Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



tete, meine Mutter möchte sich an den Minister
wenden und mir mein Vorhaben erschweren. Nun
aber ist's geschehen, mein Abschied ist da. Jch
mag euch nicht sagen, wie ungern man mir ihn
gegeben hat, und was mir der Minister schreibt,
ihr würdet in neue Lamentationen ausbrechen.
Der Erbprinz hat mir zum Abschiede fünf und
zwanzig Dukaten geschikt, mit einem Wort, das
mich bis zu Thränen gerührt hat. Also braucht
die Mutter mir das Geld nicht zu schikken, um
das ich neulich schrieb.




Morgen geh ich von hier ab, und weil mein
Geburtsort nur sechs Meilen vom Wege
liegt, so will ich den auch wieder sehen, will mich
der alten glüklich verträumten Tage erinnern. Zu
eben dem Thore will ich hineingehn, aus dem
meine Mutter mit mir herausfuhr, als sie nach
dem Tode meines Vaters den lieben vertraulichen
Ort verließ, um sich in ihre unerträgliche Stadt

einzu-



tete, meine Mutter moͤchte ſich an den Miniſter
wenden und mir mein Vorhaben erſchweren. Nun
aber iſt’s geſchehen, mein Abſchied iſt da. Jch
mag euch nicht ſagen, wie ungern man mir ihn
gegeben hat, und was mir der Miniſter ſchreibt,
ihr wuͤrdet in neue Lamentationen ausbrechen.
Der Erbprinz hat mir zum Abſchiede fuͤnf und
zwanzig Dukaten geſchikt, mit einem Wort, das
mich bis zu Thraͤnen geruͤhrt hat. Alſo braucht
die Mutter mir das Geld nicht zu ſchikken, um
das ich neulich ſchrieb.




Morgen geh ich von hier ab, und weil mein
Geburtsort nur ſechs Meilen vom Wege
liegt, ſo will ich den auch wieder ſehen, will mich
der alten gluͤklich vertraͤumten Tage erinnern. Zu
eben dem Thore will ich hineingehn, aus dem
meine Mutter mit mir herausfuhr, als ſie nach
dem Tode meines Vaters den lieben vertraulichen
Ort verließ, um ſich in ihre unertraͤgliche Stadt

einzu-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="diaryEntry">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0026" n="138"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
tete, meine Mutter mo&#x0364;chte &#x017F;ich an den Mini&#x017F;ter<lb/>
wenden und mir mein Vorhaben er&#x017F;chweren. Nun<lb/>
aber i&#x017F;t&#x2019;s ge&#x017F;chehen, mein Ab&#x017F;chied i&#x017F;t da. Jch<lb/>
mag euch nicht &#x017F;agen, wie ungern man mir ihn<lb/>
gegeben hat, und was mir der Mini&#x017F;ter &#x017F;chreibt,<lb/>
ihr wu&#x0364;rdet in neue Lamentationen ausbrechen.<lb/>
Der Erbprinz hat mir zum Ab&#x017F;chiede <choice><sic>&#x017F;u&#x0364;nf</sic><corr>fu&#x0364;nf</corr></choice> und<lb/>
zwanzig Dukaten ge&#x017F;chikt, mit einem Wort, das<lb/>
mich bis zu Thra&#x0364;nen geru&#x0364;hrt hat. Al&#x017F;o braucht<lb/>
die Mutter mir das Geld nicht zu &#x017F;chikken, um<lb/>
das ich neulich &#x017F;chrieb.</p><lb/>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div type="diaryEntry">
          <dateline> <hi rendition="#et">am 5. May.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">M</hi>orgen geh ich von hier ab, und weil mein<lb/>
Geburtsort nur &#x017F;echs Meilen vom Wege<lb/>
liegt, &#x017F;o will ich den auch wieder &#x017F;ehen, will mich<lb/>
der alten glu&#x0364;klich vertra&#x0364;umten Tage erinnern. Zu<lb/>
eben dem Thore will ich hineingehn, aus dem<lb/>
meine Mutter mit mir herausfuhr, als &#x017F;ie nach<lb/>
dem Tode meines Vaters den lieben vertraulichen<lb/>
Ort verließ, um &#x017F;ich in ihre unertra&#x0364;gliche Stadt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">einzu-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0026] tete, meine Mutter moͤchte ſich an den Miniſter wenden und mir mein Vorhaben erſchweren. Nun aber iſt’s geſchehen, mein Abſchied iſt da. Jch mag euch nicht ſagen, wie ungern man mir ihn gegeben hat, und was mir der Miniſter ſchreibt, ihr wuͤrdet in neue Lamentationen ausbrechen. Der Erbprinz hat mir zum Abſchiede fuͤnf und zwanzig Dukaten geſchikt, mit einem Wort, das mich bis zu Thraͤnen geruͤhrt hat. Alſo braucht die Mutter mir das Geld nicht zu ſchikken, um das ich neulich ſchrieb. am 5. May. Morgen geh ich von hier ab, und weil mein Geburtsort nur ſechs Meilen vom Wege liegt, ſo will ich den auch wieder ſehen, will mich der alten gluͤklich vertraͤumten Tage erinnern. Zu eben dem Thore will ich hineingehn, aus dem meine Mutter mit mir herausfuhr, als ſie nach dem Tode meines Vaters den lieben vertraulichen Ort verließ, um ſich in ihre unertraͤgliche Stadt einzu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/26
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Die Leiden des jungen Werthers. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_werther02_1774/26>, abgerufen am 24.11.2024.