Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Agnes ihrem Manne wieder näher gebracht; er lag da so weich, so matt, daß die Kinder sich ihm näherten, daß sie ihn wieder fragen durfte um sein vergangenes Thun und Treiben, fragen, wo er gewesen und was ihm zuletzt bei vollem Bewußtsein begegnet. Kurt erzählte, was er wußte, sein Herz war dem Weibe wieder offen. Dies freute Agnes sehr, und darin lag die Versöhnung, für sentimentale Zärtlichkeiten und Herzensergießungen fehlte Beiden der Verstand; dazu kam noch bei Agnes das Erbarmen mit dem armen Kurt, der erst von seinen Freunden verrathen, dann so Schreckliches hatte ausstehen müssen. Kurt war es, als sei ihm ein Brett vor den Augen gewesen und jetzt abgefallen; er sah nicht bloß das Heillose seines Lebens vollständig ein, sondern auch daß er der Narr Aller gewesen und von seinen sogenannten Freunden und Bekannten es Niemand gut mit ihm gemeint, als vielleicht die Tochter in der Hütte; seine alte Verblendung war ihm rein unbegreiflich, denn jetzt sah er Alles so klar und ganz anders. Er konnte sich das durchaus nicht anders erklären, als daß er durch Trank oder Spruch verzaubert und verhext gewesen, wie ja bis auf den heutigen Tag der Glaube an Tränke, wodurch das Innere des Menschen umgewandelt, in Liebe oder Haß entflammt werden könne, geblieben ist. Der gute Kurt wußte so wenig als viele Menschen noch heutzutage, wie wandelbar der Menschen Herz ist, wie abhängig von äußeren Eindrücken, wie leicht es

Agnes ihrem Manne wieder näher gebracht; er lag da so weich, so matt, daß die Kinder sich ihm näherten, daß sie ihn wieder fragen durfte um sein vergangenes Thun und Treiben, fragen, wo er gewesen und was ihm zuletzt bei vollem Bewußtsein begegnet. Kurt erzählte, was er wußte, sein Herz war dem Weibe wieder offen. Dies freute Agnes sehr, und darin lag die Versöhnung, für sentimentale Zärtlichkeiten und Herzensergießungen fehlte Beiden der Verstand; dazu kam noch bei Agnes das Erbarmen mit dem armen Kurt, der erst von seinen Freunden verrathen, dann so Schreckliches hatte ausstehen müssen. Kurt war es, als sei ihm ein Brett vor den Augen gewesen und jetzt abgefallen; er sah nicht bloß das Heillose seines Lebens vollständig ein, sondern auch daß er der Narr Aller gewesen und von seinen sogenannten Freunden und Bekannten es Niemand gut mit ihm gemeint, als vielleicht die Tochter in der Hütte; seine alte Verblendung war ihm rein unbegreiflich, denn jetzt sah er Alles so klar und ganz anders. Er konnte sich das durchaus nicht anders erklären, als daß er durch Trank oder Spruch verzaubert und verhext gewesen, wie ja bis auf den heutigen Tag der Glaube an Tränke, wodurch das Innere des Menschen umgewandelt, in Liebe oder Haß entflammt werden könne, geblieben ist. Der gute Kurt wußte so wenig als viele Menschen noch heutzutage, wie wandelbar der Menschen Herz ist, wie abhängig von äußeren Eindrücken, wie leicht es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0181"/>
Agnes                     ihrem Manne wieder näher gebracht; er lag da so weich, so matt, daß die Kinder                     sich ihm näherten, daß sie ihn wieder fragen durfte um sein vergangenes Thun und                     Treiben, fragen, wo er gewesen und was ihm zuletzt bei vollem Bewußtsein                     begegnet. Kurt erzählte, was er wußte, sein Herz war dem Weibe wieder offen.                     Dies freute Agnes sehr, und darin lag die Versöhnung, für sentimentale                     Zärtlichkeiten und Herzensergießungen fehlte Beiden der Verstand; dazu kam noch                     bei Agnes das Erbarmen mit dem armen Kurt, der erst von seinen Freunden                     verrathen, dann so Schreckliches hatte ausstehen müssen. Kurt war es, als sei                     ihm ein Brett vor den Augen gewesen und jetzt abgefallen; er sah nicht bloß das                     Heillose seines Lebens vollständig ein, sondern auch daß er der Narr Aller                     gewesen und von seinen sogenannten Freunden und Bekannten es Niemand gut mit ihm                     gemeint, als vielleicht die Tochter in der Hütte; seine alte Verblendung war ihm                     rein unbegreiflich, denn jetzt sah er Alles so klar und ganz anders. Er konnte                     sich das durchaus nicht anders erklären, als daß er durch Trank oder Spruch                     verzaubert und verhext gewesen, wie ja bis auf den heutigen Tag der Glaube an                     Tränke, wodurch das Innere des Menschen umgewandelt, in Liebe oder Haß entflammt                     werden könne, geblieben ist. Der gute Kurt wußte so wenig als viele Menschen                     noch heutzutage, wie wandelbar der Menschen Herz ist, wie abhängig von äußeren                     Eindrücken, wie leicht es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0181] Agnes ihrem Manne wieder näher gebracht; er lag da so weich, so matt, daß die Kinder sich ihm näherten, daß sie ihn wieder fragen durfte um sein vergangenes Thun und Treiben, fragen, wo er gewesen und was ihm zuletzt bei vollem Bewußtsein begegnet. Kurt erzählte, was er wußte, sein Herz war dem Weibe wieder offen. Dies freute Agnes sehr, und darin lag die Versöhnung, für sentimentale Zärtlichkeiten und Herzensergießungen fehlte Beiden der Verstand; dazu kam noch bei Agnes das Erbarmen mit dem armen Kurt, der erst von seinen Freunden verrathen, dann so Schreckliches hatte ausstehen müssen. Kurt war es, als sei ihm ein Brett vor den Augen gewesen und jetzt abgefallen; er sah nicht bloß das Heillose seines Lebens vollständig ein, sondern auch daß er der Narr Aller gewesen und von seinen sogenannten Freunden und Bekannten es Niemand gut mit ihm gemeint, als vielleicht die Tochter in der Hütte; seine alte Verblendung war ihm rein unbegreiflich, denn jetzt sah er Alles so klar und ganz anders. Er konnte sich das durchaus nicht anders erklären, als daß er durch Trank oder Spruch verzaubert und verhext gewesen, wie ja bis auf den heutigen Tag der Glaube an Tränke, wodurch das Innere des Menschen umgewandelt, in Liebe oder Haß entflammt werden könne, geblieben ist. Der gute Kurt wußte so wenig als viele Menschen noch heutzutage, wie wandelbar der Menschen Herz ist, wie abhängig von äußeren Eindrücken, wie leicht es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/181
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/181>, abgerufen am 22.11.2024.