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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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An eben dem Tage, es war der Sonntag
vor Weihnachten, kam er Abends zu Lotten, und
fand sie allein. Sie beschästigte sich, einige Spiel-
werke in Ordnung zu bringen, die sie ihren kleinen
Geschwistern zum Christgeschenke zurecht gemacht
hatte. Er redete von dem Vergnügen, das die Klei-
nen haben würden, und von den Zeiten, da einen
die unerwartete Oeffnung der Thüre, und die Er-
scheinung eines aufgepuzten Baums mit Wachs-
lichtern, Zukkerwerk und Aepfeln, in paradisische
Entzükkung sezte. Sie sollen, sagte Lotte, indem
sie ihre Verlegenheit unter ein liebes Lächeln ver-
barg: Sie sollen auch besche ert kriegen, wenn Sie
recht geschikt sind, ein Wachsstökgen und noch was.
Und was heißen Sie geschikt seyn? rief er aus,
wie soll ich seyn, wie kann ich seyn, beste Lotte?
Donnerstag Abend, sagte sie, ist Weyhnachtsabend,
da kommen die Kinder, mein Vater auch, da kriegt
jedes das seinige, da kommen Sie auch -- aber
nicht eher. -- Werther stuzte! -- Jch bitte Sie,
fuhr sie fort, es ist nun einmal so, ich bitte Sie
um meiner Ruhe willen, es kann nicht, es kann
nicht so bleiben! -- Er wendete seine Augen von

ihr,
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An eben dem Tage, es war der Sonntag
vor Weihnachten, kam er Abends zu Lotten, und
fand ſie allein. Sie beſchaͤſtigte ſich, einige Spiel-
werke in Ordnung zu bringen, die ſie ihren kleinen
Geſchwiſtern zum Chriſtgeſchenke zurecht gemacht
hatte. Er redete von dem Vergnuͤgen, das die Klei-
nen haben wuͤrden, und von den Zeiten, da einen
die unerwartete Oeffnung der Thuͤre, und die Er-
ſcheinung eines aufgepuzten Baums mit Wachs-
lichtern, Zukkerwerk und Aepfeln, in paradiſiſche
Entzuͤkkung ſezte. Sie ſollen, ſagte Lotte, indem
ſie ihre Verlegenheit unter ein liebes Laͤcheln ver-
barg: Sie ſollen auch beſche ert kriegen, wenn Sie
recht geſchikt ſind, ein Wachsſtoͤkgen und noch was.
Und was heißen Sie geſchikt ſeyn? rief er aus,
wie ſoll ich ſeyn, wie kann ich ſeyn, beſte Lotte?
Donnerſtag Abend, ſagte ſie, iſt Weyhnachtsabend,
da kommen die Kinder, mein Vater auch, da kriegt
jedes das ſeinige, da kommen Sie auch — aber
nicht eher. — Werther ſtuzte! — Jch bitte Sie,
fuhr ſie fort, es iſt nun einmal ſo, ich bitte Sie
um meiner Ruhe willen, es kann nicht, es kann
nicht ſo bleiben! — Er wendete ſeine Augen von

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M 3
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[181/0069] An eben dem Tage, es war der Sonntag vor Weihnachten, kam er Abends zu Lotten, und fand ſie allein. Sie beſchaͤſtigte ſich, einige Spiel- werke in Ordnung zu bringen, die ſie ihren kleinen Geſchwiſtern zum Chriſtgeſchenke zurecht gemacht hatte. Er redete von dem Vergnuͤgen, das die Klei- nen haben wuͤrden, und von den Zeiten, da einen die unerwartete Oeffnung der Thuͤre, und die Er- ſcheinung eines aufgepuzten Baums mit Wachs- lichtern, Zukkerwerk und Aepfeln, in paradiſiſche Entzuͤkkung ſezte. Sie ſollen, ſagte Lotte, indem ſie ihre Verlegenheit unter ein liebes Laͤcheln ver- barg: Sie ſollen auch beſche ert kriegen, wenn Sie recht geſchikt ſind, ein Wachsſtoͤkgen und noch was. Und was heißen Sie geſchikt ſeyn? rief er aus, wie ſoll ich ſeyn, wie kann ich ſeyn, beſte Lotte? Donnerſtag Abend, ſagte ſie, iſt Weyhnachtsabend, da kommen die Kinder, mein Vater auch, da kriegt jedes das ſeinige, da kommen Sie auch — aber nicht eher. — Werther ſtuzte! — Jch bitte Sie, fuhr ſie fort, es iſt nun einmal ſo, ich bitte Sie um meiner Ruhe willen, es kann nicht, es kann nicht ſo bleiben! — Er wendete ſeine Augen von ihr, M 3

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/69>, abgerufen am 24.11.2024.