wer was fordert oder vorschreibt, kriegt nichts. Darauf wurde aber auch strenge gehalten. Alles, was das Kind forderte, kriegte es schlechterdings nicht. Neulich wurde es einmal, da es an einem besondern Tische saß, gar vergessen. Da sagte es mit großer Bescheidenheit: ich fordre nichts, und kriege auch nichts, und bin doch ein artig Kind. Das rührte alle Anwesende, und es wurde sehr belohnt. Stille Bescheidenheit bekömmt allezeit mehr, als unverschämtes Vorschreiben. Man kann sich daher kein artiger Kind bey Tische gedenken, als Dor- chen. Die Leute sehen es gern, und es ge- fällt Jedermann. Es wird in alle große Gesellschaften mit gebeten, ob es gleich nur erst fünf Jahre alt ist. Es ist stille bey Ti- sche, bescheiden, zufrieden und genügsam. Es fordert niemals eine Sache, wäre sie auch noch so schön. Kann es nicht so lange
sitzen,
wer was fordert oder vorſchreibt, kriegt nichts. Darauf wurde aber auch ſtrenge gehalten. Alles, was das Kind forderte, kriegte es ſchlechterdings nicht. Neulich wurde es einmal, da es an einem beſondern Tiſche ſaß, gar vergeſſen. Da ſagte es mit großer Beſcheidenheit: ich fordre nichts, und kriege auch nichts, und bin doch ein artig Kind. Das ruͤhrte alle Anweſende, und es wurde ſehr belohnt. Stille Beſcheidenheit bekoͤmmt allezeit mehr, als unverſchaͤmtes Vorſchreiben. Man kann ſich daher kein artiger Kind bey Tiſche gedenken, als Dor- chen. Die Leute ſehen es gern, und es ge- faͤllt Jedermann. Es wird in alle große Geſellſchaften mit gebeten, ob es gleich nur erſt fuͤnf Jahre alt iſt. Es iſt ſtille bey Ti- ſche, beſcheiden, zufrieden und genuͤgſam. Es fordert niemals eine Sache, waͤre ſie auch noch ſo ſchoͤn. Kann es nicht ſo lange
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wer was fordert oder vorſchreibt, kriegt
nichts. Darauf wurde aber auch ſtrenge
gehalten. Alles, was das Kind forderte,
kriegte es ſchlechterdings nicht. Neulich
wurde es einmal, da es an einem beſondern
Tiſche ſaß, gar vergeſſen. Da ſagte es mit
großer Beſcheidenheit: ich fordre nichts, und
kriege auch nichts, und bin doch ein artig
Kind. Das ruͤhrte alle Anweſende, und es
wurde ſehr belohnt. Stille Beſcheidenheit
bekoͤmmt allezeit mehr, als unverſchaͤmtes
Vorſchreiben. Man kann ſich daher kein
artiger Kind bey Tiſche gedenken, als Dor-
chen. Die Leute ſehen es gern, und es ge-
faͤllt Jedermann. Es wird in alle große
Geſellſchaften mit gebeten, ob es gleich nur
erſt fuͤnf Jahre alt iſt. Es iſt ſtille bey Ti-
ſche, beſcheiden, zufrieden und genuͤgſam.
Es fordert niemals eine Sache, waͤre ſie
auch noch ſo ſchoͤn. Kann es nicht ſo lange
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Goeze, Johann August Ephraim: Zeitvertreib und Unterricht für Kinder vom dritten bis zehnten Jahr in kleinen Geschichten. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goetze_zeitvertreib01_1783/114>, abgerufen am 16.02.2025.
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