Gotter, Friedrich Wilhelm: Die Erbschleicher. Leipzig, 1789.Die Erbschleicher. Therese. Ich sag Ihnen die Wahrheit. Glauben Sie, was Sie wollen. -- Ich stand heute so vergnügt auf und so früh, daß ich den Mond noch am Himmel fand, als ich, nach meiner Ge- wohnheit, ans Fenster trat, um mich von der frischen Morgenluft anwehen zu lassen. -- Der Anblick war mir neu. Ich stand, und gaffte, und träumte, und vergaß mich -- bis ich im Hause schelten hörte; ein Zeichen, daß sich die Mama erhoben hatte. -- Sie hören nicht? Sternberg (in Gedanken.) O ja! Therese. Sie erschien -- zu meinem Er- staunen schon angekleidet -- und ihr guter Mor- gen war so gnädig, als ob sie ein heiliges Werk vorhätte. -- Ich erzähle den vier Wänden. Sternberg. Nein, nein! Therese. Nun wurde der Thee stumm, wie immer, hinein geschlürft, und ich setzte mich schon zu meiner Arbeit, als mir die Mama befahl, mich zum Ausgehn fertig zu machen. Sternberg (wie vo[r]hin.) Wie? Therese. Sehn Sie wohl, daß Sie taub sind! Sternberg. Fahren Sie nur fort! Therese. Wo blieb ich stehen? Die Erbſchleicher. Thereſe. Ich ſag Ihnen die Wahrheit. Glauben Sie, was Sie wollen. — Ich ſtand heute ſo vergnuͤgt auf und ſo fruͤh, daß ich den Mond noch am Himmel fand, als ich, nach meiner Ge- wohnheit, ans Fenſter trat, um mich von der friſchen Morgenluft anwehen zu laſſen. — Der Anblick war mir neu. Ich ſtand, und gaffte, und traͤumte, und vergaß mich — bis ich im Hauſe ſchelten hoͤrte; ein Zeichen, daß ſich die Mama erhoben hatte. — Sie hoͤren nicht? Sternberg (in Gedanken.) O ja! Thereſe. Sie erſchien — zu meinem Er- ſtaunen ſchon angekleidet — und ihr guter Mor- gen war ſo gnaͤdig, als ob ſie ein heiliges Werk vorhaͤtte. — Ich erzaͤhle den vier Waͤnden. Sternberg. Nein, nein! Thereſe. Nun wurde der Thee ſtumm, wie immer, hinein geſchluͤrft, und ich ſetzte mich ſchon zu meiner Arbeit, als mir die Mama befahl, mich zum Ausgehn fertig zu machen. Sternberg (wie vo[r]hin.) Wie? Thereſe. Sehn Sie wohl, daß Sie taub ſind! Sternberg. Fahren Sie nur fort! Thereſe. Wo blieb ich ſtehen? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0056" n="50"/> <fw place="top" type="header">Die Erbſchleicher.</fw><lb/> <sp who="#THE"> <speaker> <hi rendition="#fr">Thereſe.</hi> </speaker> <p>Ich ſag Ihnen die Wahrheit.<lb/> Glauben Sie, was Sie wollen. — Ich ſtand heute<lb/> ſo vergnuͤgt auf und ſo fruͤh, daß ich den Mond<lb/> noch am Himmel fand, als ich, nach meiner Ge-<lb/> wohnheit, ans Fenſter trat, um mich von der friſchen<lb/> Morgenluft anwehen zu laſſen. — Der Anblick war<lb/> mir neu. Ich ſtand, und gaffte, und traͤumte,<lb/> und vergaß mich — bis ich im Hauſe ſchelten<lb/> hoͤrte; ein Zeichen, daß ſich die Mama erhoben<lb/> hatte. — Sie hoͤren nicht?</p> </sp><lb/> <sp who="#STE"> <speaker> <hi rendition="#fr">Sternberg</hi> </speaker> <stage>(in Gedanken.)</stage> <p>O ja!</p> </sp><lb/> <sp who="#THE"> <speaker> <hi rendition="#fr">Thereſe.</hi> </speaker> <p>Sie erſchien — zu meinem Er-<lb/> ſtaunen ſchon angekleidet — und ihr guter Mor-<lb/> gen war ſo gnaͤdig, als ob ſie ein heiliges Werk<lb/> vorhaͤtte. — Ich erzaͤhle den vier Waͤnden.</p> </sp><lb/> <sp who="#STE"> <speaker> <hi rendition="#fr">Sternberg.</hi> </speaker> <p>Nein, nein!</p> </sp><lb/> <sp who="#THE"> <speaker> <hi rendition="#fr">Thereſe.</hi> </speaker> <p>Nun wurde der Thee ſtumm, wie<lb/> immer, hinein geſchluͤrft, und ich ſetzte mich ſchon<lb/> zu meiner Arbeit, als mir die Mama befahl, mich<lb/> zum Ausgehn fertig zu machen.</p> </sp><lb/> <sp who="#STE"> <speaker> <hi rendition="#fr">Sternberg</hi> </speaker> <stage>(wie vo<supplied>r</supplied>hin.)</stage> <p>Wie?</p> </sp><lb/> <sp who="#THE"> <speaker> <hi rendition="#fr">Thereſe.</hi> </speaker> <p>Sehn Sie wohl, daß Sie taub<lb/> ſind!</p> </sp><lb/> <sp who="#STE"> <speaker> <hi rendition="#fr">Sternberg.</hi> </speaker> <p>Fahren Sie nur fort!</p> </sp><lb/> <sp who="#THE"> <speaker> <hi rendition="#fr">Thereſe.</hi> </speaker> <p>Wo blieb ich ſtehen?</p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [50/0056]
Die Erbſchleicher.
Thereſe. Ich ſag Ihnen die Wahrheit.
Glauben Sie, was Sie wollen. — Ich ſtand heute
ſo vergnuͤgt auf und ſo fruͤh, daß ich den Mond
noch am Himmel fand, als ich, nach meiner Ge-
wohnheit, ans Fenſter trat, um mich von der friſchen
Morgenluft anwehen zu laſſen. — Der Anblick war
mir neu. Ich ſtand, und gaffte, und traͤumte,
und vergaß mich — bis ich im Hauſe ſchelten
hoͤrte; ein Zeichen, daß ſich die Mama erhoben
hatte. — Sie hoͤren nicht?
Sternberg (in Gedanken.) O ja!
Thereſe. Sie erſchien — zu meinem Er-
ſtaunen ſchon angekleidet — und ihr guter Mor-
gen war ſo gnaͤdig, als ob ſie ein heiliges Werk
vorhaͤtte. — Ich erzaͤhle den vier Waͤnden.
Sternberg. Nein, nein!
Thereſe. Nun wurde der Thee ſtumm, wie
immer, hinein geſchluͤrft, und ich ſetzte mich ſchon
zu meiner Arbeit, als mir die Mama befahl, mich
zum Ausgehn fertig zu machen.
Sternberg (wie vorhin.) Wie?
Thereſe. Sehn Sie wohl, daß Sie taub
ſind!
Sternberg. Fahren Sie nur fort!
Thereſe. Wo blieb ich ſtehen?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |