Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.wahren; es ist eine äußere, durch Ceremonien, äußern Dienst, zeitweise Züchtigung des Fleisches. Je größer diese Buße wird oder scheint, desto mehr wird dem Fleische zeitweise gestattet, desto kräftiger macht es seine Rechte geltend, weil es der Bezahlung sich gewiß glaubt. Diese Vermittelung hatte sich auch in manchem Kloster festgesetzt und thronte dort sichtbarlich und fiel, als in Einem Orte auf Viele zusammengedrängt, weithin in die Augen. Wahre Christen nahmen von je an dieser Vermittelung und solchen Klöstern, welche dieser Vermittelung sichtbare Repräsentanten waren, welche thaten, als entsagten sie der Welt, jedoch nur um sie desto besser und sicherer zu genießen, ihr Aergerniß. Einem großen Theile der Welt waren damals solche Klöster willkommen; man fand dort die Vermittelung, welche der weltliche Sinn liebt und welche ein unerleuchtet Gewissen befriedigt. Wenn der Mensch zum Selbstgötzen wird, dann scheint ihm jede Vermittelung unnöthig, ja ein Majestätsverbrechen gegen seine Selbstherrlichkeit, dann haßt er alle Klöster, in welchen irgend eine Vermittelung, sei es die wahre, sei es die falsche, sichtbarlich oder gleichsam personifizirt in die Welt hineintritt, ja Steine hebt man auf gegen den hohen Vermittler selbst und will ihn steinigen mitten in dem, was seines Vaters ist. Seltsam war zur selben Zeit die Welt voll Furcht und Lust, voll Andacht und Wildheit, daher hoch beliebt die äußere wahren; es ist eine äußere, durch Ceremonien, äußern Dienst, zeitweise Züchtigung des Fleisches. Je größer diese Buße wird oder scheint, desto mehr wird dem Fleische zeitweise gestattet, desto kräftiger macht es seine Rechte geltend, weil es der Bezahlung sich gewiß glaubt. Diese Vermittelung hatte sich auch in manchem Kloster festgesetzt und thronte dort sichtbarlich und fiel, als in Einem Orte auf Viele zusammengedrängt, weithin in die Augen. Wahre Christen nahmen von je an dieser Vermittelung und solchen Klöstern, welche dieser Vermittelung sichtbare Repräsentanten waren, welche thaten, als entsagten sie der Welt, jedoch nur um sie desto besser und sicherer zu genießen, ihr Aergerniß. Einem großen Theile der Welt waren damals solche Klöster willkommen; man fand dort die Vermittelung, welche der weltliche Sinn liebt und welche ein unerleuchtet Gewissen befriedigt. Wenn der Mensch zum Selbstgötzen wird, dann scheint ihm jede Vermittelung unnöthig, ja ein Majestätsverbrechen gegen seine Selbstherrlichkeit, dann haßt er alle Klöster, in welchen irgend eine Vermittelung, sei es die wahre, sei es die falsche, sichtbarlich oder gleichsam personifizirt in die Welt hineintritt, ja Steine hebt man auf gegen den hohen Vermittler selbst und will ihn steinigen mitten in dem, was seines Vaters ist. Seltsam war zur selben Zeit die Welt voll Furcht und Lust, voll Andacht und Wildheit, daher hoch beliebt die äußere <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0159"/> wahren; es ist eine äußere, durch Ceremonien, äußern Dienst, zeitweise Züchtigung des Fleisches. Je größer diese Buße wird oder scheint, desto mehr wird dem Fleische zeitweise gestattet, desto kräftiger macht es seine Rechte geltend, weil es der Bezahlung sich gewiß glaubt. Diese Vermittelung hatte sich auch in manchem Kloster festgesetzt und thronte dort sichtbarlich und fiel, als in Einem Orte auf Viele zusammengedrängt, weithin in die Augen. Wahre Christen nahmen von je an dieser Vermittelung und solchen Klöstern, welche dieser Vermittelung sichtbare Repräsentanten waren, welche thaten, als entsagten sie der Welt, jedoch nur um sie desto besser und sicherer zu genießen, ihr Aergerniß.</p><lb/> <p>Einem großen Theile der Welt waren damals solche Klöster willkommen; man fand dort die Vermittelung, welche der weltliche Sinn liebt und welche ein unerleuchtet Gewissen befriedigt. Wenn der Mensch zum Selbstgötzen wird, dann scheint ihm jede Vermittelung unnöthig, ja ein Majestätsverbrechen gegen seine Selbstherrlichkeit, dann haßt er alle Klöster, in welchen irgend eine Vermittelung, sei es die wahre, sei es die falsche, sichtbarlich oder gleichsam personifizirt in die Welt hineintritt, ja Steine hebt man auf gegen den hohen Vermittler selbst und will ihn steinigen mitten in dem, was seines Vaters ist. Seltsam war zur selben Zeit die Welt voll Furcht und Lust, voll Andacht und Wildheit, daher hoch beliebt die äußere<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0159]
wahren; es ist eine äußere, durch Ceremonien, äußern Dienst, zeitweise Züchtigung des Fleisches. Je größer diese Buße wird oder scheint, desto mehr wird dem Fleische zeitweise gestattet, desto kräftiger macht es seine Rechte geltend, weil es der Bezahlung sich gewiß glaubt. Diese Vermittelung hatte sich auch in manchem Kloster festgesetzt und thronte dort sichtbarlich und fiel, als in Einem Orte auf Viele zusammengedrängt, weithin in die Augen. Wahre Christen nahmen von je an dieser Vermittelung und solchen Klöstern, welche dieser Vermittelung sichtbare Repräsentanten waren, welche thaten, als entsagten sie der Welt, jedoch nur um sie desto besser und sicherer zu genießen, ihr Aergerniß.
Einem großen Theile der Welt waren damals solche Klöster willkommen; man fand dort die Vermittelung, welche der weltliche Sinn liebt und welche ein unerleuchtet Gewissen befriedigt. Wenn der Mensch zum Selbstgötzen wird, dann scheint ihm jede Vermittelung unnöthig, ja ein Majestätsverbrechen gegen seine Selbstherrlichkeit, dann haßt er alle Klöster, in welchen irgend eine Vermittelung, sei es die wahre, sei es die falsche, sichtbarlich oder gleichsam personifizirt in die Welt hineintritt, ja Steine hebt man auf gegen den hohen Vermittler selbst und will ihn steinigen mitten in dem, was seines Vaters ist. Seltsam war zur selben Zeit die Welt voll Furcht und Lust, voll Andacht und Wildheit, daher hoch beliebt die äußere
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Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/159>, abgerufen am 28.07.2024. |