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Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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sie den Pfarrhof machten, wie kühl und wie herr-
lich die Aeste waren. Und die Erinnerung bis zu
die guten Kerls von Pfarrers, die sie von so viel
Jahren pflanzten. Der Schulmeister hat uns den
einen Namen oft genannt, den er von seinem Gros-
vater gehört hatte, und so ein braver Mann soll
er gewesen seyn, und sein Andenken war mir im-
mer heilig, unter den Bäumen. Jch sage Dir,
dem Schulmeister standen die Thränen in den Au-
gen, da wir gestern davon redeten, daß sie abge-
hauen worden -- Abgehauen! Jch möchte ra-
send werden, ich könnte den Hund ermorden, der
den ersten Hieb dran that. Jch, der ich könnte
mich vertrauren, wenn so ein paar Bäume in
meinem Hofe stünden, und einer davon stürbe vor
Alter ab, ich muß so zusehn. Lieber Schaz, eins
ist doch dabey! Was Menschengefühl ist! Das
ganze Dorf murrt, und ich hoffe, die Frau Pfar-
rern soll's an Butter und Eyern und übrigem Zu-
trauen spüren, was für eine Wunde sie ihrem Orte
gegeben hat. Denn sie ist's, die Frau des neuen
Pfarrers, unser Alter ist auch gestorben, ein ha-
geres, kränkliches Thier, das sehr Ursache hat an

der
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ſie den Pfarrhof machten, wie kuͤhl und wie herr-
lich die Aeſte waren. Und die Erinnerung bis zu
die guten Kerls von Pfarrers, die ſie von ſo viel
Jahren pflanzten. Der Schulmeiſter hat uns den
einen Namen oft genannt, den er von ſeinem Gros-
vater gehoͤrt hatte, und ſo ein braver Mann ſoll
er geweſen ſeyn, und ſein Andenken war mir im-
mer heilig, unter den Baͤumen. Jch ſage Dir,
dem Schulmeiſter ſtanden die Thraͤnen in den Au-
gen, da wir geſtern davon redeten, daß ſie abge-
hauen worden — Abgehauen! Jch moͤchte ra-
ſend werden, ich koͤnnte den Hund ermorden, der
den erſten Hieb dran that. Jch, der ich koͤnnte
mich vertrauren, wenn ſo ein paar Baͤume in
meinem Hofe ſtuͤnden, und einer davon ſtuͤrbe vor
Alter ab, ich muß ſo zuſehn. Lieber Schaz, eins
iſt doch dabey! Was Menſchengefuͤhl iſt! Das
ganze Dorf murrt, und ich hoffe, die Frau Pfar-
rern ſoll’s an Butter und Eyern und uͤbrigem Zu-
trauen ſpuͤren, was fuͤr eine Wunde ſie ihrem Orte
gegeben hat. Denn ſie iſt’s, die Frau des neuen
Pfarrers, unſer Alter iſt auch geſtorben, ein ha-
geres, kraͤnkliches Thier, das ſehr Urſache hat an

der
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[149/0037] ſie den Pfarrhof machten, wie kuͤhl und wie herr- lich die Aeſte waren. Und die Erinnerung bis zu die guten Kerls von Pfarrers, die ſie von ſo viel Jahren pflanzten. Der Schulmeiſter hat uns den einen Namen oft genannt, den er von ſeinem Gros- vater gehoͤrt hatte, und ſo ein braver Mann ſoll er geweſen ſeyn, und ſein Andenken war mir im- mer heilig, unter den Baͤumen. Jch ſage Dir, dem Schulmeiſter ſtanden die Thraͤnen in den Au- gen, da wir geſtern davon redeten, daß ſie abge- hauen worden — Abgehauen! Jch moͤchte ra- ſend werden, ich koͤnnte den Hund ermorden, der den erſten Hieb dran that. Jch, der ich koͤnnte mich vertrauren, wenn ſo ein paar Baͤume in meinem Hofe ſtuͤnden, und einer davon ſtuͤrbe vor Alter ab, ich muß ſo zuſehn. Lieber Schaz, eins iſt doch dabey! Was Menſchengefuͤhl iſt! Das ganze Dorf murrt, und ich hoffe, die Frau Pfar- rern ſoll’s an Butter und Eyern und uͤbrigem Zu- trauen ſpuͤren, was fuͤr eine Wunde ſie ihrem Orte gegeben hat. Denn ſie iſt’s, die Frau des neuen Pfarrers, unſer Alter iſt auch geſtorben, ein ha- geres, kraͤnkliches Thier, das ſehr Urſache hat an der K 3

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/37>, abgerufen am 24.11.2024.