Seht diese Blümchen an. Heute Morgen haben sie noch so schön geblühet. Und nun? Alle Schönheit, alles Leben weg. So bald kann auch ein blühender Knabe, ein schönes munteres Mädchen dahin seyn! Seyd fromm, tugendhaft, mäßig, vorsichtig, fleißig, so seyd ihr auch immer bereit. Denn ihr seyd keinen Augenblick vor dem Tode sicher. Denkt an diese Blumen, und vergeßt nicht, daß Gott auch oft seine guten Ursachen habe, Kinder frühzeitig sterben zu lassen. Erinnert euch nur, daß neulich in einer Stadt über vier- hundert Kinder an den Pocken gestorben sind.
Die Kinder waren hierbey sehr aufmerk- sam, und sahen immer die verwelkten Blüm- chen an. Unter diesen Gesprächen kamen sie bey dem Gottesacker vorbey. Ich dächte, sagte der Vater, wir giengen einmal dahin, und besuchten die Todten. Es ist Kindern
nichts
Seht dieſe Bluͤmchen an. Heute Morgen haben ſie noch ſo ſchoͤn gebluͤhet. Und nun? Alle Schoͤnheit, alles Leben weg. So bald kann auch ein bluͤhender Knabe, ein ſchoͤnes munteres Maͤdchen dahin ſeyn! Seyd fromm, tugendhaft, maͤßig, vorſichtig, fleißig, ſo ſeyd ihr auch immer bereit. Denn ihr ſeyd keinen Augenblick vor dem Tode ſicher. Denkt an dieſe Blumen, und vergeßt nicht, daß Gott auch oft ſeine guten Urſachen habe, Kinder fruͤhzeitig ſterben zu laſſen. Erinnert euch nur, daß neulich in einer Stadt uͤber vier- hundert Kinder an den Pocken geſtorben ſind.
Die Kinder waren hierbey ſehr aufmerk- ſam, und ſahen immer die verwelkten Bluͤm- chen an. Unter dieſen Geſpraͤchen kamen ſie bey dem Gottesacker vorbey. Ich daͤchte, ſagte der Vater, wir giengen einmal dahin, und beſuchten die Todten. Es iſt Kindern
nichts
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0370"n="348"/><p>Seht dieſe Bluͤmchen an. Heute Morgen<lb/>
haben ſie noch ſo ſchoͤn gebluͤhet. Und nun?<lb/>
Alle Schoͤnheit, alles Leben weg. So bald<lb/>
kann auch ein bluͤhender Knabe, ein ſchoͤnes<lb/>
munteres Maͤdchen dahin ſeyn! Seyd fromm,<lb/>
tugendhaft, maͤßig, vorſichtig, fleißig, ſo<lb/>ſeyd ihr auch immer bereit. Denn ihr ſeyd<lb/>
keinen Augenblick vor dem Tode ſicher. Denkt<lb/>
an dieſe Blumen, und vergeßt nicht, daß Gott<lb/>
auch oft ſeine guten Urſachen habe, Kinder<lb/>
fruͤhzeitig ſterben zu laſſen. Erinnert euch<lb/>
nur, daß neulich in einer Stadt uͤber vier-<lb/>
hundert Kinder an den Pocken geſtorben<lb/>ſind.</p><lb/><p>Die Kinder waren hierbey ſehr aufmerk-<lb/>ſam, und ſahen immer die verwelkten Bluͤm-<lb/>
chen an. Unter dieſen Geſpraͤchen kamen ſie<lb/>
bey dem Gottesacker vorbey. Ich daͤchte,<lb/>ſagte der Vater, wir giengen einmal dahin,<lb/>
und beſuchten die Todten. Es iſt Kindern<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nichts</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[348/0370]
Seht dieſe Bluͤmchen an. Heute Morgen
haben ſie noch ſo ſchoͤn gebluͤhet. Und nun?
Alle Schoͤnheit, alles Leben weg. So bald
kann auch ein bluͤhender Knabe, ein ſchoͤnes
munteres Maͤdchen dahin ſeyn! Seyd fromm,
tugendhaft, maͤßig, vorſichtig, fleißig, ſo
ſeyd ihr auch immer bereit. Denn ihr ſeyd
keinen Augenblick vor dem Tode ſicher. Denkt
an dieſe Blumen, und vergeßt nicht, daß Gott
auch oft ſeine guten Urſachen habe, Kinder
fruͤhzeitig ſterben zu laſſen. Erinnert euch
nur, daß neulich in einer Stadt uͤber vier-
hundert Kinder an den Pocken geſtorben
ſind.
Die Kinder waren hierbey ſehr aufmerk-
ſam, und ſahen immer die verwelkten Bluͤm-
chen an. Unter dieſen Geſpraͤchen kamen ſie
bey dem Gottesacker vorbey. Ich daͤchte,
ſagte der Vater, wir giengen einmal dahin,
und beſuchten die Todten. Es iſt Kindern
nichts
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goeze, Johann August Ephraim: Zeitvertreib und Unterricht für Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Bd. 2. Leipzig, 1783, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib02_1783/370>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.