weitem den gelben Glanz sahen, der von den schönen gelben Frühblumen, hier Bachtelen, woher auch der Brunnen den Namen trägt, andern Orts Glockenblumen genannt — durch die Bäume schimmerte, jubelten sie laut auf, vergaßen, was sie wußten, stürzten sich auf das, was sie sahen, wie es oft geht in der Welt. Aber ernst rief sie der Vater zusammen, und alsbald drängten sie sich wieder um ihn her. In stillem Frieden und hellem Sonnenlichte lag der Platz, mit goldenen Blumen dicht besetzt, wie mit silbernen Sternen der Himmel. Wie war es so ganz anders hier, als in jener Nacht, wo hier das Thor der Hölle stand vor Kurt, wo aus demselben der Hölle grimmigste Gebilde quollen und auf Kurt einbrachen mit unerhörten Schrecknissen. So wechselt nicht bloß dieser Platz seine Gestaltung, so wechselt das Leben Gestalt und Farbe, und dieser Wechsel, der alle Tage wiederkehrt, bleibt doch wie ein Fremdes dem Menschen, an das er nie Glauben faßt; wohl ein sicheres Zeichen, wie in seiner innersten Natur der Glaube an das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/192
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/192>, abgerufen am 22.11.2024.