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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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lichen, der für die lezten Augenblikke seines Lebens
keine grössere Süssigkeit weis, als sich mit Dir zu
unterhalten. Jch habe eine schrökliche Nacht ge-
habt, und ach eine wohlthätige Nacht, sie ist's, die
meinen wankenden Entschluß besestiget, bestimmt
hat: ich will sterben. Wie ich mich gestern von
Dir riß, in der fürchterlichen Empörung meiner
Sinnen, wie sich all all das nach meinem Herzen
drängte, und mein hoffnungloses, freudloses Daseyn
neben Dir, in gräßlicher Kälte mich anpakte; ich
erreichte kaum mein Zimmer, ich warf mich ausser
mir auf meine Knie, und o Gott! du gewährtest
mir das lezte Labsal der bittersten Thränen, und
tausend Anschläge, tausend Aussichten wütheten
durch meine Seele, und zuletzt stand er da, fest
ganz der lezte einzige Gedanke: Jch will sterben! --
Jch legte mich nieder, und Morgens, in all der
Ruh des Erwachens, steht er noch fest, noch ganz
stark in meinem Herzen: Jch will sterben! --
Es ist nicht Verzweiflung, es ist Gewißheit, daß
ich ausgetragen habe, und daß ich mich opfere für
Dich, ja Lotte, warum sollt ich's verschweigen:
eins von uns dreyen muß hinweg, und das will

ich



lichen, der fuͤr die lezten Augenblikke ſeines Lebens
keine groͤſſere Suͤſſigkeit weis, als ſich mit Dir zu
unterhalten. Jch habe eine ſchroͤkliche Nacht ge-
habt, und ach eine wohlthaͤtige Nacht, ſie iſt’s, die
meinen wankenden Entſchluß beſeſtiget, beſtimmt
hat: ich will ſterben. Wie ich mich geſtern von
Dir riß, in der fuͤrchterlichen Empoͤrung meiner
Sinnen, wie ſich all all das nach meinem Herzen
draͤngte, und mein hoffnungloſes, freudloſes Daſeyn
neben Dir, in graͤßlicher Kaͤlte mich anpakte; ich
erreichte kaum mein Zimmer, ich warf mich auſſer
mir auf meine Knie, und o Gott! du gewaͤhrteſt
mir das lezte Labſal der bitterſten Thraͤnen, und
tauſend Anſchlaͤge, tauſend Ausſichten wuͤtheten
durch meine Seele, und zuletzt ſtand er da, feſt
ganz der lezte einzige Gedanke: Jch will ſterben! —
Jch legte mich nieder, und Morgens, in all der
Ruh des Erwachens, ſteht er noch feſt, noch ganz
ſtark in meinem Herzen: Jch will ſterben! —
Es iſt nicht Verzweiflung, es iſt Gewißheit, daß
ich ausgetragen habe, und daß ich mich opfere fuͤr
Dich, ja Lotte, warum ſollt ich’s verſchweigen:
eins von uns dreyen muß hinweg, und das will

ich
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[186/0074] lichen, der fuͤr die lezten Augenblikke ſeines Lebens keine groͤſſere Suͤſſigkeit weis, als ſich mit Dir zu unterhalten. Jch habe eine ſchroͤkliche Nacht ge- habt, und ach eine wohlthaͤtige Nacht, ſie iſt’s, die meinen wankenden Entſchluß beſeſtiget, beſtimmt hat: ich will ſterben. Wie ich mich geſtern von Dir riß, in der fuͤrchterlichen Empoͤrung meiner Sinnen, wie ſich all all das nach meinem Herzen draͤngte, und mein hoffnungloſes, freudloſes Daſeyn neben Dir, in graͤßlicher Kaͤlte mich anpakte; ich erreichte kaum mein Zimmer, ich warf mich auſſer mir auf meine Knie, und o Gott! du gewaͤhrteſt mir das lezte Labſal der bitterſten Thraͤnen, und tauſend Anſchlaͤge, tauſend Ausſichten wuͤtheten durch meine Seele, und zuletzt ſtand er da, feſt ganz der lezte einzige Gedanke: Jch will ſterben! — Jch legte mich nieder, und Morgens, in all der Ruh des Erwachens, ſteht er noch feſt, noch ganz ſtark in meinem Herzen: Jch will ſterben! — Es iſt nicht Verzweiflung, es iſt Gewißheit, daß ich ausgetragen habe, und daß ich mich opfere fuͤr Dich, ja Lotte, warum ſollt ich’s verſchweigen: eins von uns dreyen muß hinweg, und das will ich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/74>, abgerufen am 23.11.2024.