Gotter, Friedrich Wilhelm: Die Erbschleicher. Leipzig, 1789.Die Erbschleicher. Sternberg (auffahrend.) Der Henker hole sein Mistrauen! Justine. Hat er nicht Bosheit genug erfah- ren? Haben nicht seine nächsten Verwandten mit ihm am undankbarsten gehandelt? Ein Schwager, der auf seinen Kredit Schulden machte; ein Vet- ter, der ihm mit der Schatulle durchging; ein Mühmchen, das ihn gar vergiften wollte; ein - - - Sternberg (einfallend.) Muß er darum un- gerecht gegen Andere seyn, die ihm nie Anlaß zum Misvergnügen gaben? Justine. Bedaur' ihn, lieber Bruder! Mir flößt er wahres Mitleid ein. Er hat sechzig Jahre lang gesammelt -- und weiß nun nicht, für wen? Er fühlt eine Leere -- und kann sie nicht ausfüllen. Er möchte anfangen zu genies- sen -- und hat weder Muth noch Kräfte. Er möchte über sein Vermögen schalten -- und zit- tert, es in schlechte Hände zu spielen. Bey die- sem ewigen Streite mit sich selbst, von Vorboten des Todes heimgesucht zu seyn, und besessen vom Dämon der Hypochondrie! Ein Krüpel von See- le, und von Körper ein Invalid! Giebts eine kläglichere Lage? Sternberg. Ach, wenn ich nicht verliebt B
Die Erbſchleicher. Sternberg (auffahrend.) Der Henker hole ſein Mistrauen! Juſtine. Hat er nicht Bosheit genug erfah- ren? Haben nicht ſeine naͤchſten Verwandten mit ihm am undankbarſten gehandelt? Ein Schwager, der auf ſeinen Kredit Schulden machte; ein Vet- ter, der ihm mit der Schatulle durchging; ein Muͤhmchen, das ihn gar vergiften wollte; ein - - - Sternberg (einfallend.) Muß er darum un- gerecht gegen Andere ſeyn, die ihm nie Anlaß zum Misvergnuͤgen gaben? Juſtine. Bedaur’ ihn, lieber Bruder! Mir floͤßt er wahres Mitleid ein. Er hat ſechzig Jahre lang geſammelt — und weiß nun nicht, fuͤr wen? Er fuͤhlt eine Leere — und kann ſie nicht ausfuͤllen. Er moͤchte anfangen zu genieſ- ſen — und hat weder Muth noch Kraͤfte. Er moͤchte uͤber ſein Vermoͤgen ſchalten — und zit- tert, es in ſchlechte Haͤnde zu ſpielen. Bey die- ſem ewigen Streite mit ſich ſelbſt, von Vorboten des Todes heimgeſucht zu ſeyn, und beſeſſen vom Daͤmon der Hypochondrie! Ein Kruͤpel von See- le, und von Koͤrper ein Invalid! Giebts eine klaͤglichere Lage? Sternberg. Ach, wenn ich nicht verliebt B
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Die Erbſchleicher.
Sternberg (auffahrend.) Der Henker hole
ſein Mistrauen!
Juſtine. Hat er nicht Bosheit genug erfah-
ren? Haben nicht ſeine naͤchſten Verwandten mit
ihm am undankbarſten gehandelt? Ein Schwager,
der auf ſeinen Kredit Schulden machte; ein Vet-
ter, der ihm mit der Schatulle durchging; ein
Muͤhmchen, das ihn gar vergiften wollte; ein - - -
Sternberg (einfallend.) Muß er darum un-
gerecht gegen Andere ſeyn, die ihm nie Anlaß zum
Misvergnuͤgen gaben?
Juſtine. Bedaur’ ihn, lieber Bruder! Mir
floͤßt er wahres Mitleid ein. Er hat ſechzig
Jahre lang geſammelt — und weiß nun nicht,
fuͤr wen? Er fuͤhlt eine Leere — und kann ſie
nicht ausfuͤllen. Er moͤchte anfangen zu genieſ-
ſen — und hat weder Muth noch Kraͤfte. Er
moͤchte uͤber ſein Vermoͤgen ſchalten — und zit-
tert, es in ſchlechte Haͤnde zu ſpielen. Bey die-
ſem ewigen Streite mit ſich ſelbſt, von Vorboten
des Todes heimgeſucht zu ſeyn, und beſeſſen vom
Daͤmon der Hypochondrie! Ein Kruͤpel von See-
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