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Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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das Glück wollte ihnen nicht. Kurt besonders hatte eine unglückliche Hand, nicht bloß, daß er immer am Wenigsten erbeutete, wenn er auch am Stärksten zuschlug, sondern auf ihn fiel immer der erste Verdacht, ihm wurde der größte Theil des Frevels zugeschoben; er hatte von Jugend auf einen anrüchigen Namen, und wo Etwas gethan wird, dessen Urheber nicht offenkundig werden, schiebt man es ganz gelassen auf die Rechnung Dessen, der bereits die größte und gröbste Rechnung hat. Es ist die menschliche Gesellschaft ein absonderliches Gebilde, eigentlich ein organisches Ganze. Wie ein lebenskräftiger Körper Krankheitsstoff absondert und ausstößt, langsam freilich oft, gerade so macht es die menschliche Gesellschaft unwillkürlich: sie schiebt das Faulende mehr und mehr hinaus, bis sie es endlich draußen hat und über Bord werfen kann. Besitzt ein Körper diese Kraft nicht mehr, vermag er den Krankheitsstoff nicht mehr zu verarbeiten, ihn zu entbinden, vermag das Gesunde sich nicht mehr Platz zu schaffen, da erkrankt dieser Leib mehr und mehr, das Gesunde wird vom Kranken verzehrt, der Zustand wird rettungslos, die Fäulniß erhält die Oberhand, lös't bald das ganze Gebilde auf. Der höchste Grad der Corruption oder Verderbnis tritt ein, wenn dieser Zustand der Fäulniß als Gesundheit angesehen und ausgegeben, durch die Gesetzgebung legitim gemacht, sanctionirt, von Obrigkeitswegen allem Gesunden der Krieg gemacht und unter dem Scheine des Rechts durch Schufte

das Glück wollte ihnen nicht. Kurt besonders hatte eine unglückliche Hand, nicht bloß, daß er immer am Wenigsten erbeutete, wenn er auch am Stärksten zuschlug, sondern auf ihn fiel immer der erste Verdacht, ihm wurde der größte Theil des Frevels zugeschoben; er hatte von Jugend auf einen anrüchigen Namen, und wo Etwas gethan wird, dessen Urheber nicht offenkundig werden, schiebt man es ganz gelassen auf die Rechnung Dessen, der bereits die größte und gröbste Rechnung hat. Es ist die menschliche Gesellschaft ein absonderliches Gebilde, eigentlich ein organisches Ganze. Wie ein lebenskräftiger Körper Krankheitsstoff absondert und ausstößt, langsam freilich oft, gerade so macht es die menschliche Gesellschaft unwillkürlich: sie schiebt das Faulende mehr und mehr hinaus, bis sie es endlich draußen hat und über Bord werfen kann. Besitzt ein Körper diese Kraft nicht mehr, vermag er den Krankheitsstoff nicht mehr zu verarbeiten, ihn zu entbinden, vermag das Gesunde sich nicht mehr Platz zu schaffen, da erkrankt dieser Leib mehr und mehr, das Gesunde wird vom Kranken verzehrt, der Zustand wird rettungslos, die Fäulniß erhält die Oberhand, lös't bald das ganze Gebilde auf. Der höchste Grad der Corruption oder Verderbnis tritt ein, wenn dieser Zustand der Fäulniß als Gesundheit angesehen und ausgegeben, durch die Gesetzgebung legitim gemacht, sanctionirt, von Obrigkeitswegen allem Gesunden der Krieg gemacht und unter dem Scheine des Rechts durch Schufte

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[0125] das Glück wollte ihnen nicht. Kurt besonders hatte eine unglückliche Hand, nicht bloß, daß er immer am Wenigsten erbeutete, wenn er auch am Stärksten zuschlug, sondern auf ihn fiel immer der erste Verdacht, ihm wurde der größte Theil des Frevels zugeschoben; er hatte von Jugend auf einen anrüchigen Namen, und wo Etwas gethan wird, dessen Urheber nicht offenkundig werden, schiebt man es ganz gelassen auf die Rechnung Dessen, der bereits die größte und gröbste Rechnung hat. Es ist die menschliche Gesellschaft ein absonderliches Gebilde, eigentlich ein organisches Ganze. Wie ein lebenskräftiger Körper Krankheitsstoff absondert und ausstößt, langsam freilich oft, gerade so macht es die menschliche Gesellschaft unwillkürlich: sie schiebt das Faulende mehr und mehr hinaus, bis sie es endlich draußen hat und über Bord werfen kann. Besitzt ein Körper diese Kraft nicht mehr, vermag er den Krankheitsstoff nicht mehr zu verarbeiten, ihn zu entbinden, vermag das Gesunde sich nicht mehr Platz zu schaffen, da erkrankt dieser Leib mehr und mehr, das Gesunde wird vom Kranken verzehrt, der Zustand wird rettungslos, die Fäulniß erhält die Oberhand, lös't bald das ganze Gebilde auf. Der höchste Grad der Corruption oder Verderbnis tritt ein, wenn dieser Zustand der Fäulniß als Gesundheit angesehen und ausgegeben, durch die Gesetzgebung legitim gemacht, sanctionirt, von Obrigkeitswegen allem Gesunden der Krieg gemacht und unter dem Scheine des Rechts durch Schufte

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T09:57:28Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T09:57:28Z)

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Zitationshilfe: Gotthelf, Jeremias [d. i. Albert Bitzius]: Kurt von Koppigen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–194. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotthelf_koppingen_1910/125>, abgerufen am 22.11.2024.