Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goeze, Johann August Ephraim: Zeitvertreib und Unterricht für Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Bd. 1. Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Nein! mein Kind, sage Marien lie-
ber, wie es ist, und wie ichs dir gesagt ha-
be; so wirst du ihr eine Wohlthat thun.
Denn sie weiß es nicht besser, und ist nicht
so erzogen, wie du erzogen wirst. Ich will
dir aber dabey noch ein Histörchen erzählen.
Es war auch einmal ein solches furchtsames
aberglänbisches Mädchen, wie Marie ist,
das sich des Abends nicht getrauete, auf den
Hof zu gehen. Da kömmt eine hungrige
Katze, nimmt das brennende Talglicht vom
Leuchter, und läuft damit auf den Heuboden.
Das Mädchen sieht es, läuft ihr aber, aus
Furcht vor Gespenstern, nicht nach auf den
Boden, wo es hätte ihr das Licht wieder ab-
jagen, oder doch auslöschen können. Was
geschieht? Das Heu fängt an zu brennen,
und nicht nur das Haus, sondern die halbe
Stadt ist abgebrannt. Was sagst du dazu?
War daran nicht die dumnie Furcht des Mäd-

chens

V. Nein! mein Kind, ſage Marien lie-
ber, wie es iſt, und wie ichs dir geſagt ha-
be; ſo wirſt du ihr eine Wohlthat thun.
Denn ſie weiß es nicht beſſer, und iſt nicht
ſo erzogen, wie du erzogen wirſt. Ich will
dir aber dabey noch ein Hiſtoͤrchen erzaͤhlen.
Es war auch einmal ein ſolches furchtſames
aberglaͤnbiſches Maͤdchen, wie Marie iſt,
das ſich des Abends nicht getrauete, auf den
Hof zu gehen. Da koͤmmt eine hungrige
Katze, nimmt das brennende Talglicht vom
Leuchter, und laͤuft damit auf den Heuboden.
Das Maͤdchen ſieht es, laͤuft ihr aber, aus
Furcht vor Geſpenſtern, nicht nach auf den
Boden, wo es haͤtte ihr das Licht wieder ab-
jagen, oder doch ausloͤſchen koͤnnen. Was
geſchieht? Das Heu faͤngt an zu brennen,
und nicht nur das Haus, ſondern die halbe
Stadt iſt abgebrannt. Was ſagſt du dazu?
War daran nicht die dumnie Furcht des Maͤd-

chens
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0154" n="132"/>
        <p>V. Nein! mein Kind, &#x017F;age Marien lie-<lb/>
ber, wie es i&#x017F;t, und wie ichs dir ge&#x017F;agt ha-<lb/>
be; &#x017F;o wir&#x017F;t du ihr eine Wohlthat thun.<lb/>
Denn &#x017F;ie weiß es nicht be&#x017F;&#x017F;er, und i&#x017F;t nicht<lb/>
&#x017F;o erzogen, wie du erzogen wir&#x017F;t. Ich will<lb/>
dir aber dabey noch ein Hi&#x017F;to&#x0364;rchen erza&#x0364;hlen.<lb/>
Es war auch einmal ein &#x017F;olches furcht&#x017F;ames<lb/>
abergla&#x0364;nbi&#x017F;ches Ma&#x0364;dchen, wie Marie i&#x017F;t,<lb/>
das &#x017F;ich des Abends nicht getrauete, auf den<lb/>
Hof zu gehen. Da ko&#x0364;mmt eine hungrige<lb/>
Katze, nimmt das brennende Talglicht vom<lb/>
Leuchter, und la&#x0364;uft damit auf den Heuboden.<lb/>
Das Ma&#x0364;dchen &#x017F;ieht es, la&#x0364;uft ihr aber, aus<lb/>
Furcht vor Ge&#x017F;pen&#x017F;tern, nicht nach auf den<lb/>
Boden, wo es ha&#x0364;tte ihr das Licht wieder ab-<lb/>
jagen, oder doch auslo&#x0364;&#x017F;chen ko&#x0364;nnen. Was<lb/>
ge&#x017F;chieht? Das Heu fa&#x0364;ngt an zu brennen,<lb/>
und nicht nur das Haus, &#x017F;ondern die halbe<lb/>
Stadt i&#x017F;t abgebrannt. Was &#x017F;ag&#x017F;t du dazu?<lb/>
War daran nicht die dumnie Furcht des Ma&#x0364;d-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">chens</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0154] V. Nein! mein Kind, ſage Marien lie- ber, wie es iſt, und wie ichs dir geſagt ha- be; ſo wirſt du ihr eine Wohlthat thun. Denn ſie weiß es nicht beſſer, und iſt nicht ſo erzogen, wie du erzogen wirſt. Ich will dir aber dabey noch ein Hiſtoͤrchen erzaͤhlen. Es war auch einmal ein ſolches furchtſames aberglaͤnbiſches Maͤdchen, wie Marie iſt, das ſich des Abends nicht getrauete, auf den Hof zu gehen. Da koͤmmt eine hungrige Katze, nimmt das brennende Talglicht vom Leuchter, und laͤuft damit auf den Heuboden. Das Maͤdchen ſieht es, laͤuft ihr aber, aus Furcht vor Geſpenſtern, nicht nach auf den Boden, wo es haͤtte ihr das Licht wieder ab- jagen, oder doch ausloͤſchen koͤnnen. Was geſchieht? Das Heu faͤngt an zu brennen, und nicht nur das Haus, ſondern die halbe Stadt iſt abgebrannt. Was ſagſt du dazu? War daran nicht die dumnie Furcht des Maͤd- chens

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib01_1783/154
Zitationshilfe: Goeze, Johann August Ephraim: Zeitvertreib und Unterricht für Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib01_1783/154>, abgerufen am 27.11.2024.