Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Stunden von jedem Orte entfernt, gehörte nicht zum strengsten Orden; aus den vornehmsten Familien beider Städte stammten die meisten Nonnen. Das Kloster lag in einer lieblichen und reichen Gegend, noch jetzt berühmt durch Korn und Stiere, Schnepfen und Fische, Reb- und andere Hühner. Mit beiden Städten war das Kloster in steter Verbindung, in freundschaftlicher und kirchlicher, denn zu feierlichem, würdigem Gottesdienste an großen Festen, wie Weihnachten z. B., bedurfte es auswärtiger Hülfe, in sich hatte es die Mittel nicht. Doch neigte sich das Kloster mehr nach Solothurn hin, hatte mit dieser Stadt den stärkeren Verkehr.

In Solothurn war von je der südliche Sinn, welcher große Kirchlichkeit nicht bloß, sondern auch große zeitweise Zerknirschung mit heiterem Weltsinn und fleischlichen Genüssen auf wunderbare Weise zu vereinigen weiß. Diese wunderbare Mischung fand schon damals in Klöstern und namentlich in weiblichen statt. Der Kampf des Fleisches mit dem Geiste wird bestehen, so lange die Erde in ihren Angeln geht, und eben so lange wird die Vermittelung zwischen beiden gesucht, nach welcher ein inniges Sehnen ist. Die wahre Vermittelung geschieht durch Christus im Inwendigen, daß der neue Mensch aufersteht, die Zügel führt, dem alten Menschen seine angeborenen Rechte läßt, aber keine mehr. Die falsche Vermittelung hat der Teufel in die Welt gesetzt, um abzulenken von der

Stunden von jedem Orte entfernt, gehörte nicht zum strengsten Orden; aus den vornehmsten Familien beider Städte stammten die meisten Nonnen. Das Kloster lag in einer lieblichen und reichen Gegend, noch jetzt berühmt durch Korn und Stiere, Schnepfen und Fische, Reb- und andere Hühner. Mit beiden Städten war das Kloster in steter Verbindung, in freundschaftlicher und kirchlicher, denn zu feierlichem, würdigem Gottesdienste an großen Festen, wie Weihnachten z. B., bedurfte es auswärtiger Hülfe, in sich hatte es die Mittel nicht. Doch neigte sich das Kloster mehr nach Solothurn hin, hatte mit dieser Stadt den stärkeren Verkehr.

In Solothurn war von je der südliche Sinn, welcher große Kirchlichkeit nicht bloß, sondern auch große zeitweise Zerknirschung mit heiterem Weltsinn und fleischlichen Genüssen auf wunderbare Weise zu vereinigen weiß. Diese wunderbare Mischung fand schon damals in Klöstern und namentlich in weiblichen statt. Der Kampf des Fleisches mit dem Geiste wird bestehen, so lange die Erde in ihren Angeln geht, und eben so lange wird die Vermittelung zwischen beiden gesucht, nach welcher ein inniges Sehnen ist. Die wahre Vermittelung geschieht durch Christus im Inwendigen, daß der neue Mensch aufersteht, die Zügel führt, dem alten Menschen seine angeborenen Rechte läßt, aber keine mehr. Die falsche Vermittelung hat der Teufel in die Welt gesetzt, um abzulenken von der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0158"/>
Stunden von jedem Orte entfernt, gehörte nicht zum strengsten                     Orden; aus den vornehmsten Familien beider Städte stammten die meisten Nonnen.                     Das Kloster lag in einer lieblichen und reichen Gegend, noch jetzt berühmt durch                     Korn und Stiere, Schnepfen und Fische, Reb- und andere Hühner. Mit beiden                     Städten war das Kloster in steter Verbindung, in freundschaftlicher und                     kirchlicher, denn zu feierlichem, würdigem Gottesdienste an großen Festen, wie                     Weihnachten z. B., bedurfte es auswärtiger Hülfe, in sich hatte es die Mittel                     nicht. Doch neigte sich das Kloster mehr nach Solothurn hin, hatte mit dieser                     Stadt den stärkeren Verkehr. </p><lb/>
        <p>In Solothurn war von je der südliche Sinn, welcher große Kirchlichkeit nicht                     bloß, sondern auch große zeitweise Zerknirschung mit heiterem Weltsinn und                     fleischlichen Genüssen auf wunderbare Weise zu vereinigen weiß. Diese wunderbare                     Mischung fand schon damals in Klöstern und namentlich in weiblichen statt. Der                     Kampf des Fleisches mit dem Geiste wird bestehen, so lange die Erde in ihren                     Angeln geht, und eben so lange wird die Vermittelung zwischen beiden gesucht,                     nach welcher ein inniges Sehnen ist. Die wahre Vermittelung geschieht durch                     Christus im Inwendigen, daß der neue Mensch aufersteht, die Zügel führt, dem                     alten Menschen seine angeborenen Rechte läßt, aber keine mehr. Die falsche                     Vermittelung hat der Teufel in die Welt gesetzt, um abzulenken von der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0158] Stunden von jedem Orte entfernt, gehörte nicht zum strengsten Orden; aus den vornehmsten Familien beider Städte stammten die meisten Nonnen. Das Kloster lag in einer lieblichen und reichen Gegend, noch jetzt berühmt durch Korn und Stiere, Schnepfen und Fische, Reb- und andere Hühner. Mit beiden Städten war das Kloster in steter Verbindung, in freundschaftlicher und kirchlicher, denn zu feierlichem, würdigem Gottesdienste an großen Festen, wie Weihnachten z. B., bedurfte es auswärtiger Hülfe, in sich hatte es die Mittel nicht. Doch neigte sich das Kloster mehr nach Solothurn hin, hatte mit dieser Stadt den stärkeren Verkehr. In Solothurn war von je der südliche Sinn, welcher große Kirchlichkeit nicht bloß, sondern auch große zeitweise Zerknirschung mit heiterem Weltsinn und fleischlichen Genüssen auf wunderbare Weise zu vereinigen weiß. Diese wunderbare Mischung fand schon damals in Klöstern und namentlich in weiblichen statt. Der Kampf des Fleisches mit dem Geiste wird bestehen, so lange die Erde in ihren Angeln geht, und eben so lange wird die Vermittelung zwischen beiden gesucht, nach welcher ein inniges Sehnen ist. Die wahre Vermittelung geschieht durch Christus im Inwendigen, daß der neue Mensch aufersteht, die Zügel führt, dem alten Menschen seine angeborenen Rechte läßt, aber keine mehr. Die falsche Vermittelung hat der Teufel in die Welt gesetzt, um abzulenken von der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/158
Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/158>, abgerufen am 28.11.2024.