Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.am Gerichte alles Gesunde zum Tode verurtheilt, aus dem Leben ausgestoßen wird. Als Kurt lebte, war es eine wüste, wilde Zeit, indessen hatte die Gesundheit die Oberhand. Kurt ward mehr und mehr hinausgestoßen aus allen Kreisen, wo Recht und Ehrbarkeit Etwas galten, kam daher immer mehr in das wüste, wirre Treiben hinein, an dessen Ende der Schlund ist, dem Alles verfällt, was ausgestoßen wird aus den gesunden Lebenskreisen. Als Kurt geheirathet hatte, heimgekehrt war als ritterlicher Junker, standen ihm die Burgen des hohen Adels offen, er ward dort nicht ungern gesehen seines einfachen tüchtigen Wesens wegen: jetzt hütete er sich, eine zu betreten, er fürchtete die Bekanntschaft mit den tiefen Löchern in den Thürmen. Er trieb sich mit seinen Spießgesellen in verdächtigen Herbergen herum, zuweilen zog Einer dem Andern nach auf seine Burg, wenn man wußte, daß dort Vorrath war, und oft waren sie Alle verschwunden, als wie von der Erde verwischt, und Tage lang hätte kein Mensch sagen können, ob sie noch lebten, geschweige wo sie lebten. Ein solches Leben befördert begreiflich weder häusliches Glück noch häuslichen Wohlstand. Frau Grimhilde und Frau Agnes verstanden das Haushalten, doch mit dem Unterschiede, daß Frau Grimhilde bloß festhielt, was sie zwischen ihre fünf Finger bekam, während Frau Agnes zu schaffen, zu pflanzen, zu produciren wußte, würde man heutigen Tages sagen. am Gerichte alles Gesunde zum Tode verurtheilt, aus dem Leben ausgestoßen wird. Als Kurt lebte, war es eine wüste, wilde Zeit, indessen hatte die Gesundheit die Oberhand. Kurt ward mehr und mehr hinausgestoßen aus allen Kreisen, wo Recht und Ehrbarkeit Etwas galten, kam daher immer mehr in das wüste, wirre Treiben hinein, an dessen Ende der Schlund ist, dem Alles verfällt, was ausgestoßen wird aus den gesunden Lebenskreisen. Als Kurt geheirathet hatte, heimgekehrt war als ritterlicher Junker, standen ihm die Burgen des hohen Adels offen, er ward dort nicht ungern gesehen seines einfachen tüchtigen Wesens wegen: jetzt hütete er sich, eine zu betreten, er fürchtete die Bekanntschaft mit den tiefen Löchern in den Thürmen. Er trieb sich mit seinen Spießgesellen in verdächtigen Herbergen herum, zuweilen zog Einer dem Andern nach auf seine Burg, wenn man wußte, daß dort Vorrath war, und oft waren sie Alle verschwunden, als wie von der Erde verwischt, und Tage lang hätte kein Mensch sagen können, ob sie noch lebten, geschweige wo sie lebten. Ein solches Leben befördert begreiflich weder häusliches Glück noch häuslichen Wohlstand. Frau Grimhilde und Frau Agnes verstanden das Haushalten, doch mit dem Unterschiede, daß Frau Grimhilde bloß festhielt, was sie zwischen ihre fünf Finger bekam, während Frau Agnes zu schaffen, zu pflanzen, zu produciren wußte, würde man heutigen Tages sagen. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0126"/> am Gerichte alles Gesunde zum Tode verurtheilt, aus dem Leben ausgestoßen wird. Als Kurt lebte, war es eine wüste, wilde Zeit, indessen hatte die Gesundheit die Oberhand. Kurt ward mehr und mehr hinausgestoßen aus allen Kreisen, wo Recht und Ehrbarkeit Etwas galten, kam daher immer mehr in das wüste, wirre Treiben hinein, an dessen Ende der Schlund ist, dem Alles verfällt, was ausgestoßen wird aus den gesunden Lebenskreisen. Als Kurt geheirathet hatte, heimgekehrt war als ritterlicher Junker, standen ihm die Burgen des hohen Adels offen, er ward dort nicht ungern gesehen seines einfachen tüchtigen Wesens wegen: jetzt hütete er sich, eine zu betreten, er fürchtete die Bekanntschaft mit den tiefen Löchern in den Thürmen. Er trieb sich mit seinen Spießgesellen in verdächtigen Herbergen herum, zuweilen zog Einer dem Andern nach auf seine Burg, wenn man wußte, daß dort Vorrath war, und oft waren sie Alle verschwunden, als wie von der Erde verwischt, und Tage lang hätte kein Mensch sagen können, ob sie noch lebten, geschweige wo sie lebten.</p><lb/> <p>Ein solches Leben befördert begreiflich weder häusliches Glück noch häuslichen Wohlstand. Frau Grimhilde und Frau Agnes verstanden das Haushalten, doch mit dem Unterschiede, daß Frau Grimhilde bloß festhielt, was sie zwischen ihre fünf Finger bekam, während Frau Agnes zu schaffen, zu pflanzen, zu produciren wußte, würde man heutigen Tages sagen.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0126]
am Gerichte alles Gesunde zum Tode verurtheilt, aus dem Leben ausgestoßen wird. Als Kurt lebte, war es eine wüste, wilde Zeit, indessen hatte die Gesundheit die Oberhand. Kurt ward mehr und mehr hinausgestoßen aus allen Kreisen, wo Recht und Ehrbarkeit Etwas galten, kam daher immer mehr in das wüste, wirre Treiben hinein, an dessen Ende der Schlund ist, dem Alles verfällt, was ausgestoßen wird aus den gesunden Lebenskreisen. Als Kurt geheirathet hatte, heimgekehrt war als ritterlicher Junker, standen ihm die Burgen des hohen Adels offen, er ward dort nicht ungern gesehen seines einfachen tüchtigen Wesens wegen: jetzt hütete er sich, eine zu betreten, er fürchtete die Bekanntschaft mit den tiefen Löchern in den Thürmen. Er trieb sich mit seinen Spießgesellen in verdächtigen Herbergen herum, zuweilen zog Einer dem Andern nach auf seine Burg, wenn man wußte, daß dort Vorrath war, und oft waren sie Alle verschwunden, als wie von der Erde verwischt, und Tage lang hätte kein Mensch sagen können, ob sie noch lebten, geschweige wo sie lebten.
Ein solches Leben befördert begreiflich weder häusliches Glück noch häuslichen Wohlstand. Frau Grimhilde und Frau Agnes verstanden das Haushalten, doch mit dem Unterschiede, daß Frau Grimhilde bloß festhielt, was sie zwischen ihre fünf Finger bekam, während Frau Agnes zu schaffen, zu pflanzen, zu produciren wußte, würde man heutigen Tages sagen.
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Zitationshilfe: | Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/126>, abgerufen am 28.07.2024. |