Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.te sich entfernen und es lag all der Schmerz, der Antheil betäubend wie Bley auf ihr. Sie athmete sich zu erholen, und bat ihn schluchsend, fortzu- fahren, bat mit der ganzen Stimme des Himmels, Werther zitterte, sein Herz wollte bersten, er hub das Blatt auf und las halb gebrochen: Warum wekst du mich Frühlingsluft, du Die ganze Gewalt dieser Worte fiel über gen
te ſich entfernen und es lag all der Schmerz, der Antheil betaͤubend wie Bley auf ihr. Sie athmete ſich zu erholen, und bat ihn ſchluchſend, fortzu- fahren, bat mit der ganzen Stimme des Himmels, Werther zitterte, ſein Herz wollte berſten, er hub das Blatt auf und las halb gebrochen: Warum wekſt du mich Fruͤhlingsluft, du Die ganze Gewalt dieſer Worte fiel uͤber gen
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te ſich entfernen und es lag all der Schmerz, der
Antheil betaͤubend wie Bley auf ihr. Sie athmete
ſich zu erholen, und bat ihn ſchluchſend, fortzu-
fahren, bat mit der ganzen Stimme des Himmels,
Werther zitterte, ſein Herz wollte berſten, er hub
das Blatt auf und las halb gebrochen:
Warum wekſt du mich Fruͤhlingsluft, du
buhlſt und ſprichſt: ich bethaue mit Tropſen des
Himmels. Aber die Zeit meines Welkens iſt nah,
nah der Sturm, der meine Blaͤtter herabſtoͤrt!
Morgen wird der Wandrer kommen, kommen der
mich ſah in meiner Schoͤnheit, rings wird ſein
Aug im Felde mich ſuchen, und wird mich nicht
finden. —
Die ganze Gewalt dieſer Worte fiel uͤber
den Ungluͤklichen, er warf ſich vor Lotten nieder
in der vollen Verzweiflung, faßte ihre Haͤnde,
drukte ſie in ſeine Augen, wider ſeine Stirn, und
ihr ſchien eine Ahndung ſeines ſchroͤklichen Vor-
habens durch die Seele zu fliegen: Jhre Sinnen
verwirrten ſich, ſie drukte ſeine Haͤnde, drukte ſie
wider ihre Bruſt, neigte ſich mit einer wehmuͤthi-
gen Bewegung zu ihm, und ihre gluͤhenden Wan-
gen
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