Gotter, Friedrich Wilhelm: Die Erbschleicher. Leipzig, 1789.Die Erbschleicher. Weinhold. Professor Wassermann heiß' ich, und komme den Herrn Gerhard zu sprechen. Justine. Herr Gerhard ist eben in einem kleinen Geschäfte begriffen. Wenn Sie sich ein wenig gedulden können -- Weinhold. Ich wünschte, sein Geschäfte wäre nicht klein. Justine. Wie so, Herr Professor? Weinhold. Um so länger könnt' ich dann das Glück genießen, mich mit seiner liebenswür- digen Freundinn zu unterhalten. Justine. Ungemein galant! Ohnezweifel Professor der schönen Wissenschaften? Weinhold. Ich bekenne mich zu keiner Wis- senschaft. Ich habe den Schulstaub der Fakultä- ten von meinen Schuhen abgeschüttelt, mich in die lichten Regionen mystischer Weisheit aufge- schwungen, und dort die Tochter des Himmels umarmt. Justine. Und diese himmlische Liebschaft läßt Ihnen noch Augen für uns arme Erdentöchter? Weinhold. Die mystische Weisheit, holdes Mädchen, verfeinert die Sinne, ohne sie zu töd- ten; sie giebt nur der Tendenz unsres Empfin- dungsvermögens eine geistigere Richtung, und G 5
Die Erbſchleicher. Weinhold. Profeſſor Waſſermann heiß’ ich, und komme den Herrn Gerhard zu ſprechen. Juſtine. Herr Gerhard iſt eben in einem kleinen Geſchaͤfte begriffen. Wenn Sie ſich ein wenig gedulden koͤnnen — Weinhold. Ich wuͤnſchte, ſein Geſchaͤfte waͤre nicht klein. Juſtine. Wie ſo, Herr Profeſſor? Weinhold. Um ſo laͤnger koͤnnt’ ich dann das Gluͤck genießen, mich mit ſeiner liebenswuͤr- digen Freundinn zu unterhalten. Juſtine. Ungemein galant! Ohnezweifel Profeſſor der ſchoͤnen Wiſſenſchaften? Weinhold. Ich bekenne mich zu keiner Wiſ- ſenſchaft. Ich habe den Schulſtaub der Fakultaͤ- ten von meinen Schuhen abgeſchuͤttelt, mich in die lichten Regionen myſtiſcher Weisheit aufge- ſchwungen, und dort die Tochter des Himmels umarmt. Juſtine. Und dieſe himmliſche Liebſchaft laͤßt Ihnen noch Augen fuͤr uns arme Erdentoͤchter? Weinhold. Die myſtiſche Weisheit, holdes Maͤdchen, verfeinert die Sinne, ohne ſie zu toͤd- ten; ſie giebt nur der Tendenz unſres Empfin- dungsvermoͤgens eine geiſtigere Richtung, und G 5
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Die Erbſchleicher.
Weinhold. Profeſſor Waſſermann heiß’ ich,
und komme den Herrn Gerhard zu ſprechen.
Juſtine. Herr Gerhard iſt eben in einem
kleinen Geſchaͤfte begriffen. Wenn Sie ſich ein
wenig gedulden koͤnnen —
Weinhold. Ich wuͤnſchte, ſein Geſchaͤfte
waͤre nicht klein.
Juſtine. Wie ſo, Herr Profeſſor?
Weinhold. Um ſo laͤnger koͤnnt’ ich dann
das Gluͤck genießen, mich mit ſeiner liebenswuͤr-
digen Freundinn zu unterhalten.
Juſtine. Ungemein galant! Ohnezweifel
Profeſſor der ſchoͤnen Wiſſenſchaften?
Weinhold. Ich bekenne mich zu keiner Wiſ-
ſenſchaft. Ich habe den Schulſtaub der Fakultaͤ-
ten von meinen Schuhen abgeſchuͤttelt, mich in
die lichten Regionen myſtiſcher Weisheit aufge-
ſchwungen, und dort die Tochter des Himmels
umarmt.
Juſtine. Und dieſe himmliſche Liebſchaft laͤßt
Ihnen noch Augen fuͤr uns arme Erdentoͤchter?
Weinhold. Die myſtiſche Weisheit, holdes
Maͤdchen, verfeinert die Sinne, ohne ſie zu toͤd-
ten; ſie giebt nur der Tendenz unſres Empfin-
dungsvermoͤgens eine geiſtigere Richtung, und
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Zitationshilfe: | Gotter, Friedrich Wilhelm: Die Erbschleicher. Leipzig, 1789, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gotter_erbschleicher_1789/111>, abgerufen am 22.07.2024. |