Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sie alsbald verrathen und ausgekundschaftet. So kam Weihnacht heran, aber in dichten Nebel gehüllt, wie sie üblich sind in wasserreichen Gegenden. Die Sonne scheint erloschen, nur noch ein Funke derselben scheint zu kleben am Ende des Dochts. Was man Tag nennt, ist Dämmerung, der Nebel ist so dicht, daß man glaubt, ihn nicht bloß mit Löffeln schöpfen, sondern mit Messern schneiden zu können. In der Hütte sah es aus wie üblich. Das Feuer brannte, auf demselben saß der Kessel, neben demselben die Alte und machte ein böses Gesicht. Die Herren waren gegenwärtig nicht einträgliche Gäste, forderten viel und brachten wenig. Sie hatte, wie gesagt, von Natur eins, welches bereits böse genug gewesen wäre, sie machte es aber jetzt mit Absicht viel böser noch und ließ es so recht leuchten im Scheine des Feuers einer ihr gegenüber sitzenden Figur. Diese schien lang zu sein, streckte magere Beine aus, hatte ein schmal Gesicht, einen spitzen Bart, eine hohe Stirne, weil sie bis in die Mitte des Kopfes, wo keine Haare mehr waren, zu gehen schien: das ganze Gesicht hatte etwas Spitzbübisches, doch sah man an der Kleidung und den Sporen an seinen Füßen, daß er nicht zum ganz gemeinen Lumpengesindel gehöre, sondern zum herrschaftlichen: es war der Flumenthaler Junker, der schäbigste von Allen, der seine Beute zu machen wußte und zu Neste trug. Er plünderte die Andern, ließ sich aber durch Samt und seine Gesellen nicht plündern. Er sie alsbald verrathen und ausgekundschaftet. So kam Weihnacht heran, aber in dichten Nebel gehüllt, wie sie üblich sind in wasserreichen Gegenden. Die Sonne scheint erloschen, nur noch ein Funke derselben scheint zu kleben am Ende des Dochts. Was man Tag nennt, ist Dämmerung, der Nebel ist so dicht, daß man glaubt, ihn nicht bloß mit Löffeln schöpfen, sondern mit Messern schneiden zu können. In der Hütte sah es aus wie üblich. Das Feuer brannte, auf demselben saß der Kessel, neben demselben die Alte und machte ein böses Gesicht. Die Herren waren gegenwärtig nicht einträgliche Gäste, forderten viel und brachten wenig. Sie hatte, wie gesagt, von Natur eins, welches bereits böse genug gewesen wäre, sie machte es aber jetzt mit Absicht viel böser noch und ließ es so recht leuchten im Scheine des Feuers einer ihr gegenüber sitzenden Figur. Diese schien lang zu sein, streckte magere Beine aus, hatte ein schmal Gesicht, einen spitzen Bart, eine hohe Stirne, weil sie bis in die Mitte des Kopfes, wo keine Haare mehr waren, zu gehen schien: das ganze Gesicht hatte etwas Spitzbübisches, doch sah man an der Kleidung und den Sporen an seinen Füßen, daß er nicht zum ganz gemeinen Lumpengesindel gehöre, sondern zum herrschaftlichen: es war der Flumenthaler Junker, der schäbigste von Allen, der seine Beute zu machen wußte und zu Neste trug. Er plünderte die Andern, ließ sich aber durch Samt und seine Gesellen nicht plündern. Er <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0147"/> sie alsbald verrathen und ausgekundschaftet. So kam Weihnacht heran, aber in dichten Nebel gehüllt, wie sie üblich sind in wasserreichen Gegenden. Die Sonne scheint erloschen, nur noch ein Funke derselben scheint zu kleben am Ende des Dochts. Was man Tag nennt, ist Dämmerung, der Nebel ist so dicht, daß man glaubt, ihn nicht bloß mit Löffeln schöpfen, sondern mit Messern schneiden zu können. In der Hütte sah es aus wie üblich. Das Feuer brannte, auf demselben saß der Kessel, neben demselben die Alte und machte ein böses Gesicht. Die Herren waren gegenwärtig nicht einträgliche Gäste, forderten viel und brachten wenig. Sie hatte, wie gesagt, von Natur eins, welches bereits böse genug gewesen wäre, sie machte es aber jetzt mit Absicht viel böser noch und ließ es so recht leuchten im Scheine des Feuers einer ihr gegenüber sitzenden Figur. Diese schien lang zu sein, streckte magere Beine aus, hatte ein schmal Gesicht, einen spitzen Bart, eine hohe Stirne, weil sie bis in die Mitte des Kopfes, wo keine Haare mehr waren, zu gehen schien: das ganze Gesicht hatte etwas Spitzbübisches, doch sah man an der Kleidung und den Sporen an seinen Füßen, daß er nicht zum ganz gemeinen Lumpengesindel gehöre, sondern zum herrschaftlichen: es war der Flumenthaler Junker, der schäbigste von Allen, der seine Beute zu machen wußte und zu Neste trug. Er plünderte die Andern, ließ sich aber durch Samt und seine Gesellen nicht plündern. Er<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0147]
sie alsbald verrathen und ausgekundschaftet. So kam Weihnacht heran, aber in dichten Nebel gehüllt, wie sie üblich sind in wasserreichen Gegenden. Die Sonne scheint erloschen, nur noch ein Funke derselben scheint zu kleben am Ende des Dochts. Was man Tag nennt, ist Dämmerung, der Nebel ist so dicht, daß man glaubt, ihn nicht bloß mit Löffeln schöpfen, sondern mit Messern schneiden zu können. In der Hütte sah es aus wie üblich. Das Feuer brannte, auf demselben saß der Kessel, neben demselben die Alte und machte ein böses Gesicht. Die Herren waren gegenwärtig nicht einträgliche Gäste, forderten viel und brachten wenig. Sie hatte, wie gesagt, von Natur eins, welches bereits böse genug gewesen wäre, sie machte es aber jetzt mit Absicht viel böser noch und ließ es so recht leuchten im Scheine des Feuers einer ihr gegenüber sitzenden Figur. Diese schien lang zu sein, streckte magere Beine aus, hatte ein schmal Gesicht, einen spitzen Bart, eine hohe Stirne, weil sie bis in die Mitte des Kopfes, wo keine Haare mehr waren, zu gehen schien: das ganze Gesicht hatte etwas Spitzbübisches, doch sah man an der Kleidung und den Sporen an seinen Füßen, daß er nicht zum ganz gemeinen Lumpengesindel gehöre, sondern zum herrschaftlichen: es war der Flumenthaler Junker, der schäbigste von Allen, der seine Beute zu machen wußte und zu Neste trug. Er plünderte die Andern, ließ sich aber durch Samt und seine Gesellen nicht plündern. Er
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Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/147>, abgerufen am 16.02.2025. |