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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Glauben, daß erlaubt sei Alles, wozu man gelangen könne mit List oder Gewalt. Dieser Unterricht bewährte sich als sehr naturgemäß; Kurt faßte ihn mit der größten Leichtigkeit und übte sich darin mit der größten Freudigkeit. Es entwickelte sich in ihm ein gewaltiger Körperbau, er wagte sich täglich an gefährlichere Thiere, dem Wildschwein ward sein Spieß gefährlich, dem Bären ging er nicht mehr aus dem Wege, aber freundliche Worte erbeutete er deßwegen von seiner Mutter nicht. Eines Tages hatte man in Koppigen eine seltene Erscheinung: ein Hausirer stand unterm Thore und bot seine Waare feil, Schmucksachen für hohe und niedere Weiber. Frau Grimhilde besah sich die Herrlichkeiten mit funkelnden Augen, und als sie sich endlich von ihnen losreißen mußte, weil sie kein Geld hatte, schossen ihre Augen tödtliche Blitze. Als der Hausirer die leeren Hände und die glühenden Augen sah, machte er, daß er fortkam, dachte, da sei er zum letzten Male gewesen. Er hatte Recht, doch nicht so, wie er es meinte, denn nicht lange ging's, kam Kurt mit dem ganzen Kram des Hausirers wieder zum Thore herein. Er hatte der Mutter Gier gesehen und gedacht, wenn je, so sei jetzt die Gelegenheit, ihr Freude zu machen und gute Worte abzugewinnen, und im nächsten Busche erschoß er mit der Armbrust den Hausirer. Er hatte Recht gehabt, die Mutter hatte Freude, lobte ihn, es war ihr, als breche ein junger Tag für sie an, an welchem sich verwirklichen würden ihre bereits

Glauben, daß erlaubt sei Alles, wozu man gelangen könne mit List oder Gewalt. Dieser Unterricht bewährte sich als sehr naturgemäß; Kurt faßte ihn mit der größten Leichtigkeit und übte sich darin mit der größten Freudigkeit. Es entwickelte sich in ihm ein gewaltiger Körperbau, er wagte sich täglich an gefährlichere Thiere, dem Wildschwein ward sein Spieß gefährlich, dem Bären ging er nicht mehr aus dem Wege, aber freundliche Worte erbeutete er deßwegen von seiner Mutter nicht. Eines Tages hatte man in Koppigen eine seltene Erscheinung: ein Hausirer stand unterm Thore und bot seine Waare feil, Schmucksachen für hohe und niedere Weiber. Frau Grimhilde besah sich die Herrlichkeiten mit funkelnden Augen, und als sie sich endlich von ihnen losreißen mußte, weil sie kein Geld hatte, schossen ihre Augen tödtliche Blitze. Als der Hausirer die leeren Hände und die glühenden Augen sah, machte er, daß er fortkam, dachte, da sei er zum letzten Male gewesen. Er hatte Recht, doch nicht so, wie er es meinte, denn nicht lange ging's, kam Kurt mit dem ganzen Kram des Hausirers wieder zum Thore herein. Er hatte der Mutter Gier gesehen und gedacht, wenn je, so sei jetzt die Gelegenheit, ihr Freude zu machen und gute Worte abzugewinnen, und im nächsten Busche erschoß er mit der Armbrust den Hausirer. Er hatte Recht gehabt, die Mutter hatte Freude, lobte ihn, es war ihr, als breche ein junger Tag für sie an, an welchem sich verwirklichen würden ihre bereits

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[0017] Glauben, daß erlaubt sei Alles, wozu man gelangen könne mit List oder Gewalt. Dieser Unterricht bewährte sich als sehr naturgemäß; Kurt faßte ihn mit der größten Leichtigkeit und übte sich darin mit der größten Freudigkeit. Es entwickelte sich in ihm ein gewaltiger Körperbau, er wagte sich täglich an gefährlichere Thiere, dem Wildschwein ward sein Spieß gefährlich, dem Bären ging er nicht mehr aus dem Wege, aber freundliche Worte erbeutete er deßwegen von seiner Mutter nicht. Eines Tages hatte man in Koppigen eine seltene Erscheinung: ein Hausirer stand unterm Thore und bot seine Waare feil, Schmucksachen für hohe und niedere Weiber. Frau Grimhilde besah sich die Herrlichkeiten mit funkelnden Augen, und als sie sich endlich von ihnen losreißen mußte, weil sie kein Geld hatte, schossen ihre Augen tödtliche Blitze. Als der Hausirer die leeren Hände und die glühenden Augen sah, machte er, daß er fortkam, dachte, da sei er zum letzten Male gewesen. Er hatte Recht, doch nicht so, wie er es meinte, denn nicht lange ging's, kam Kurt mit dem ganzen Kram des Hausirers wieder zum Thore herein. Er hatte der Mutter Gier gesehen und gedacht, wenn je, so sei jetzt die Gelegenheit, ihr Freude zu machen und gute Worte abzugewinnen, und im nächsten Busche erschoß er mit der Armbrust den Hausirer. Er hatte Recht gehabt, die Mutter hatte Freude, lobte ihn, es war ihr, als breche ein junger Tag für sie an, an welchem sich verwirklichen würden ihre bereits

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/17>, abgerufen am 23.11.2024.