Gotter, Friedrich Wilhelm: Die Erbschleicher. Leipzig, 1789.Die Erbschleicher. W. Ungew. Lesen -- ja -- Lesen ist mei- ne Schoossünde. Ach, es war die einzige Schwachheit, die mir der beste der Gatten vor- zuwerfen hatte. Auf nichts war er eifersüchtig, der Ewigbeweinte, auf nichts, als auf meine Bücher. Justine. Ihr Schmerz und Ihre Kleidung sagen mir, daß Ihr Verlust noch neu ist. W. Ungew. Bald kühlt der Schnee zum achtenmal sein Grab. Justine. Und noch im Wittwenschleyer? W. Ungew. Dürft' ich im Sterbekleide ge- hen! Justine. Ein fürchterlicher Wunsch! -- Aber Sie werden sich schon wieder bekränzen. W. Ungew. In Elysium. Justine. Unverhoft kömmt oft. W. Ungew. Sie beurtheilen mich nach un- serm Geschlechte. Aber wissen Sie, Kind, daß mir nichts mehr von ihm übrig ist, als die Tracht! Ich habe mich umgeschaffen. Justine. Doch nicht zur Männerfeindinn? W. Ungew. Ja -- und nein! Justine. Das ist mir zu spitzfindig. W. Ungew. Sie würden es begreifen, Kind, H 5
Die Erbſchleicher. W. Ungew. Leſen — ja — Leſen iſt mei- ne Schoosſuͤnde. Ach, es war die einzige Schwachheit, die mir der beſte der Gatten vor- zuwerfen hatte. Auf nichts war er eiferſuͤchtig, der Ewigbeweinte, auf nichts, als auf meine Buͤcher. Juſtine. Ihr Schmerz und Ihre Kleidung ſagen mir, daß Ihr Verluſt noch neu iſt. W. Ungew. Bald kuͤhlt der Schnee zum achtenmal ſein Grab. Juſtine. Und noch im Wittwenſchleyer? W. Ungew. Duͤrft’ ich im Sterbekleide ge- hen! Juſtine. Ein fuͤrchterlicher Wunſch! — Aber Sie werden ſich ſchon wieder bekraͤnzen. W. Ungew. In Elyſium. Juſtine. Unverhoft koͤmmt oft. W. Ungew. Sie beurtheilen mich nach un- ſerm Geſchlechte. Aber wiſſen Sie, Kind, daß mir nichts mehr von ihm uͤbrig iſt, als die Tracht! Ich habe mich umgeſchaffen. Juſtine. Doch nicht zur Maͤnnerfeindinn? W. Ungew. Ja — und nein! Juſtine. Das iſt mir zu ſpitzfindig. W. Ungew. Sie wuͤrden es begreifen, Kind, H 5
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Die Erbſchleicher.
W. Ungew. Leſen — ja — Leſen iſt mei-
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Schwachheit, die mir der beſte der Gatten vor-
zuwerfen hatte. Auf nichts war er eiferſuͤchtig,
der Ewigbeweinte, auf nichts, als auf meine
Buͤcher.
Juſtine. Ihr Schmerz und Ihre Kleidung
ſagen mir, daß Ihr Verluſt noch neu iſt.
W. Ungew. Bald kuͤhlt der Schnee zum
achtenmal ſein Grab.
Juſtine. Und noch im Wittwenſchleyer?
W. Ungew. Duͤrft’ ich im Sterbekleide ge-
hen!
Juſtine. Ein fuͤrchterlicher Wunſch! — Aber
Sie werden ſich ſchon wieder bekraͤnzen.
W. Ungew. In Elyſium.
Juſtine. Unverhoft koͤmmt oft.
W. Ungew. Sie beurtheilen mich nach un-
ſerm Geſchlechte. Aber wiſſen Sie, Kind, daß
mir nichts mehr von ihm uͤbrig iſt, als die Tracht!
Ich habe mich umgeſchaffen.
Juſtine. Doch nicht zur Maͤnnerfeindinn?
W. Ungew. Ja — und nein!
Juſtine. Das iſt mir zu ſpitzfindig.
W. Ungew. Sie wuͤrden es begreifen, Kind,
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Zitationshilfe: | Gotter, Friedrich Wilhelm: Die Erbschleicher. Leipzig, 1789, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotter_erbschleicher_1789/127>, abgerufen am 22.07.2024. |